22.10.2024

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Bei der Einleitung zum Vortrag über Gertruda Turek Just: Uwe Hahnkamp
Foto: Chantal StannikBei der Einleitung zum Vortrag über Gertruda Turek Just: Uwe Hahnkamp

Sensburg

Zwischen Heimat und Vaterland

Das Eigene kennen und schätzen lernen – Ein Nachmittag zu Ehren der Dichterin Gertruda Turek Just

Uwe Hahnkamp
09.10.2024

Die Mitglieder der Sensburger Gesellschaft der Deutschen Minderheit „Bärentatze“ beschäftigten sich mit deutscher Literatur aus Sensburg. Ende September widmeten sie sich den Werken eines ihrer ehemaligen Mitglieder. Gertruda Turek Just hat Zeit ihres Lebens kurze Texte verfasst, die den Gefühlen zu ihrer Heimat unter verschiedenen Aspekten und zu ihrem Vaterland Ausdruck verleihen.

Kurz vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie war Sebastian Jabłoński, der Vorsitzende des Vereins „Bärentatze“, in einem Regal im Sitz der Gesellschaft auf einen Ordner gestoßen, der die Texte von Turek Just enthielt. Daraus entstand in Absprache mit Gertrudas Tochter Sabina, die heute in der „Bärentatze“ aktiv ist, die Idee, das Werk ihrer Mutter den Mitgliedern und Freunden der Gesellschaft vorzustellen. Gleichzeitig begann ihr in Deutschland lebender Sohn Henryk Turek, die Gedichte ins Polnische zu übertragen, in sogenannte weiße Poesie, die ohne Übernahme der äußeren Form den Inhalt vermitteln will.

Nicht die ersten Finder
Bereits Anfang der 90er Jahre besuchte Ralph Giordano bei der Recherche für sein Buch „Ostpreußen Ade“ Turek Just. Er widmete ihr darin das Kapitel „lieber so lassen, wie es ist“. Ihre Poesie bezeichnete er als ihre „Rettung vor dem Ersticken“. Es ist, wie er festhielt, keine Weltliteratur, „fehlerhaft in Orthographie, Grammatik und Interpunktion, ohne die geringste Kenntnis von der Melodik und der Rhythmik des Wortes [...] Aber dafür sind diese Gedichte für mich eine der erschütterndsten Überlebensaufzeichnungen, die mir je untergekommen sind.“ Weswegen er zu Beginn der zitierten Textstelle versprach „ich werde ein jedes von ihnen sorgfältig hüten“.

Auch Lech Kryszałowicz, der Redakteur des „Mitteilungsblatts“ der Deutschen Minderheit in Ermland und Masuren, hat darin vor einigen Jahren die Dichterin aus Sensburg verewigt.

Zum literarischen Nachmittag im September, der im Rahmen des Projekts LernRaum veranstaltet wurde, das aus Mitteln des bundesdeutschen Ministeriums des Inneren und für Heimat finanziert wird, hatte er sich in der aktuellen Ausgabe in der Reihe „berühmte Kinder unseres Ostpreußens“ dem Kunstmaler und Tierschriftsteller Otto Boris aus Masuren (1887–1957) gewidmet, der die zweite Hälfte seines Lebens allerdings in den westlicheren Regionen des Deutschen Reichs verbracht hat. Die am 24. Mai 1926 in Alt Allenstein geborene Turek Just wanderte erst 56 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aus, fühlte sich allerdings zerrissen zwischen der Heimat in Sensburg und Ostpreußen und dem Vaterland Deutschland.

Dieses Gefühl fand Eingang im Titel der unlängst von Henryk Turek veröffentlichten zweisprachig deutsch-polnischen Ausgabe ihrer Gedichte mit biographischen Anmerkungen „Mein Vaterland, meine Heimat, mein Leben oder eine Fahrt auf zwei auseinanderdriftenden Booten“. Bei dem seiner Mutter gewidmeten Nachmittag in Sensburg war er digital zugeschaltet und berichtete mit seiner Schwester Sabina, die direkt vor Ort war, wie sie ihre Mutter erlebt hatten.

Die Einleitung zum Treffen sowie die Moderation des biographischen Teils übernahm Uwe Hahnkamp von der Radiosendung der Deutschen Minderheit „Allensteiner Welle“, der im dritten Teil gemeinsam mit Sebastian Jabłoński die Werke von Turek Just auf Deutsch und Polnisch vortrug.

Eines davon besingt die damals neu gegründete Gesellschaft „Bärentatze“, doch die meisten Gedichte sind den Schönheiten ihres Sensburgs gewidmet, dem Schoßsee, an dem es liegt, sowie der Natur und den wechselnden Jahreszeiten in Ostpreußen. Deren Beschreibung verknüpft sie nicht selten – ähnlich wie das „Land der dunklen Wälder“ – mit dem Begriff der Heimat, die sie nicht loslässt.

Auf der anderen Seite ist das Vaterland, Deutschland, wohin sie zur Familie oder auf Besuch fuhr – und dann trotz des erfüllten Wunsches, dort zu sein, feststellen musste, dass ihr ihre Heimat so fehlt, dass sie unbedingt wieder dorthin muss. Befreit von diesem Zwiespalt wurde Turek Just erst mit ihrem Tod am 4. Oktober 2009 – ihr Grabstein trägt eine Zeile aus ihrem Gedicht „Herbst 1995“: ...jetzt gibt es nur noch Träume ...


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