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Andreas Nerlich: „Wilhelm von Jordan. Flügeladjutant von König Max I. Joseph, eine medizinisch-historische Untersuchung“, Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2022, Hardcover, 448 Seiten, 39,80 Euro
Andreas Nerlich: „Wilhelm von Jordan. Flügeladjutant von König Max I. Joseph, eine medizinisch-historische Untersuchung“, Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2022, Hardcover, 448 Seiten, 39,80 Euro

Buchrezension

Das abenteuerliche Leben des Wilhelm von Jordan aus Stettin

Paläopathologe trifft Geschichtsforschung – Offizier in preußischen und bayerischen Diensten – Geschichte bekommt ein Gesicht

Norbert Matern
03.12.2022

Wahrscheinlich wäre das abenteuerliche Leben des 1775 in Stettin geborenen Diplomaten und Offiziers in preußischen, später bayerischen Diensten, Wilhelm von Jordan, in Vergessenheit geraten, wenn nicht im Jahr 2011 sein mumifizierter Leichnam das medizinische und historische Interesse des Münchener Paläopathologen Andreas Nerlich geweckt hätte.

Da der Professor gut schreiben kann und der Verlag weder bei der Bildersuche noch an der Ausstattung gespart hat, fasziniert sein großformatiger Band „Wilhelm von Jordan. Flügeladjutant von König Max I. Joseph“ von Seite zu Seite mehr. Er gibt Einblicke in die preußische, deutsche, bayerische, österreichische, französische und russische Geschichte zur Zeit der Koalitionskriege, an denen Jordan als Draufgänger teilnahm und die militärische Karriereleiter emporstieg. Nerlich hatte Kontakt zu 25 Archiven und konnte alle verfügbaren Quellen ausschöpfen. Das geht so weit, dass bei den Jordans Reisen in Mitteleuropa jeweils die Hotelunterkünfte genannt werden.

Der medizinische Teil kommt am Schluss des Buches. Mit vielen Bildern dokumentiert Nerlich die Untersuchungen von vier Mumien der Familie Jordan und des Generals Reuß. Die Leichen sind auf Grund besonderer klimatischer Bedingungen in der Grablege bei Schloss Wackerstein gut erhalten und mumifiziert: Wilhelm, seine Frau Violante, Tochter Caroline, Sohn Max und General Reuß.

Johann George Gottfried Wilhelm von Jordan wurde am 5. Januar 1775 als Sohn des „geschicktesten Rats von Stettin“, Immanuel Jordan, in Stettin geboren und in der Schlosskirche mit vielen Paten, wie damals in der pommerschen evangelischen Kirche üblich, getauft. So ist es im Matrikelbuch der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg festgehalten. Sein Vater wurde später in Berlin geadelt und erwarb 1792 für 45.000 Thaler das Gut Wietstock bei Anklam, ein Adelsgut in Vorpommern. Fotos von Stettin und Karten von Pommern sowie das Wappen derer von Jordan schmücken das Buch.

Wilhelm besuchte das Akademische Gymnasium von Stettin und studierte dann zwei Jahre an der Theologischen Fakultät der Viadrina in Frankfurt/Oder. Ein Jahr arbeitete er als Referendar beim Stadtgericht Berlin und wurde dann Legationssekretär bei der preußischen Gesandtschaft in Paris. Er genoss das Diplomatenleben, dessen Annehmlichkeiten er für sein Leben fortführte und somit in ständigen Geldsorgen war.

Als junger Diplomat leistete er zunächst Kurierdienste zwischen Paris und Berlin, ehe er 1797 zum Friedenskongress nach Rastatt geschickt wurde. Seine „Untätigkeit“ wurde in manchen Briefen anderer Diplomaten erwähnt. Es ergaben sich erste Kontakte zum Baron (späteren Grafen) Montgelas in Bayern.

Nach dem Abbruch der erfolglosen Verhandlungen in Rastatt geriet die französische Delegation auf der Heimreise in einen österreichischen Hinterhalt. Von Jordan half und begleitete in preußischer Uniform die Überlebenden in ihre Heimat. Die erwartete „Belohnung“, eine Beförderung durch König Friedrich Wilhelm III., blieb aus: „Er ist jung und kann warten“. Beleidigt reichte Jordan seine Demission ein und reiste nach München. Eingefädelt durch hochstehende Freunde der Familie wurde er bereits nach neun Tagen Oberlieutenant der Cavallerie a la Suite der Kurpfalz-bayerischen Armee.

Nerlich beschreibt Jordans militärische Erfolge, sieht ihn in Schlesien und als „Nachrichtenbeschaffer“ von Truppenbewegungen wiederholt in mehreren europäischen Staaten. Im September 1805 meldete er, dass kaum österreichische Truppen in Böhmen seien. Als Spion verkleidet hatte er auch in Eger nach feindlichen Truppen gesucht. Ob er später in Ostpreußen an den Schlachten von Preußisch-Eylau und Friedland teilgenommen hatte, bleibt offen. Er begleitete aber den bayerischen Kronprinzen nach Tilsit und Königsberg.

Nerlich hat die militärische Lage in den Koalitionskriegen, die er als damals unruhigste Zeit Europas bezeichnet, und den Aufstieg Jordans zum General ausführlich beschrieben, wendet sich aber dann dem Privatleben zu. Es kommt zur Hochzeit mit einer königlichen Hofdame und dem Erwerb Wackersteins auf einem Felsen direkt an der Donau.

Die Unterlagen sind erhalten und zeigen Jordan als unerbittlichen Verhandler, der den Kaufpreis erheblich drücken kann. Längere Aufenthalte führten nach Italien und Griechenland. 1816 starb Jordans noch nicht einmal zwei Jahre alte Tochter in Neapel. Sie wurde einbalsamiert und nach Bayern mitgenommen. Mumifiziert wird sie rund 200 Jahre später von Nerlich untersucht werden.

Es ging dabei nicht nur um medizinische Erkenntnisse. Nerlich konnte das Gerücht widerlegen, dass die kleine Tochter von dem für seine amourösen Abenteuer bekannten bayerischen König Maximilian I. Joseph gezeugt wurde. Tatsache ist, dass der König – über seine Vaterschaft unsicher – Jordan wieder einmal finanziell beisprang und die Hofdamenpension früher als üblich auszahlen ließ.

Statt in den Krieg zu ziehen, widmete sich von Jordan nach dem Erwerb von Wackerstein weiteren Immobilienkäufen: 1823 erwarb er durch des Königs Vermittlung als „Schnäppchen“ das Schlösschen Suresnes in München Schwabing und bekam dadurch den „Fuß in die Tür“ zur Münchener Gesellschaft. Weitere Käufe folgten.

Die Familiengruft hatte Jordan auf dem Spitzlberg bei Dötting in der Nähe Wackersteins errichten lassen. Töchterchen Caroline, deren Sarg 19 Jahre im Eiskeller von Wackerstein gestanden hatte, wurde überführt. 1841 starb von Jordan. Zum Obduktionsbericht Nerlichs der fünf Leichen im Jahre 2011 gibt es zahlreiche Fotos und einen kurzen Lebenslauf von Jordans. Das Werk vermittelt Informationen, die weit über die Inhalte historischer Dokumente hinausgehen. Geschichte bekommt plötzlich ein Gesicht.


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