Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Am 3. Oktober 1990 wusste niemand, wie lange der deutsch-deutsche Vereinigungsprozess dauern würde. Die folgenden Beispiele blicken schlaglichtartig auf die letzten 30 Jahre. Sie erzählen von den Leistungen der Bürger in Ost und West – und zeigen, dass der Jahrestag trotz mancher Probleme ein Grund zum Feiern ist
Zwischen Erzgebirge und Nordsee markiert die Elbe eine der unsichtbaren inneren Grenzen Deutschlands. Wie der Main zwischen Norden und Süden, so teilt der aus Böhmen kommende, insgesamt 1.094 Kilometer lange Fluss seit alters her das Land der Teutonen zwischen Ost und West. Auch während der deutschen Teilung markierte die Elbe die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten – allerdings nur entlang eines kleinen Abschnitts zwischen Dömitz und Lauenburg. Während der größte Teil des Stromes durch die DDR floss, lag die Mündung bei Cuxhaven im Westen. So verlor der östliche Teilstaat den Zugang zum größten deutschen Hafen Hamburg – und das im Westen gelegene Hamburg sein Hinterland am Oberlauf des Stromes. Seit der deutschen Einheit verbindet die Elbe nun wieder Böhmen, Sachsen, Preußen, Lauenburger, Hamburger und Niedersachsen.
Einen Glücksfall der besonderen Art bedeutete die Vereinigung für Halle an der Saale. Wurde der Stadt um 1900 noch nachgesagt, den schönsten deutschen Marktplatz zu haben, verfiel ihr Zentrum in der DDR dramatisch. In den 80er Jahren plante die Führung gar den Abriss des bedeutsamen Altbauensembles – und den „Wiederaufbau“ mit Plattenbauten. Die Einheit setzte diesem Bestreben ein Ende – und die mühevolle Sanierung der Bausubstanz konnte beginnen. Zu den sehenswerten Altbauten gehört unter anderem das Geburtshaus Georg Friedrich Händels. Gerettet werden konnten auch die Franckeschen Stiftungen, die einst Mittelpunkt eines pietistischen Bildungs- und Missionswerks waren. Heute ist die Stadt an der Saale Sitz zahlreicher Kultur- und Bildungsstätten wie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Kulturstiftung des Bundes, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule.
Dass Sachsen keineswegs nur eine große Geschichte zu bieten hat, sondern auch eine spannende Gegenwart, zeigt das „Silicon Saxony“. Mit diesem, an das kalifornische „Silicon Valley“ angelehnten Begriff wird die Ansiedelung von rund 350 Firmen aus Mikroelektronik, Halbleiter-, Photovoltaik- und Software-Branche bezeichnet. Den Grundstein dafür legte die EDV-Technik in der DDR. Ein wichtiger Meilenstein für das sächsische Wirtschaftswunder war 1996 die Ansiedelung des US-amerikanischen Chip-Herstellers AMD; weitere Unternehmen wie Infineon und Intel folgten, sodass heute etwa 40.000 Menschen in der Hochtechnologieproduktion arbeiten.
Hoch im Norden liegen – der Festlandküste der Ostsee vorgelagert – die Inseln Usedom, Rügen und Hiddensee. Jede von ihnen ist von eigenem Reiz. Während Hiddensee mit hügeligen Landschaften und langen Sandstränden lockt und zudem für den Autoverkehr gesperrt ist, fasziniert Rügen im Nationalpark Jasmund mit den Kreidefelsen der Stubbenkammer und den zum Weltnaturerbe der UNESCO zählenden Buchenhainen. Usedom ist vor allem für seine Bäderarchitektur berühmt – allen voran die Kaiserbäder Ahlbeck, Bansin und Heringsdorf. Allerdings gingen auch hier 40 Jahre Sozialismus nicht spurlos vorbei. Strandvillen verfielen ebenso wie Seebrücken oder Herrenhäuser und Kirchen im Binnenland der Inseln. Um so beeindruckender die Auferstehung nach 1990, die zur Wiederherstellung zahlreicher historischer Bauten führte. Eines der schönsten Beispiele hierfür ist der Wiederaufbau der Seebrücke von Sellin in den 90er Jahren.
