10.09.2025

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Gestaltete, wo andere nur redeten: Hans Stimmann, hier in der Berliner Friedrichstraße
Bild: Ullstein BildGestaltete, wo andere nur redeten: Hans Stimmann, hier in der Berliner Friedrichstraße

Kultur

Abschied von einem Macher

Nachruf auf Hans Stimmann

Wilhelm v. Boddien
10.09.2025

Der mächtige Senatsbaudirektor von Berlin, wohl der bedeutendste Städtebauer im Deutschland nach der Wiedervereinigung, bestimmte mit seiner „Kritischen Rekonstruktion“, der Definition von Traufhöhe und Lochfassade, seit 1991 über Jahrzehnte, wie Berlin mit seiner durch die Teilung verödeten Mitte im Wiederaufbau auszusehen hatte. Die Stadt wurde damals zum Tummelplatz von Spekulanten, denen die Gestalt der künftigen Stadt eigentlich egal war. Hans Stimmann blockte das ab, er entschied zügig nach klaren Richtlinien, er war ein Macher. Heute quält sich Berlin wieder mit ausufernden, endlosen Architekturdebatten. Bestes Beispiel dafür ist der Streit um die Rekonstruktion der Schinkelschen Bauakademie. Schon vor sieben Jahren bewilligte der Deutsche Bundestag 62 Millionen Euro für deren Wiederaufbau – und es gibt noch nicht einmal baureife Baupläne. Das wäre unter Hans Stimmann nicht passiert.

Stimmann kam aus Lübeck, war dort Bausenator, hatte vor seinem Studium eine Maurerlehre absolviert und bei den Jusos gelernt, wie man sich durchsetzen kann. Er regierte das Baugeschehen mit einer ihm hörigen Hausmacht. Er war entschlussfreudig. Stimmann war kein Mann des Berliner Konsenses, wie diesen Neil McGregor, der Gründungsintendant der Stiftung Humboldt Forum, beschrieb. Der frühere Chef des British Museum in London gab 2018 auf und sagte bei seinem Abschied nach drei Jahren, er hätte hier viel gelernt: So herrsche in Berlin Konsenspflicht, und wenn es keinen Konsens gäbe, dann würde dort auch nichts stattfinden. Und Konsens ist in Berlin immer noch ein Fremdwort, die Stadt erstickt in ihrer Kakophonie. Wichtige Entscheidungen werden zerredet, begleitet von Mutlosigkeit, bewusst halbherzig gemachten Vorschlägen, die niemanden begeistern, sondern nur, um mögliche Lösungen zu vertagen.

Keine Angst vor der Prominenz der Weltarchitekten
Stimmann jedoch entschied einfach, wenn er meinte, dass genug diskutiert worden sei. Er führte mit fester Hand – und dann geschah auch etwas. Ohne ihn wäre der Pariser Platz in seiner heutigen Form nicht entstanden, ohne seine Vorbereitung auch nicht der Leipziger und schon gar nicht der Potsdamer Platz. Er hatte keine Angst vor der Prominenz der Weltarchitekten, die er nach Berlin holte und auch nicht vor politischen Möchtegerns. Stimmann war der Flaschenhals, durch den alles hindurchmusste, ohne dessen Zutun kein Bauprojekt in Mitte gebaut werden konnte.

Frank Gehry, der Architekt des berühmten Kunstmuseums in Bilbao, baute am Pariser Platz nahe dem Brandenburger Tor das Geschäftshaus der DZ-Bank. Er bezeichnet dieses äußerlich schlichte Haus als eines seiner wichtigsten und gelungensten Bauwerke. In Bilbao glänzte er noch mit einer Kunsthalle, die alle konventionellen, architektonischen Rahmen sprengte. Üppige, zu Skulpturen gefaltete riesige Bleche entkoppelten das Innere seiner Bauwerke von der berauschenden Wirkung der äußeren Fassade. So machten Gehrys Bauten äußerlich den Eindruck, nicht als großes Haus, sondern als Skulptur geplant worden zu sein.

