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Viele DDR-Bewohner fielen dem bulgarischen Grenzregime zum Opfer – Sofia und Berlin zeigen wenig Interesse an Aufarbeitung
Inzwischen ist Bulgarien Partner der Bundesrepublik Deutschland in NATO und EU und wird nun sogar in die Europäische Währungsunion aufgenommen. Vor dem Ende des Kalten Krieges machten viele Mitteldeutsche jedoch eher negative Erfahrungen mit dem damaligen Bruderland.
Wie die DDR gehörte auch Bulgarien damals zur sozialistischen Staatengemeinschaft, zum Ostblock. Der Balkanstaat grenzte an die NATO-Mitglieder Griechenland und Türkei sowie das blockfreie Jugoslawien. Dies veranlasste etliche DDR-Bewohner, während ihres Urlaubs in dem Land die Flucht in den Westen zu wagen.
Allerdings war das bulgarische Grenzregime ab 1952 ähnlich streng wie das der DDR. Sechs bis 15 Kilometer vor der Grenze lag eine Sperrzone, die nur mit polizeilicher Genehmigung betreten werden durfte. Und zwei Kilometer vor dem eigentlichen Grenzzaun gab es noch einen Signalzaun, dessen Überwindung die Grenzwächter alarmierte. Darüber hinaus besaß die bulgarische Staatssicherheit (DS) ein regelrechtes Heer von Zuträgern in den Grenzgebieten. Dazu gehörten über 4000 „Vertrauenswürdige Personen“ unter der Bevölkerung, die mit Geld- und Sachprämien motiviert wurden und zum Teil auch Waffen erhielten.
Des Weiteren galt für die Grenztruppen der Volksrepublik ab August 1952 ein ausdrücklicher Schießbefehl. Aus den noch existierenden Akten geht hervor, dass an den bulgarischen Grenzen bis 1989 mindestens 400 Personen durch Waffeneinsatz getötet wurden.
Um der Flucht von DDR-Bewohnern über Bulgarien in den Westen vorzubeugen, kooperierte die Stasi in Berlin ab 1954 und insbesondere ab 1967 mit dem bulgarischen Partnerdienst. Gleichzeitig entsandte die Stasi eigene Leute nach Bulgarien, die in Observationsgruppen mit bis zu 20 Mitgliedern agierten oder sich unter DDR-Urlauber mischten, um deren Fluchtpläne aufzudecken.
Das war eine Reaktion der SED-Führung in Ost-Berlin auf die steigende Anzahl von Fluchten über Bulgarien nach dem Mauerbau im August 1961. 1962 registrierte die bulgarische Staatssicherheit 89 Fluchtversuche von DDR-Bürgern, von denen neun erfolgreich waren. Drei Jahre später gab es bereits 140 solcher „Grenzverletzungen“, davon 30 mit positivem Ausgang für die Flüchtlinge. Und 1966/67 zählte der DS jeweils fast 300 „Angriffe auf die Grenze“ durch Deutsche.
Alles in allem sollen rund 2000 Menschen aus der DDR versucht haben, über Bulgarien in den Westen zu gelangen, und etwa 500 schafften dies auch. Der Rest wurde festgenommen und zur Aburteilung in die „Heimat“ überstellt. Außerdem endete der Versuch, den Eisernen Vorhang auf dem Balkan zu überwinden, für mindestens 16 DDR-Bürger mit dem Tod. Das Vorgehen der bulgarischen Grenzer dabei lief mehrfach auf lupenreinen Mord hinaus.