Als die „Ossis“ 1990 mit der D-Mark die lange ersehnten Westwaren kaufen konnten, machten sie davon so umfangreich Gebrauch, dass ihre eigenen Unternehmen bald vom Markt verschwanden. Nicht so bei den Bieren. Hier hatten altehrwürdige Marken wie Radeberger, Lübzer undHasseröder nicht nur bei den Kunden einen hervorragenden Ruf. Auch zahlreiche Investoren aus dem In- und Ausland wussten um den Klang dieser Namen – und entwickelten die genannten und weitere Biere zu gesamtdeutschen Premiummarken.
Nach dem Zweiten Weltkrieg markierte die Saale in ihrem Oberlauf die Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik, weiter abwärts durchfloss sie das Mitteldeutsche Chemiedreieck – und wurde zu einem der am schlimmsten belasteten Fließgewässer Europas. Um so erfreulicher die Wiederkehr dieses vergessenen Idylls infolge der staatlichen Einheit und der Sanierung des einstigen Industriegebiets. Mit dem Naturpark Saale-Unstrut-Triasland und zahlreichen bedeutenden Städten wie Hof, Rudolstadt, Jena, Weißenfels, Naumburg, Merseburg und Halle sowie Burgen wie Saaleck, Rudelsburg, Giebichenstein und der Burg Wettin zählt die Saale heute wieder zu den großen Natur- und Kulturlandschaften unseres Landes.
Ein „Einheitsgewinner“ der besonderen Art ist Theodor Fontane. Im Westen nach der Zerschlagung des alten Preußen beinahe in Vergessenheit geraten, im Osten als Chronist der ungeliebten Welt der Junker vom offiziellen Kulturbetrieb nicht eben gefördert, erlebt der märkische Erzähler seit den 90er Jahren eine Renaissance. Als Autor von Romanen wie „Vor dem Sturm“ und „Der Stechlin“ sowie Verfasser der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ erzählt Fontane alten und neuen Brandenburgern die Geschichten eines preußischen Kernlandes, das einerseits in der Geschichte versunken ist – andererseits nicht zuletzt dank seiner Erzählungen unsterblich bleibt.
An der Kreuzung der beiden bedeutendsten Fernhandelsstraßen des alten Reiches – der Via Regia und der Via Imperii – gelegen, entwickelte sich Leipzig seit 1165 zu einem der wichtigsten Messeplätze Europas. Auch die DDR lud alljährlich zweimal zu einer internationalen Warenschau. 1996 wurde die Alte Messe durch ein neues Gelände im Norden der Stadt ersetzt. Markantestes Gebäude der Neuen Messe ist eine 238 Meter lange, 80 Meter breite und 30 Meter hohe Glashalle, entworfen vom Architektenbüro von Gerkan, Marg und Partner. Wenngleich Leipzig noch weit von seiner einstigen Bedeutung als führender Handelsplatz entfernt ist, so fanden zuletzt immerhin jährlich rund 40 Messen, 100 Kongresse und andere Veranstaltungen mit insgesamt 10.000 Ausstellern und 1,3 Millionen Besuchen auf dem Gelände der Leipziger Messe statt.
Tief im Osten der Republik liegt das schlesische Görlitz. Als bedeutender Handelsplatz entstanden hier seit dem Mittelalter prachtvolle Bürgerhäuser im Stile der Spätgotik, der Renaissance und des Barock. Im Zweiten Weltkrieg unbeschadet, verfiel die Stadt in der DDR dramatisch. Schon bald nach 1990 lockte die erhaltene Bausubstanz zahlreiche Liebhaber an, die die leerstehenden Häuser sanierten und mit neuem Leben füllten. Möglich wurde dies auch durch die Hilfe eines anonymen Spenders, der über 20 Jahre lang insgesamt rund zehn Millionen Euro überwies, die zur Sanierung von denkmalgeschützten öffentlichen, kirchlichen und privaten Gebäuden verwendet wurden. Rund 1500 Projekte konnten so bezuschusst werden – wodurch Görlitz heute wieder zu den schönsten Städten unseres Landes gehört.
