20.04.2024

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Die blaue Schule

Alter Stützpunkt – moderne Ausbildung

Marinetechnikschule mit einem beeindruckenden Ausbildungsspektrum

Peer Schmidt-Walther
11.01.2021

Der größte Betrieb im unmittelbaren Einzugsbereich von Stralsund ist Corona-bedingt in seiner Arbeitsfähigkeit genauso eingeschränkt wie andere Betriebe auch. Kapitän zur See Oliver Jülke, Kommandeur der Marinetechnikschule (MTS), muss wie seine Chef-Kollegen von zivilen Einrichtungen die angeordneten Maßnahmen uneingeschränkt anwenden. Das betrifft nicht nur das Stammpersonal von rund 600 Soldaten und Zivilbeschäftigten, sondern auch über 5000 Lehrgangsteilnehmer jährlich, die durch 400 Ausbilder auf ihre neue Tätigkeit in der Marine vorbereitet werden.

„Das läuft alles weiter“, so Stabsbootsmann Nicole Kubsch. Dazu muss man wissen, dass die MTS in Parow mehr als 180 verschiedene Lehrgänge, die Trainingstypen genannt werden, absolviert. Dabei reicht das Spektrum der Ausbildung von wenigen Tagen bis hin zu 21 Monaten Trainingsdauer. Täglich befinden sich dabei rund 1.500 Trainingsteilnehmer an der Schule.

Ob Matrose, Unteroffizier oder Offizier – im technischen Bereich durchlaufen sie alle ihre Grund-, Fach- oder Systemausbildung in Parow vor den Toren Stralsunds. Marineelektronik, Informationstechnik, Schiffstechnik und Seemännischer Dienst, Waffenmechanik- und Elektronik sowie die zivil anerkannte Aus- und Weiterbildungen sind nur einige Facetten der vielfältigen Ausbildung der Marinetechnikschule. Eine besondere Auszeichnung war im September 2009 die offizielle Anerkennung als „Fachschule der Marine für Technik“ und die damit verbundene Ausbildungs- und Prüfbefähigung zum staatlich geprüften Techniker.

Exponierte Lage

Die MTS hatte im Übrigen einige Vorläufer: Sie ist aus den vormaligen Schulen und selbstständigen Lehrgruppen der Deutschen Marine in Kiel, Brake, Neustadt, Bremerhaven, List und Westerland auf Sylt, Kappeln, Eckernförde, Flensburg sowie Borkum hervorgegangen. Die eingesparten Betriebskosten für die alten Lehreinrichtungen betragen jährlich ungefähr 25 Millionen Euro. Damit haben sich die Baukosten bereits amortisiert.

Das Bundesministerium der Verteidigung und die Landesbauverwaltung Mecklenburg-Vorpommern erarbeiteten seit 1992 ein Konzept, das über die funktionellen Aufgaben hinaus einen Hochschul-Campus anstrebte. Die Grundidee für die Gesamtplanung basiert auf einer Analyse der Landschaftsstruktur.

Die außergewöhnlich exponierte Lage galt es, für die Schule erlebbar zu machen: Vom Bootshafen der Marinetechnikschule aus sind im Norden die Insel Hiddensee, gegenüber Rügen, im Süden die neuerbaute Rügenbrücke sowie die Stadtsilhouette der Hansestadt Stralsund zu sehen. Es wurde weiterhin Wert auf kurze Wege gelegt.

Die feierliche Grundsteinlegung durch den damaligen Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe, war ein wichtiger Wendepunkt. Am 30. November 1992 wurde damit der Weg für den Aufbau der größten und modernsten Schule der Deutschen Marine geebnet. Am 28. März 1996 wurde die Marinetechnikschule dann offiziell in Dienst gestellt.

Schon im Januar 1993 begann die Ausbildung der ersten Soldaten zu Radio- und Fernsehtechnikern. Die Infrastruktur war größtenteils veraltet und machte eine komplette Neuplanung erforderlich. Nur wenige Gebäude waren erhaltenswert.

Anfang 2005 schloss der dritte Bauabschnitt mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 250 Millionen Euro ab. Bemerkenswert ist, dass die ursprünglich geplante Investitionssumme des 13-jährigen Projekts nicht überschritten wurde. Insgesamt war die Marinetechnikschule das größte Investitionsprojekt der Bundeswehr in den neuen Ländern. Das Ergebnis ist die erste Kaserne, die seit Jahrzehnten praktisch neu erbaut wurde. Besonderer Ausdruck des maritimen Charakters ist der als Anker gestaltete Grundriss der Schule, den man aus der Luft gut erkennen kann.

Die heutige Marinetechnikschule (MTS) liegt mit ihrer Gesamtfläche von 95 Hek­tar (Gesamtliegenschaft 250 Hektar) direkt am Strelasund. Der kleine Ort Parow gehört politisch zur Gemeinde Kramerhof, die direkt an Stralsund grenzt.

