Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Am 3. Oktober 1990 wusste niemand, wie lange der deutsch-deutsche Vereinigungsprozess dauern würde. Die folgenden Beispiele blicken schlaglichtartig auf die letzten 30 Jahre. Sie erzählen von den Leistungen der Bürger in Ost und West – und zeigen, dass der Jahrestag trotz mancher Probleme ein Grund zum Feiern ist
Was tun mit dem ehemaligen Todesstreifen aus Stacheldraht und Minen, der jahrzehntelang das Land teilte? Diese Frage stellte sich nach dem 3. Oktober 1990, als die Grenzanlagen zwischen Bundesrepublik und DDR abmontiert wurden. Die Antwort: Das fast 1.400 Kilometer lange Gelände wurde der Natur überlassen. So entstand das „Grüne Band“ – ein Biotopverbund, der in 150 Naturschutzgebieten rund 600 bedrohten Tier- und Pflanzenarten eine Heimat bietet. Und zudem eine dauerhafte Erinnerung an die mörderische Teilung unseres Landes ist.
Als Zentrum des Mitteldeutschen Chemiedreiecks wurde Sachsen-Anhalt in der DDR systematisch heruntergewirtschaftet. Die Industrieruinen von Wolfen, Bitterfeld und Leuna prägen den Ruf der Region bis heute. Dabei hat kein Bundesland so viele Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes zu bieten wie Sachsen-Anhalt: Seit 1994 Stiftskirche, Schloss und Altstadt von Quedlinburg in die Welterbeliste aufgenommen wurden, kamen 1996 das Bauhaus und seine Stätten in Weimar und Dessau sowie die Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg hinzu. Im Jahre 2000 wurde das Gartenreich Dessau-Wörlitz in den Kreis des Weltkulturerbes aufgenommen. Als vorerst letzte Welterbestätte kam 2018 der Naumburger Dom hinzu. So ist Sachsen-Anhalt ein wahrhaftes Kernland der deutschen Geschichte.
Kaum etwas in der DDR war 1989/90 so marode wie die technische Infrastruktur. Auf den Straßen reihte sich Schlagloch an Schlagloch, das Trinkwasser war fast überall ungenießbar und Telefonanschlüsse wurden knapp gehalten, um diese besser überwachen zu können. Dank Investitionen in Höhe von hunderten Milliarden Mark (und später Euro) verfügen die Regionen zwischen Rügen und Thüringer Wald heute über die modernsten Straßen, die saubersten Wasserleitungen und die schnellsten Telekommunikationsnetze.
Unter der Parole „Junkerland in Bauernhand“ wurde 1945/1946 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine Bodenreform durchgeführt, in deren Verlauf Grundbesitz von mehr als 100 Hektar Fläche entschädigungslos enteignet wurde. Die Herrenhäuser, zuvor jahrhundertelang Sitze großer Familien, wurden zumeist sich selbst überlassen – und verfielen im Laufe der Jahrzehnte. Die Sanierung und Wiederherstellung von inzwischen einigen hundert Landsitzen gehört zu den großen Triumphen der Schönheit über die kulturelle Barbarei. Gerade in ländlichen Regionen sind die Schlösser und Gutshäuser in Alt Madlitz, Briest, Dalwitz, Döbbelin, Gusow, Ivenack, Liebenberg, Neuhardenberg, Proschwitz, Ribbeck, Ulrichshusen und so weiter idyllische Mittelpunkte des öffentlichen Lebens. Oft kehrten mit den Häusern auch die alten Familien wie die Grafen Bassewitz, die Bismarcks, die Grafen Finckenstein und die Maltzahns wieder in ihre Heimat zurück.
Als der Bundestag 1991 über den künftigen Regierungssitz abstimmte, ging das Rennen zwischen Berlin und Bonn denkbar knapp aus: 338 Abgeordnete stimmten für die alte und neue Hauptstadt des deutschen Nationalstaats, 320 Abgeordnete für die alte Universitätsstadt am Rhein, die der Bundesrepublik über vier Jahrzehnte als provisorischer Regierungssitz gedient hatte. Und als 1998 Bundestag, Kanzleramt und die Leitung der Ministerien vom Rhein an die Spree zogen, fremdelten die „Bonner“ lange Zeit mit ihrem neuen Dienstsitz. 30 Jahre nach der Vereinigung ist von jenen „Geburtswehen“ nichts mehr zu spüren. Berlin ist die unangefochtene Hauptstadt der deutschen Republik
Böse Zungen bezeichneten den Einigungsprozess lange als „Anschluss“. Grund dafür war, dass die „Ossis“ nach 1990 unzählige Regelungen der alten Bundesrepublik übernehmen mussten, während die „Wessis“ sich lediglich an den festen Rechtsabbiegepfeil gewöhnen mussten. Andererseits werden die vereinten Deutschen seit 15 Jahren – und damit der Hälfte des Einigungsprozesses – von einer Frau, die bis 1990 in der DDR lebte, regiert. Von 2012 bis 2017 kam mit Joachim Gauck zudem auch der Bundespräsident aus den neuen Bundesländern – womit fünf Jahre lang die beiden wichtigsten politischen Ämter des Staates von „Ossis“ besetzt waren.
