27.02.2025

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Sieger mit skeptischem Blick nach vorn: Friedrich Merz am Abend der Bundestagswahl
Bild: picture alliance/photothek.de/Florian GaertnerSieger mit skeptischem Blick nach vorn: Friedrich Merz am Abend der Bundestagswahl

Aufbruch oder Untergang

Das Ergebnis der Bundestagswahl war gleich in mehrfacher Hinsicht unzeitgemäß. Vor allem die Union und die SPD müssen sich nun fragen, ob sie endlich in die Gegenwart starten oder sich weiter an die Vergangenheit fesseln wollen

Klaus-Rüdiger Mai
27.02.2025

Deutschland hat gewählt – und das Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht paradox, doch selbst in seiner Paradoxie vollkommen logisch. Denn es ist die Logik des Anachronismus, die zur Paradoxie führt.

Der erste Widersinn findet sich in dem Fakt, dass die Deutschen, indem sie für ihre Lieblingskoalition gestimmt haben, wie sie von den meisten Wähler erhofft wurde, nämlich eine schwarz-rote Koalition, gleichzeitig das traditionelle Parteiensystem der Bundesrepublik auflösten. Die Wahlsieger vom vergangenen Sonntag sind eindeutig die AfD und die Linkspartei.

Die Union ist lediglich mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davongekommen. Sie hat zwar ihr Wahlergebnis um 4,4 Prozent im Vergleich zu 2021 verbessern können, doch steht am Anfang ihres Wahlergebnisses eben keine Drei, sondern nur eine magere Zwei. Potentialanalysen zeigten hingegen, dass der mögliche Stimmenumfang der Union angesichts des Ampel-Streits, der Wirtschafts- und der Migrationskrise bei rund 38 Prozent liegt. Doch erreicht wurden nur 28,5 Prozent.

Dass die Diskrepanz zwischen Potential und tatsächlichem Ergebnis so groß ist, dürfte vor allem auf das Konto von Kanzlerkandidat Friedrich Merz gehen, der mit seinem erratischen Wahlkampf und seiner Neigung, immer wieder den Zuspruch des grünen Establishments zu suchen, regelmäßig Freunde und Gegner verschreckte. Viele Wähler, die eigentlich Union wählen würden, trauten darum dem unsicheren Kantonisten Merz, der politisch zuweilen wie eine Pappel im Wind wirkt, ganz einfach nicht.

Beschädigte Volksparteien
Zu den ersten Ankündigungen von Merz nach der Wahl gehörte es, dass er noch mit dem alten Bundestag, mit den Roten und Grünen die Schuldenbremse kippen will, was er selbst „reformieren“ nennt. Kann es da verwundern, dass eine Million Wähler der Union ihre Stimme nicht einem Mann geben wollten, der immer wieder zu Robert Habeck schielt? Was die Grünen betrifft, schwankte Merzens Wahlkampf zwischen Schimpfen und Schielen. Doch schlug diese Wählerabwanderung nicht ins Kontor, weil 1,76 Millionen potentielle SPD-Wähler den Sozialdemokraten noch weniger zutrauten, die grüne Zerstörung der deutschen Wirtschaft und des Wohlstandes zu stoppen. Auch schreckte sie die Politik der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die sich so sehr in den „Kampf gegen Rechts“ verbissen hat – wobei bei Grünen und Parteiapparatssozialdemokraten „rechts“ hart an der eigenen Parteigrenze beginnt –, dass sie sich außerstande zeigte, der Erosion der inneren Sicherheit zu wehren. Mannheim, Frankfurt, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München sind in gewisser Weise auch Mahnmale von Faesers verfehlter Innenpolitik. Im Ergebnis haben 750.000 einstige Wähler der SPD unter Umgehung der Union gleich ihr Kreuz bei der AfD gemacht.