Seit fast 160 Jahren ist – mit Unterbrechungen – die deutsche Marine am Strelasund präsent. Es begann mit der Gründung der ersten deutschen Marine auf Beschluss der Abgeordneten der Frankfurter Paulskirchenversammlung. Schwarz-Rot-Gold wehte beim Stapellauf des ersten Kanonenbootes im August 1848 hier vor den Toren Rügens. Stralsund kann daher als Wiege der Deutschen Marine angesehen werden.

Bewegte Geschichte

In der späteren Zeit wurden auf dem Dänholm, der Schwedenschanze und in Parow Kasernen errichtet. Davon ist heute nur noch der Standort Parow im Landkreis Vorpommern-Rügen übrig geblieben. Mit dem Ankauf von 183 preußischen Morgen (zirka 46,7 Hektar) Land durch die Deutsche Verkehrsfliegerschule GmbH (DVS) am 12. Oktober 1934 begann die militärische Geschichte des Standortes Parow. Die DVS war eine Tarnorganisation zum geheimen Aufbau der Luftwaffe. Im Jahr 1935 war dann Baubeginn des Land- und Seefliegerhorstes, nachdem bereits im Vorjahr – bezeichnenderweise vor Kaufvertragsunterzeichnung – der Bau von Zufahrtsstraßen begann.

Während der Kriegsjahre waren Luftwaffendienststellen der deutschen Wehrmacht in Parow stationiert. Die verschiedensten Flugzeugtypen, unter anderem „Dornier Do 15 Wal“ oder „Junkers Ju 52“, starteten von hier in den vorpommerschen Himmel. Dazu dienten die Grasbahn und das Wasser des Strelasunds.

Die Luftwaffe räumte den Fliegerhorst am 28. April 1945 weitestgehend unzerstört. Die Unterkunftsgebäude wurden dann zur Unterbringung von Flüchtlingen aus Pommern und Ostpreußen genutzt. Bereits März/April 1945 kamen Flüchtlinge auf dem Luftwege nach Parow.

Nur sieben Unterkunfts- und ein Wirtschaftsgebäude blieben nach Sprengungen und Demontagen übrig. Dampfflüge umbrachen das Flugfeld. Im Zuge der Bodenreform 1947 verteilte man das Land an Neubauern. Über 90 Prozent des Gebäudebestandes der Vorkriegszeit sind heute nicht mehr vorhanden.

Anfang 1950 begann der Aufbau der Seepolizeischule, die am 5. August 1950 eröffnet wurde. Als Folge mussten alle Flüchtlinge und Neubauern bis März 1952 ihre Wohnungen räumen. Im Zeitraum von 1950 bis zur Gründung der Seestreitkräfte der DDR im Jahr 1956 nutzen verschiedene Einheiten die Kasernenanlage. Unter anderem die Unterführer- und Mannschaftsschule, die Räumflottille, der Stab der Volkspolizei und die Nachrichtenoffiziers-Lehranstalt.

Die aus der Volkspolizei See hervorgegangenen Seestreitkräfte – ab 1960 Volksmarine – benannten die Unterführer- und Mannschaftsschule in Flottenschule um. Nach mehreren Umstrukturierungen erhielt sie 1970 den Namen „Walter Steffens“ und hatte bis zum 2. Oktober 1990 Bestand. Bis Ende 1981 waren Schulschiffe und Schulboote und auch zeitweise die Torpedoschnellbootsbrigade in Parow stationiert, ab März 1960 Hubschrauber auf dem ehemaligen Flugfeld. Aus einer Seekette entstand das Marinehubschraubergeschwader 18 „Kurt Barthel“ (MHG-18), das bis 1990 Bestand hatte.

Die deutsche Vereinigung brachte am 3. Oktober 1990 erneut eine große Zäsur. Es wurden die Schulen der Volksmarine im Bereich Stralsund zur Marineschule Stralsund (MSS) mit drei Lehrgruppen zusammengefasst. In Parow war die Lehrgruppe B untergebracht. Die MSS wurde schrittweise bis Ende Juni 1991 und das MHG-18 wurde zur Marinefliegerhubschrauber Gruppe Parow umgegliedert und Ende 1994 aufgelöst.

Nichts ist beständiger als der Wandel, könnte man die bewegte Geschichte des Standortes überschreiben.


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Kommentare

sitra achra am 15.01.21, 10:52 Uhr

Dieser Stützpunkt fände seinen eigentlichen Sinn darin, der Nato als Ausgangspunkt für einen Aggressionsakt gegen einen nicht näher zu erwähnenden Gegner zu dienen.
Und das nach zwei verlorenen "Weltkriegen"!

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