24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Kultur

Biblische Bildergeschichten

Das Fastentuch der Zittauer wird 550 Jahre – Zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen in der Fastenzeit begleiten das Jubiläum

Veit-Mario Thiede
25.02.2022

Seit nunmehr 550 Jahren existiert das Große Zittauer Fastentuch. Bis 1672 hing es alljährlich von Aschermittwoch bis Karsonnabend in Zittaus Johanniskirche. Inzwischen wird das Prachtstück dauerhaft in der Museumskirche zum Heiligen Kreuz präsentiert. Es gehört einer einst weitverbreiteten, aber nur in wenigen Beispielen erhalten gebliebenen Gattung der sakralen Kunst an. Die Zittauer feiern das 550. Jubiläum ihres berühmten Großen Tuches in der 40-tägigen Fastenzeit mit zahlreichen Veranstaltungen.

Auf dem 56 Quadratmeter großen Leinentuch befinden sich 90 in Temperamalerei ausgeführte Bildszenen. Sie beginnen mit der Schöpfung von Himmel und Erde, der Tiere sowie von Adam und Eva. Der bemerkenswert jung dargestellte und dabei seinem Sohn ähnlich sehende Gottvater dirigiert die Ereignisse mit sprechenden Gesten. Frühneuhochdeutsche Unterschriften erläutern die einzelnen Bilder. Auf die 45 Szenen aus dem Alten Testament folgen 45 Bilder aus den apokryphen Legenden Annas und ihrer Tochter Maria sowie dem Neuen Testament.

Lästert die Darstellung der Versuchung Jesu durch den spitzbärtigen Teufel über die Zustände in den geistlichen Orden? Der Teufel hat sich nämlich eine Mönchskutte angezogen und hält einen Rosenkranz empor. Den Bilderreigen beschließt die Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag. Kaum noch zu erkennen ist der links unten in der Rahmung dargestellte Stifter des Großen Zittauer Fastentuches: der Gewürz- und Getreidehändler Jacob Gürtler.

Sowjets missbrauchten Fastentuch

Das Tuch hing während der Fastenzeit zwischen den östlichen Vierungspfeilern der Johanniskirche, um die somit zum „Hörspiel“ werdende Feier der Heiligen Messe vor den Augen der Gläubigen zu verbergen. Der alte katholische Brauch der Verhängung des Kreuzes, der Reliquien und des Altars mit Tüchern lebte im protestantischen Zittau fort. Von 1521 an wurde in der Johanniskirche evangelisch gepredigt. Aber Zittaus Lutheraner hielten an dem Brauch fest, das Große Fastentuch aufzuhängen – und legten sich 1573 sogar ein zweites zu. Dieses „Kleine Zittauer Fastentuch“ (430 mal 350 Zentimeter) zeigt im großen Mittelbild den gekreuzigten Christus, um den Johannes, Maria und die das Kreuz umklammernde Maria Magdalena trauern. Die Leidenswerkzeuge Christi umrahmen diese Szene. Präsentiert wird es im Kulturhistorischen Museum Franziskanerkloster.

Nach seiner Außerdienststellung gelangte das Große Fastentuch in das ehemalige Franziskanerkloster – und blieb uns deshalb erhalten. Während des Siebenjährigen Krieges ging nämlich 1757 bei der Beschießung der Stadt durch die Österreicher die Johanniskirche unter. Der Neubau war 1804 fertig, litt allerdings unter erheblichen statischen Problemen. Die behob Karl Friedrich Schinkel, nach dessen Plänen die Johanniskirche von 1834 bis 1838 grundlegend im klassizistischen Stil umgebaut wurde.

Das im Franziskanerkloster in Vergessenheit geratene Große Fastentuch aber entdeckte ein Bibliothekar 1840 zusammengerollt hinter einem Bücherregal. Die Zittauer stellten es wiederholt zu besonderen Anlässen aus. Im Mai 1945 fiel das Fastentuch sowjetischen Soldaten in die Hände. Sie zerrissen es in vier Teile, die sie zur Abdichtung ihrer im Wald errichteten Sauna missbrauchten. Nach ihrem Abzug gelangte das stellenweise arg ramponierte Tuch ins Zittauer Museumsdepot. Bei einem missglückten Restaurierungsversuch in den 1970er Jahren wurde es in 17 Teile zertrennt. Für seine Rettung sorgten die Textilwerkstätten der Schweizer Abegg-Stiftung, die das Tuch 1993 unentgeltlich restaurierten.

Dezentrale Hungertuch-Schauen

Am 2. März wird in den Kirchen Zittaus und der Umgebung eine Sonderausstellung eröffnet, die Kopien bedeutender Fastentücher präsentiert. Sie werden auch „Hungertücher“ oder „Schmachtlappen“ genannt, weil sie den nach der Eucharistie „hungernden“ oder „schmachtenden“ Gläubigen den Anblick des Allerheiligsten verwehrten. In Zittaus Dreifaltigkeitskirche wird die Kopie des um 1290 geschaffenen Hungertuches aus dem Brandenburger Dom ausgestellt. Es weist Medaillons mit gestickten Bildern aus der Heilsgeschichte auf. In der Kirche Mariä Himmelfahrt zu Ostritz wird die Kopie des 1612 mit Wasserfarben bemalten Fastentuchs aus Bendern präsentiert.

Das erste der 24 biblischen Bilder zeigt die Erschaffung Evas, das letzte stellt das Jüngste Gericht dar. Die Bergkirche Oybin wartet mit der Kopie des 1623 von Damen mehrerer Ritterfamilien mit vielen Passionsszenen und einigen Motiven aus dem Alten Testament bestickten Fastentuches von Telgte auf. Und in Zittaus Johanniskirche wird die Kopie des 1612 bemalten Fastentuchs des Freiburger Münsters gezeigt. Die groß in der Tuchmitte dargestellte Kreuzigung wird von 26 kleineren Bildern gerahmt. Insgesamt werden neun Kopien historischer Tücher ausgebreitet. Zu ihnen gesellt sich das 2016 nach dem Entwurf Constanze Rilkes gewebte originale Fastentuch der Gartenkirche Hannover, dessen Blumen und Tiere christliche Symbolik aufweisen. Es wird in der Kirche des Franziskanerklosters gezeigt.

Am 6. März steht in Zittau die „Drei-Tücher-Fahrt“ an. Die etwa einen Kilometer lange „Fahrt“ zu Fuß beginnt vor dem Großen Zittauer Fastentuch, führt weiter zur evangelischen Johanniskirche und endet in der katholischen Marienkirche. Deren Gemeinde besitzt seit 13 Jahren ein Tuch, das zur Fastenzeit den Altar verdeckt. Es besteht aus einer Kopie des Turiner Grabtuches, an die Stoffbahnen mit aufgedruckten Bibelzitaten zur Kreuzigung und Jesu Grabtuch genäht sind.

• Das Große Zittauer Fastentuch wird im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz, Frauenstraße 23, gezeigt, geöffnet bis März von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, ab April täglich bis 18 Uhr. Infos zur dezentralen Fastentücherausstellung und zur Drei-Tücher-Fahrt: www.zittauer-fastentuecher.de und www.museum-zittau.de


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS