06.10.2024

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Ein gewölbter Portalbau: Die nach römischem Vorbild überragende Kuppel charakterisiert den Sakralbau St. Martin und Oswald
Foto: ThiedeEin gewölbter Portalbau: Die nach römischem Vorbild überragende Kuppel charakterisiert den Sakralbau St. Martin und Oswald

St. Martin und Oswald

Das schwäbische Sankt Peter

Halb so groß wie der Petersdom, aber doppelt so wichtig für Weingarten – Vor 300 Jahren wurde die „überragende“ Basilika geweiht

Veit-Mario Thiede
06.10.2024

Ein 35 Millimeter langes und zwei Millimeter breites Stäbchen mit blutgetränkter Erde hat den Bau der größten Barockkirche nördlich der Alpen veranlasst. Ihre Weihe erfolgte vor 300 Jahren. Weithin sichtbar überragt die auf dem Martinsberg stehende ehemalige Klosterkirche das oberschwäbische Städtchen Weingarten.

In der zur Weihe herausgegebenen Festschrift heißt es: „Sihe und betrachte gegenwärtigen Wunderbau und neu aufgestellten Tempel; diesen hat Sebastianus in seinem Weingarten dem (...) in (...) seinem allerkostbarsten Blut- und Hertzens-Tropffen ruhenden“ Christus gewidmet. Bauherr der für die Aufbewahrung der Heilig-Blut-Reliquie errichteten Kirche war Abt Sebastian Hyller. Ihre Weihe fand am 10. September 1724 statt, gefolgt von einer Jubelwoche mit Festpredigten.

300 Jahre später wird die Kirchweihe mit einem Festmonat vom 10. September bis 6. Oktober begangen. Bei Baustellenführungen gelangen die Besucher sogar in Bereiche, die ihnen sonst unzugänglich sind. Zum Beispiel kann man den Dachstuhl begutachten. Und „endlich ist die von Verständigen vielfältig gelobte und hochgepriesene Fresco-Malerey nicht zu vergessen“.

Dank Baugerüsten kann man einige der Deckenfresken aus nächster Nähe betrachten. Sie sind Cosmas Damian Asams erstes und mit 1100 Quadratmetern größtes Meisterwerk. Die katholische Pfarrkirche St. Martin und Oswald, zugleich Wallfahrtskirche zum kostbaren Blut Christi, wird bis Ende 2028 abschnittsweise einer Gesamtinstandsetzung unterzogen.

Nach dem stufenreichen Aufstieg zum Vorplatz der Kirche steht man vor der aus Rorschacher Sandstein nach dem Entwurf des Baumeisters Donato Guiseppe Frisoni erbauten Westfassade. Zwischen den beiden Türmen wölbt sich der Portalbau vor. In der mittleren Nische des Schaugiebels steht die Statue der Madonna mit dem Kind. Darüber funkelt die dem Giebel aufgesteckte, vergoldete und stark vergrößerte Nachbildung des Heilig-Blut-Reliquiars. Die Kirche bildet die Mittelachse der ehemaligen Klosteranlage.

Nach römischem Vorbild wird die Kirche von einer Kuppel überragt, deren Scheitelhöhe bei 66,8 Metern liegt. Das Bauwerk ist auch als „Schwäbisches Sankt Peter“ bekannt, weil es mit einer Länge von 102 Metern und einer Gewölbehöhe von 26,6 Metern etwa halb so lang und hoch wie der Petersdom von Rom ist.

Im strahlend weißen Kirchenraum kommen Cosmas Damian Asams farbenprächtige Deckenfresken und die aus buntem Stuckmarmor errichteten Altäre eindrucksvoll zur Geltung. Zu Füßen des Sebastiansaltars liegt Abt Hyller bestattet. Der Bauherr der heutigen Basilika ließ den romanischen Vorgängerbau des von Welf IV. anno 1056 gestifteten Benediktinerklosters abtragen. In dessen westlichem Teil befand sich die Grablege von neun Männern und Frauen aus dem Geschlecht der Welfen. Für sie ließ Abt Hyller im nördlichen Querarm seines Neubaus eine Gruft einrichten.