Wenn 2,5 Millionen Wähler, die von der SPD zur Union und zur AfD gewandert sind, dem philogrünen Establishment der Sozialdemokraten nicht zu denken geben, wenn den Genossen nicht auffällt, dass Handwerker, dass Facharbeiter, dass die „kleinen Leuten“, wie die SPD diejenigen nannte, für die sie Politik zu machen vorgab, darunter viele Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, dass ihre Interessen, die darin bestehen, eine prosperierende Wirtschaft, einen erreichbaren Wohlstand, die innere Sicherheit, eine funktionierende Infrastruktur, eine Chance auf dem Wohnungsmarkt, bezahlbare Energie zu sichern, nicht mehr von den SPD-Funktionären im Wolkenkuckucksheim von Neu-Versailles namens Berlin-Mitte vertreten werden, dann ist der SPD nicht mehr zu helfen, dann geht sie den Weg der Grünen in die politische Bedeutungslosigkeit.

Die ehemals bestimmenden Parteien der Bundesrepublik sind geschwächt: die Union noch Volkspartei, die SPD längst nicht mehr, nun auch noch im freien Fall, die FDP nicht mehr vorhanden – und das nicht nur, weil sie nicht mehr im Bundestag vertreten sein wird, sondern weil sie selbst nicht mehr weiß, wer sie ist. Und die Partei, die das langjährige Dreierkränzchen der Parteien zum Viererkränzchen erweiterte, die Grünen, lernt in diesen Tagen, was Geschichte ist – nämlich sie selbst.

Klammern an den grünen Zeitgeist
Jetzt vollzieht sich der historische Bruch, den Merkels Zerstörung der politischen Statik durch die Politik der Alternativlosigkeit und der asymmetrischen Demobilisierung ungewollt vorbereitet hat. Ihre Politik des eigenen Machterhalts kann mittelfristig zum Verlust der Macht der Union führen, wenn sie sich nicht aus der grünen Selbst-Umklammerung befreit. Das ist das zweite Paradoxon: Merkels Politik und die Politik ihrer Nachfolger zum Gewinn und Erhalt von Macht wird zum Verlust von Macht führen.

Das dritte Paradoxon würde eintreten, wenn in einer schwarz-roten Koalition die Union meinen sollte, den Part der Grünen geben zu müssen. In der sogenannten Elefantenrunde des Wahlabends begab sich Merz jedenfalls mit Habeck in einen fast freundschaftlichen Wettbewerb darüber, wessen Töne Amerika-kritischer klangen. Paradoxerweise blieb es dem Sozialdemokraten Olaf Scholz vorbehalten, staatsmännisch daran zu erinnern, dass die USA unser Bündnispartner sind und bleiben müssen und alle Träume, als „Europa“ Großmacht zu werden, absurd sind.

Was Scholz explizit nicht aussprach, war, dass die Träume von Habeck und Merz nicht einmal vor dem Fenster, sondern lediglich vor dem Spiegel geträumt waren. Denn wenn Merz oder Habeck doch einmal im Halbschlaf blinzelten, erblickten sie durch ihre Wimpern nur sich. Wie der große spanische Maler Francisco José de Goya einst dargestellt hat: Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer.

Die Rückkehr der Nationalstaaten
Mit anderen Worten: Wenn Habeck und Merz von Europa reden, reden sie im Grunde nur über Deutschland, und im Grunde noch nicht einmal über Deutschland, sondern über die eigentümliche Wahrnehmung im Spiegelkabinett von Neu-Versailles in Berlin-Mitte, über die egozentrische Weltwahrnehmung der abgehobenen Protagonisten des Berliner Politikbetriebes, über die Kurt Tucholsky bereits vor hundert Jahren spottete: „Verdumpft, verengt, verpennt, blockiert,/so geht das seit zehn Jahren./Wie sind die Deutschen dezimiert,/die einst von Goethe waren!..../Da draußen kümmert sich kein Bein/um eure Fahrdienstleiter./Ihr könnt Hep-Hep und Hurra schrein:/die Welt geht ruhig weiter./Die Völker leben. Freude lacht./Wir stehn in letzter Reihe./Was sich bei uns so mausig macht,/das sollte mal ins Freie!“