Dresden gilt vielen Deutschen als eine der schönsten Städte ihres Heimatlandes. Angloamerikanische Bombenangriffe hatten jedoch die Stadt, die aufgrund ihres einstigen Zaubers „Elbflorenz“ genannt wurde, 1945 in Schutt und Asche gelegt. Zwar bemühte sich die DDR mit bescheidenen Mitteln um die Rekonstruktion einzelner Bauten wie des Zwingers und der Semperoper, jedoch fehlten dem Arbeiter-und-Bauernstaat die Mittel für einen umfassenden Wiederaufbau der historischen Altstadt. Dies änderte sich mit der Einheit 1990. Die Wiederauferstehung der Frauenkirche aus einem Berg voller Trümmer wurde in den 90er Jahren zu einem weltweit beachteten Projekt. Es folgten die Rekonstruktionen der Residenz der sächsischen Kurfürsten und Könige mitsamt dem Grünen Gewölbe, des Taschenbergpalais, des Coselpalais (die teilweise schon in den 70er Jahren begonnen wurde), des Neumarkts und weiterer prägender Bauten. So ist Dresden heute wieder eine der schönsten Städte unseres Landes.
Auf kaum einem Gebiet ist die Vereinigung von „Ost“ und „West“ so gelungen wie in der Schauspielkunst. Mit Corinna Harfouch, Leander Haußmann, Henry Hübchen, Charly Hübner, Jan Josef Liefers, Ursula Karusseit, Uwe Kockisch, Claudia Michelsen, Ulrich Mühe, Thomas Rühmann und vielen anderen stammen zahlreiche der prominentesten Schauspieler der letzten Jahre aus der DDR. Ein wesentlicher Grund dafür sind Ausbildungsstätten wie die Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ (HfS), die Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig und die Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg.
1764 gründete Prinz Franz Xaver von Sachsen in Leipzig eine Akademie für Malerei. Aus dieser entwickelte sich im Laufe der Zeit die heutige Hochschule für Grafik und Buchkunst – die zur Lehr- und Ausbildungsstätte bedeutender Künstler wurde. Schon der Jurastudent Johann Wolfgang Goethe lauschte hier dem Zeichenunterricht des Gründungsdirektors Adam Friedrich Oeser. Bernhard Heisig, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer und Arno Rink begründeten hier in den 1950er Jahren als Maler, Graphiker und akademische Lehrer die „Leipziger Schule“. Nach 1990 sorgten ihre Schüler wie Neo Rauch, Rosa Loy und Hans Aichinger als „Neue Leipziger Schule“ für Furore. In zahlreichen Kunstmetropolen der Welt ist diese Marke heute ähnlich prominent wie altbewährte Größen der deutschen Industrie.
Kurz vor seinem Lebensende klagte Marcel Reich-Ranicki zuweilen, dass es keine deutsche Literatur von Bedeutung mehr gäbe: keine großen Erzähler und keine literarischen Stoffe von Relevanz. Dabei übersah der 2013 verstorbene „Kritikerpapst“, dass außerhalb seines Blickfeldes längst ein eigenes Genre entstanden war, das in bewegender Weise deutsche Geschehnisse reflektierte – der „Wenderoman“. Unter diesem Begriff werden Prosawerke zusammengefasst, die sich mit der Friedlichen Revolution 1989, dem Mauerfall und der deutschen Einheit auseinandersetzen. Prominente Beispiele dafür sind Monika Marons „Stille Zeile Sechs“ (1991), Erich Loests „Nikolaikirche“ und Thomas Brussigs „Helden wie wir“ (beide 1995), Uwe Tellkamps „Der Turm“ (2008), Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (2011) sowie Lutz Seilers „Kruso“ (2014) und „Stern 111“ (2020).