Schwungvolle Stuckfiguren
Die normalerweise den Kirchenbesuchern verschlossene Welfengruft ist während des Festmonats bei öffentlichen Führungen zugänglich. Ebenso der Chor, dessen Gestühl von 1720/21 als erstes Hauptwerk des Bildschnitzers Anton Feuchtmayer gilt. Auf dem Chorgestühl stehen Feuchtmayers Figuren des heiligen Benedikt, seiner Schwester Scholastika sowie seiner Schüler Placidus und Maurus. Diese äußerst schlanken Asketen haben die Köpfe schief gelegt und wirken stark bewegt.

Ähnlich schwungvoll präsentieren sich die von Diego Carlone geschaffenen weißen Stuckfiguren des Hochaltars, dem die Besucher während des Festmonats ausnahmsweise bei Führungen ganz nahe kommen dürfen.

Im Schnittpunkt von Vierung und Chor befindet sich die Heilig-Blut-Reliquie. Sie liegt in dem rot-weißen, 1931 hergestellten Heilig-Blut-Altar hinter Panzerglas auf einem roten Paradekissen, umgeben von ihrem Reliquiar aus 14-karätigem Gold. Das mit Brillanten, Rubinen, Saphiren und Smaragden geschmückte Reliquiar besteht aus einem kleinen Kreuz mit der emaillierten Darstellung des Gekreuzigten, aus dessen Seitenwunde Blut schießt. Das kleine Kreuz sitzt auf einem größeren, in dessen Zentrum sich ein Bergkristall befindet, der die Heilig-Blut-Reliquie umschließt.

Dieses Reliquiar von 1956 ist drei Vorgängern nachempfunden. Das älteste ließ Abt Berthold 1206 anfertigten. Dieses und das von Abt Hyller gestiftete existieren nicht mehr. Nachdem das aufgelöste Kloster Weingarten und sein Besitz 1806 an das Königreich Württemberg gefallen waren, zog dessen Finanzverwaltung 1809 das wertvolle Reliquiar ein und gab der katholischen Kirchengemeinde als Ersatz eine Nachbildung aus vergoldeter Bronze.

Beim Blutritt, der alljährlich am Freitag nach Christi Himmelfahrt stattfindet, verlässt die Reliquie für fünf Stunden in den Händen des als Heilig-Blut-Reiters fungierenden Pfarrers die Kirche. Ihm folgen beim Ritt durch Weingarten und die umliegenden Felder mehr als 2000 Reiter. Bei der größten Reiterprozession Europas dürfen nach dem Beschluss des Gemeinderats von 2020 auch Frauen mitreiten.

Aber wie kam die Heilig-Blut-Reliquie überhaupt nach Weingarten? Davon erzählen zwei Deckenfresken Asams. Das eine zeigt den neben dem Kreuz stehenden Christus, dessen Blut aus seiner Seitenwunde im hohen Bogen auf Longinus spritzt. Der hatte ihm die Seitenwunde versetzt. Seiner Legende zufolge wurde er bekehrt und nahm mit Christi Blutstropfen getränkte Erde von der Hinrichtungsstätte Golgatha an sich.

Auf Asams Fresko präsentiert Longinus das auf dem roten Paradekissen liegende Heilig-Blut-Reliquiar den Kirchenbesuchern. Das andere Fresko zeigt Welf IV. mit seiner Gattin Judith von Flandern, die das Heilig-Blut-Reliquiar in der Rechten hält.

Der Legende zufolge begab sich Longinus mit der Reliquie nach Mantua, wo sie 1048 ein Blinder wieder auffand. Die mit Blut getränkte Erde teilten der Herzog von Mantua, Papst Leo IX. und Kaiser Heinrich III. unter sich auf. Der Kaiser vererbte seinen Anteil Graf Balduin V. von Flandern. Der vermachte ihn Judith. Von ihr wiederum erbten Abt und Konvent des Klosters Weingarten am 5. März 1094 die Heilig-Blut-Reliquie.

www.300jahrebasilika.de


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