Typisch ist hier beispielsweise der Fall von Günter Pschera, der sich am 31. August 1967 gemeinsam mit seinem Freund Peter Müller an die bulgarisch-türkische Grenze bei Evrenezovo heranschlich. Das bemerkten einige Kinder, die sogleich den Bürgermeister Vasil Dimitrov benachrichtigten, der seinerseits die Grenztruppen alarmierte. Bei Anbruch der Nacht kampierten Pschera und Müller in einer Sandgrube drei Kilometer vor der Grenze. Dort trafen kurz nach Mitternacht vier Grenzer ein. Die Soldaten feuerten ohne jegliche Vorwarnung aus fünf Metern Entfernung auf die Schlafenden und prügelten dann auch noch mit ihren Gewehrkolben auf die Angeschossenen ein. Pschera starb infolgedessen, während Müller trotz zweier Treffer in den Bauch überlebte und nach Ost-Berlin ausgeflogen wurde, wo er wegen des Versuchs des „ungesetzlichen Verlassens der DDR über das sozialistische Ausland“ ins Gefängnis wanderte. Um ihren Mord zu kaschieren, drückten die bulgarischen Grenzer dem toten Pschera ein Messer in die Hand und fälschten Fußspuren am Grenzzaun, wonach sie dann von einem „scharfen Gefecht mit den Grenzverletzern“ fabulierten.
Das zweite markante Beispiel für einen bulgarischen Grenzmord ist die Erschießung von Brigitte von Kistowski und Klaus Prautzsch am 13. August 1975 an der griechischen Grenze bei Dospat. Obwohl sich die beiden Flüchtigen schon auf dem Territorium des Nachbarlandes befanden, wurden sie mit 140 Schüssen in den Rücken niedergestreckt und dann tot auf bulgarischen Boden zurückgezerrt.
Ebenso deutet im Falle von Reinhard Poser aus dem damaligen Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, vieles auf Mord hin. Der 21-Jährige soll sich am 8. August 1974 bei Rezovo „mit dem Gesicht zum Landesinnern in Richtung Türkei bewegt“ haben, als die bulgarischen Grenzer das Feuer auf ihn eröffneten, woraufhin er 20 Meter vor der türkischen Grenze verstarb. Dass Poser im Rückwärtsgang fliehen wollte, erscheint vollkommen absurd – vielmehr war er wohl im Begriff, sich zu ergeben, als die Kugeln ihn frontal trafen.
Bezeichnend ist des Weiteren der Fall von Frank Schachtschneider. Dessen Tötung am 19. August 1988 wurde von den Grenzern damit erklärt, einer ihrer Spürhunde habe sich in den Arm des Schützen Pantelejmonov verbissen, woraufhin aus einem Warnschuss ein versehentlicher Volltreffer in den Hinterkopf geworden sei.
Dubios waren darüber hinaus die Umstände des Todes der gleichermaßen mit Kalaschnikow-Feuerstößen niedergestreckten DDR-Bewohner Werner Gambke, Karl-Heinz Engelmann, Siegfried Gammisch, Wera Sanders, Eberhard Melichar, Bernd Schaffner, Rudolf Nettbohl, Detlef Heiner, Andreas Stützner und Michael Weber. Auch hier muss man vom ungerechtfertigten Gebrauch der Waffe ausgehen.
Perfide war indes nicht nur die Tötungslust mancher bulgarischer Grenzer, sondern auch deren Umgang mit den Opfern. Bis Mitte der 70er Jahre wurden diese anonym im Grenzstreifen verscharrt. Erst der massive Protest der Angehörigen über das Internationale Rote Kreuz erzwang einen würdigeren Umgang mit den sterblichen Überresten.
Die juristische Aufarbeitung des bulgarischen Grenzregimes und der illegalen Tötung von Flüchtlingen unterblieb bis zum heutigen Tag. Viele Akten des DS und der Grenztruppen verschwanden nach und nach, sodass nur noch Teile der Unterlagen erhalten blieben. Proteste der Bundesregierung gegen das bulgarische Vorgehen gab es bis heute keine, und eigene Ermittlungen zur Identifizierung der Täter stellten die deutschen Behörden auch niemals an. Bulgarien in die NATO und EU zu integrieren, hatte wohl Vorrang für Berlin.