Das größte Paradoxon aber, das zudem die Unwirklichkeit unserer politischen Verhältnisse erklärt, besteht im Anachronismus Deutschlands. Deutsche Politiker, deutsche Medien, deutsche Kulturschaffende leben in der Welt abgelebter Utopien, die sich so sehr blamiert hatten, dass man 1989 zu hoffen wagte, ihnen niemals wieder zu begegnen. Doch sie haben sich nur eskamotiert, sind also nur wie bei einem Zaubertrick verschwunden, und werden von den postdemokratischen Eliten von CDU bis zu den Grünen nur dürftig ausgebessert als „liberale Demokratie“, als „liberales Projekt des Westens“ präsentiert. Diese Demokratie jedoch hat sich in der „Willkommenskultur“ und im Pandemie-Staat in Wahrheit als wesentlich illiberal erwiesen, wie eben der Terminus „unsere Demokratie“ nur ein Flitterkleidchen für eine im Kern grünsozialistische Demokratie ist, weil ihr Schutz und Schwert, die wehrhafte Demokratie als verwehrte Demokratie eingesetzt werden soll.

Doch die Welt verändert sich tiefgreifend. Neue Mächte steigen auf, alte ab, Volkswirtschaften erneuern sich – oder sie werden zum Museum der Erneuerbaren Energien. Gesellschaften entdecken das Leistungsprinzip neu oder ihr Wohlstand zerfällt zu einer Ruine der Leistungen früherer Generationen. Die Finanzindustrie lässt kontrolliert die Luft aus der grünen Blase, verabschiedet sich aus dem „Green Deal“ – und investiert kräftig in die neue Blase, in die KI. Billige, sichere Energie sowie eine hohe und rasante Innovationsfähigkeit, verbunden mit der Fähigkeit, Rohstoffquellen zu sichern, also mit Macht, werden die Treiber des Wohlstandes und der Erfolge der nächsten Jahrzehnte in der Welt sein. Larry Fink, CEO von Blackrock, sagte am 15. Januar 2025 in Davos, dass die Staaten, die restriktiv mit Migration umgehen, die „xenophobic“ sind, ihren Wohlstand vergrößern werden, während jene Staaten, die für die Einwanderung von Menschen aus der „Dritten Welt“ in die Sozialsysteme offen wie ein Scheunentor sind, ihren Wohlstand verlieren.

Nationalstaaten werden wieder als das erkannt, was sie immer waren: die Träger des Fortschritts sowie die Garanten für den inneren Frieden und die innere Sicherheit, für die Sozialität und für die Bildung.

Zeit für ein neues „Aggiornamento“
Dass die grüne Utopie, auch „große Transformation“ oder „klimaneutrale Gesellschaft“ genannt, längst passé ist und der Vergangenheit angehört, wie auch die Pariser Klimaziele ins Reich der Esoterik gehören, haben Deutschlands Eliten nicht begriffen. Sie leben in der Vergangenheit und halten durch ihre Macht Deutschland fest in der Anachronismusfalle.

Die katholische Kirche begriff Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, dass es für sie um die Existenz ging, dass sie sich erneuern musste. Deshalb berief sie das II. Vatikanische Konzil ein. Sie wollte nichts Geringeres als ein „Aggiornamento“, das heißt, aus der fesselnden Vergangenheit ins Heute zu springen. Das Deutschland von heute braucht ebenfalls ein „Aggiornamento“. Ob das die Führung der CDU und insbesondere der künftige Kanzler Merz begreift, ist indes zweifelhaft. Doch, sich nicht den Forderungen der Epoche zu stellen, wird Deutschland zwar eminent schaden, allerdings nicht zerbrechen – jedoch die CDU.

Geschichte ist in Bewegung geraten, die Verkrustungen der Merkel-Zeit platzen langsam, aber stetig ab.

Dr. Klaus-Rüdiger Mai ist Schriftsteller, Dramaturg und Publizist. Zuletzt erschienen seine Biographien „Die Kommunistin. Sahra Wagenknecht. Eine Frau zwischen Interessen und Mythen“ und „Angela Merkel. Zwischen Legende und Wirklichkeit“ (beide Europa Verlag 2024). www.europa-verlag.com


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