Hans Stimmann entzauberte Gehry und zwang ihn, seine kritische Rekonstruktion zu akzeptieren. So entstand mit der DZ-Bank ein äußerlich streng rational gestaltetes Bauwerk. Im Inneren aber verzaubert Gehry die Besucher, er verlegte die gewohnte Skulptur in das Bankgebäude hinein und entwarf dort spielerisch einen begeisternden, gläsernen Walfisch, einen architektonischen Moby Dick. So gelang es Stimmann, den Pariser Platz selbst so ruhig und einheitlich zu gestalten, dass das Brandenburger Tor die Dominante blieb. Lediglich der von ihm nicht mehr verantwortete Bau von Behnischs Akademie der Künste fällt aus dem Rahmen und wurde zum Störfaktor.

Einem anderen Bauherrn an der Friedrichstraße versagte er dessen Pläne, dort die nur alte Architektur der Gründerzeit wiederaufzunehmen. Ihm wurde beschieden, mit welchen Architekten aus dem Stimmann-Kreis er den Bau zu gestalten hätte – und wer in die Jury zu berufen sei. Wenn er das nicht täte, würde es keine Baugenehmigung geben. So entstand dort ein prägendes Ensemble aus schlicht-modernen und geretteten historischen Gebäuden.

Hans Stimmann konnte in seinem Spott, ja, der Verachtung seiner Gegner ätzend sein. Er konnte bei Publikumsdiskussionen ausfallend werden. Auch mich nahm er damals wegen des Schlosswiederaufbaus auf die Hörner. Aber das hat mich vergnügt, ich brauchte bei meiner Arbeit immer wieder solche Reibungsflächen, und wenn es nur galt, dadurch meine eigene Überzeugungs- und Durchsetzungskraft zu erkennen. Ich respektierte und mochte ihn. Die Rekonstruktion des Schlosses war ihm anfangs zuwider, schon aus Juso-ideologischen Gründen. Als er aber sah, wie das Schloss die Mitte wieder verklammerte, machte er mir gegenüber seinen Frieden mit dem Riesenbau. Und so entwickelte er noch nach seinem Abschied im Team mit Berliner Architekten der zweiten Generation stimmige Pläne zur Rückgewinnung der alten Berliner Innenstadt auf dem Gelände des aus der DDR stammenden Marx-Engels-Forums zwischen der Marienkirche und dem Roten Rathaus, aber auch die fanden keine Berücksichtigung – und geschehen ist dort bislang nichts.

Trotz aller Machtfülle immer wieder bereit, dazuzulernen
Von Hans Stimmann habe ich viel gelernt: Überzeugungen zu artikulieren und durchzusetzen; Leidenschaft für seine Aufgaben zu haben, gerade in Berlin. Und ich bewunderte ihn dafür, dass er trotz aller Machtfülle selbst immer wieder dazulernte, auch wenn es ihm schwerfiel, wie er auf die öffentliche Kritik an seiner kritischen Rekonstruktion reagierte und sie weiterentwickelte und sich so einem langlebigen Stadtbild annäherte. Nein, er erkannte nach und nach, wie nötig es doch war, behutsamer auf die Bedürfnisse des Schmelztiegels Berlin mit über 150 Ethnien aus aller Welt so einzugehen, das Berlin immer noch Berlin bleiben durfte. So zollte die Stadt ihm nach und nach die verdiente Anerkennung. Ich bewundere Leute, die in ihrer Jugend konträr zum Establishment kämpferische Überzeugungen entwickeln, dann aber über ihre Erfahrungen Ideologien kippen können und in diesem Prozess des Erfahrens eine hohe Reife, ja Weisheit entwickeln.

Hans Stimmann war so ein Mensch. Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit, er hat Berlin eine Struktur gegeben, die lange halten wird. Man wird ihm danken müssen.

Wilhelm v. Boddien ist Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss. www.berliner-schloss.de 


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