Eine Schatzkammer der Kulturnation ist die Berliner Museumsinsel. Seitdem Friedrich Wilhelm III. 1810 bestimmte, auf der Spreeinsel „eine öffentliche, gut gewählte Kunstsammlung“ anzulegen, entstanden hier das Alte Museum, das Neue Museum, die Alte Nationalgalerie, das Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum) und das Pergamonmuseum. Diese präsentierten bedeutende Exponate der Weltkultur wie die Büste der Nofretete oder den Pergamonaltar. Mit der deutschen Teilung war nicht nur die Hauptstadt in zwei Hälften geteilt, sondern auch die Berliner Sammlungen. Die Einheit von 1990 ermöglichte auch ihre Wiedervereinigung.
Der ganze Reichtum einer Kulturnation zeigt sich zuweilen abseits der großen Wege und Plätze. An den Palais und Bürgerhäusern der kleinen Städte – oder an den Gotteshäusern draußen im Lande. Die deutsche Einheit ermöglichte auch die Rettung und Wiederherstellung zahlreicher Kirchen und Klöster, die in der DDR aus ideologischen Gründen oder aus Achtlosigkeit einer gottlos gewordenen Gesellschaft verwahrlosten. In Helfta und Memleben, in Jerichow und in Küstrinchen sowie an vielen weiteren Orten bewahrten die Stiftung Kirchenbau, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und zahlreiche private Bürgerinitiativen unzählige Gotteshäuser vor dem sicheren Verfall.
Dass die Sanierung von Altstädten kein Selbstzweck ist, zeigt das Beispiel von Stralsund. Als in der Spätphase des real existierenden Sozialismus die Mehrzahl der Häuser in der Hansestadt verfallen war, blieben oft nur noch die Alten hier wohnen. Die Jungen suchten, wann immer sie konnten, woanders eine Bleibe. Dies änderte sich erst, als nach 1990 die schrittweise Sanierung der Bürgerhäuser zu Füßen der Kirchen St. Jakobi, St. Marien und St. Nikolai begann. Mit jedem abgeschlossenen Projekt zogen nicht nur Gewerbebetriebe in die Stadt, sondern auch junge Familien, zumeist mit Kindern. So entstand neues Leben in alten Häusern.
Von allen großen Traditionen Mitteldeutschlands ist kaum eine so berührend wie der Leipziger Thomanerchor. Am 20. März 1212 bestätigte Kaiser Otto IV. die Gründung des Klosters St. Thomas mitsamt einer angeschlossenen Klosterschule. Die aufgenommenen Knaben hatten als Gegenleistung für die ihnen gebotene Ausbildung Dienst im Gottesdienst zu verrichten – darunter den liturgischen Gesang. Aus diesen Anfängen entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte eines der bedeutendsten Kapitel deutscher Musikgeschichte – mit Johann Sebastian Bach im Amt des Thomaskantors als unumstrittenem Höhepunkt. Keine Naturkatastrophe und kein politischer Wandel setzten dieser Geschichte ein Ende. Und so stehen auch heute jeden Sonntag ein paar Knaben in der Thomaskirche, um zur Ehre Gottes ihre wahrhaft himmlischen Stimmen erklingen zu lassen.