Als sich 1990 das Ende der DDR abzeichnete, stellte sich auch die Frage, wie mit den unseligen Hinterlassenschaften der Diktatur umzugehen sei. Für die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit war die Antwort schnell gefunden: Bereits am 4. Oktober 1990 wurde mit dem Rostocker Pfarrer Joachim Gauck ein Sonderbeauftragter für die Stasi-Unterlagen eingesetzt, der mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz vom 29. Dezember 1991 zum Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) ernannt wurde. Seine Aufgabe ist es – zusammen mit der ihm unterstellten Behörde –, die Stasi-Akten zu verwalten und zu erforschen sowie jedem Bürger Einsicht in die über ihn vorhandenen Dokumente zu gewähren. Auf Gauck folgte im Jahr 2000 die Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, seit 2011 bekleidet der Journalist und DDR-Oppositionelle Roland Jahn das Amt. Im Laufe ihres Bestehens konnte die Behörde nicht nur tausende Stasi-Mitarbeiter enttarnen, sondern auch die Strukturen sowie Zersetzungs- und Unterdrückungsmethoden des kommunistischen Geheimdienstes freilegen.
1845 gründete Ferdinand Adolph Lange in Glashütte eine Uhrenmanufaktur. Schon bald folgten weitere Hersteller verschiedenster Präzisionschronographen, sodass Glashütte Ende des 19. Jahrhunderts als Zentrum der deutschen Uhren- und feinmechanischen Industrie galt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sämtliche Unternehmen verstaatlicht und im VEB Glashütter Uhrenbetriebe zusammengefasst. Dass das sozialistische Intermezzo dem Ruf des Ortes keineswegs geschadet hatte, zeigte sich nach der Einheit 1990, als zahlreiche alte Marken nach Glashütte zurückkehrten – und neue entstanden. So zeigen heute Uhren von „A. Lange & Söhne“, „Glashütte Original“, „Union Glashütte/Sa.“, „Nautische Instrumente Mühle“, „Nomos Glashütte“, „Bruno Söhnle“, „Kronsegler“, „Tutima“ und „Moritz Grossmann“ stolz den Namen der sächsischen Kleinstadt auf dem Zifferblatt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts baute Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha die kleine Landstadt am Rennsteig zu einem mondänen Wintersportort aus. Seit den 50er Jahren ließ die DDR-Führung den einstigen Luxusort zu einem sozialistischen Urlaubs- und Sportzen-trum umbauen (wofür zuvor einige alteingesessene Familien vertrieben wurden). Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die Stadt im Thüringer Wald zu einem der Orte mit der höchsten Dichte an Olympiasiegern der Welt. Egal ob Biathlon, Bobsport, Rennrodeln, Skilanglauf, Skispringen oder Nordische Kombination – stets kämpfen Sportler aus Oberhof um die Medaillen mit.
Zu den großen Problemen des Einigungsprozesses gehörte, dass zahlreiche Traditionsbetriebe die Umstrukturierung nicht überstanden. Nicht so die Diamant-Fahrradwerke. 1885 in Reichenbrand bei Chemnitz gegründet, gehörten die Produkte der Marke „Elite Diamant“ schon bald zu den beliebtesten deutschen Zweirädern. Nach der Verstaatlichung in der DDR gelang es, die Traditionsmarke auch im vereinten Deutschland zu etablieren. Mit Preisen von um die 1.000 Euro und mehr zählt „Diamant“ heute wieder zu den Premium-Herstellern auf dem Fahrradmarkt.
Während die Bundesrepublik im Fußball mehrfach Welt- und Europameister wurde, dümpelte die DDR oft im Mittelfeld. Um so erfreulicher, dass mit Matthias Sammer, Michael Ballack und Toni Kroos einige der wichtigsten Akteure der vereinten Fußballnation aus dem Osten der Republik stammen. Sammer führte die DFB-Auswahl 1996 zur Europameisterschaft und Borussia Dortmund 1997 zur Champions League. Ballack war „Capitano“ (Jürgen Klinsmann) der Nationalmannschaft beim „Sommermärchen“ 2006 im eigenen Land. Und Kroos war Mittelfeldlenker der Deutschen beim WM-Sieg 2014. Mit vier Siegen in der Champions League und fünf Siegen der FIFA-Klubweltmeisterschaft (jeweils für Bayern und Real Madrid) ist er inzwischen einer der erfolgreichsten Fußballer aller Zeiten.
Lesen Sie hier den zweiten Teil unserer 30 kleinen Geschichten.
Chris Benthe am 03.10.20, 16:22 Uhr
Ganz wunderbarer, liebevoller Beitrag. Meinen Glückwunsch dazu !