Mit ihren Schlössern, Palais und Villen gehört die einstige preußische Residenz-stadt seit Generationen zu den schönsten deutschen Städten. Ein furchtbarer alliierter Luftangriff in den letzten Kriegstagen und der „Wiederaufbau“ zu einer sozialistischen Musterstadt zerstörten das historische Flair scheinbar irreversibel. Hinzu kam die Lage an der Grenze zu West-Berlin, wodurch zu DDR-Zeiten insbesondere die idyllischen Wasserwege hermetisch abgeriegelt waren. Zum Symbol der Teilung an dieser Stelle wurde die Glienicker Brücke. Mit dem Untergang der DDR erwachte auch Potsdam zu neuem Leben. Zahlreiche Villen und historische Bauten wie das Belvedere wurden aufwendig saniert, und im wiederaufgebauten Stadtschloss sitzt seit 2014 der brandenburgische Landtag.
Als die Rote Armee 1994 aus Deutschland abzog, hinterließ sie nicht nur zahlreiche marode Kasernen und Wohnhäuser, sondern auch schwer verseuchte Böden. Diesel und Kerosin, Munitionsreste und sonstiger Sperrmüll waren jahrzehntelang ungehindert im Erdreich versickert, beziehungsweise dort verscharrt worden. Die Beseitigung dieser Altlasten wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen, gehört jedoch zu den größten Erfolgen des Einigungsprozesses.
Lesen Sie hier den ersten Teil unserer 30 kleinen Geschichten.
Chris Benthe am 29.10.20, 08:07 Uhr
Tolle Serie ! Stärkt das Heimatgefühl und die deutsche Identität ! Danke !
Michael Holz am 09.10.20, 09:16 Uhr
"... dass der Jahrestag trotz mancher Probleme ein Grund zum Feiern ist"
Nein Herr Nehring, für mich war es nur eine "Widervereinigung" - kein Grund zum Feiern. Sie beschreiben die positive Entwicklung im Osten. Gut. Aber wir leiden unter der kommunistischen Ideologie der 68. Wessis und der Altkader der SED. Merkel ist kein Zufall!
sitra achra am 06.10.20, 18:10 Uhr
*Siegfried Hermann: bei einer echten Wiedervereinigung, wie Sie sie ansprechen, wäre Deutschland autark und nicht auf die EU angewiesen. Alle Deutschen hätten mit angepackt und Deutschland innerhalb kürzester Zeit wiederhergestellt. Davon hätten in erster Linie die Russen profitiert und der eurasische Kontinent wäre ein wahrhaft friedliches Gebiet für alle Mitglieder geworden. Diese wünschenswerte Wiedervereinigung der eurasischen Völker steht leider in den Sternen. Hoffentlich wird sie eines Tages wahr!
Konrad Wasielewski am 04.10.20, 20:43 Uhr
Bezeichnend, Ihre kleine Übersicht über die "Wendelitaratur". Es fehlt ein Roman eines Literaturnobelpreisträgers ("Ein weites Feld"). Woran das wohl liegen mag ... grübel, grübel ...
Wer ihn liest, findet es heraus. (Kleiner Tip: dem Roman fehlt die "richtige" Haltung.)
Siegfried Hermann am 04.10.20, 14:42 Uhr
Sehr schöner Artikel.
Müsste allerdings heißen: Wiederaufbau Mittel-Deutschlands
Warum das "Wunder" überhaupt passiert ist? Es gab auch die etwas leiseren Stimmen im Ausland, die sagten: Jetzt sind wir die Deutschen für die nächsten 50 Jahre los. Die sind mit sich selber beschäftigt. In Paris, Rom, Madrid wäre man gar nicht schlecht gelaunt gewesen, wenn der Osten Deutschlands: Pommern, Ostpreußen, Schlesien, Danzig und Memelland dabei gewesen wäre und 100 Jahre Selbstbeschäftigung dabei raus gekommen wäre. Nur die Eiserne Lady gönnte uns gar nichts und hat nachgetreten, wo sie nur konnte.
Allerdings muss auch festgehalten werden, das im Westen seit dem gespart, gestreckt, oder schlicht Streichung baulicher Unterhaltung mit Vorsatz bis zum Abbruch gilt.