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Das 1.200 jährige ehemalige Benediktinerkloster Corvey
Foto: imago/blickwinkelDas 1.200 jährige ehemalige Benediktinerkloster Corvey

Die Himmelsstadt an der Weser

Das UNESCO-Weltkulturerbe Corvey feiert sein 1200. Klosterjubiläum

Neue Dauerausstellung will „die Steine zum Sprechen bringen“

Veit-Mario Thiede
11.10.2022

Am 25. August des Jahres 822 weihte der Paderborner Bischof Badurad am Ufer der Weser das für den Bau des Benediktinerklosters Corvey ausersehene Gelände. Nachdem die ersten Bauten errichtet waren, ließen sich die Mönche am 26. September in dem zwei Kilometer von Höxter entfernt gelegenen Corvey nieder. Die katholische Gemeinde Corveys ist mit 144 Mitgliedern eine der kleinsten in Deutschland. Aber das Klosterjubiläum wird von ihr bis weit ins nächste Jahr hinein groß gefeiert.

Von der alten Klosterstadt, die Kaiser Ludwig der Fromme zur Reichsabtei erhob und mit zahlreichen Privilegien ausstattete, steht noch das anno 885 geweihte Westwerk. Das aus rotem Sandstein errichtete Bauwerk ist eines der wenigen erhaltenen aus karolingischer Zeit. Zusammen mit den im Erdreich unter den barocken Neubauten verborgenen Überresten der im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Klosterstadt gehört es seit 2014 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Ursprünglich bestand das Westwerk aus zwei Treppentürmen und einem Zwischenbau, den ein weiterer Turm bekrönte. Den ließ der von 1146 bis 1158 amtierende Abt Wibald von Stablo zugunsten eines zweigeschossigen Glockenhauses abbrechen. Um 1600 erhielten die Treppentürme ihre langen spitzen Helme, die sich zu Corveys Wahrzeichen entwickelt haben.

Am erkerartigen Vorbau der Westfassade befand sich die heute durch eine Kopie vertretene Tafel mit der lateinischen Inschrift: „Beschirme diese Stadt, o Herr, und lasse Deine Engel Wächter ihrer Mauern sein.“ Die Schrifttafel „ist quasi der Grundstein der Klosterstadt“, wie Christoph Stiegemann urteilt. Der ehemalige Direktor des Paderborner Diözesanmuseums hat bedeutende kulturhistorische Ausstellungen kuratiert.

Inzwischen leitet er ein wissenschaftliches Team, das uns unter dem vielversprechenden Titel „Von Engeln bewacht – die Himmelsstadt“ die Geschichte des Klosters Corvey multimedial vermitteln wird. Im Westwerk lässt sich laut Stiegemann die „Verlebendigung des Vergangenen“ erleben. Der Einsatz moderner Medien macht das möglich.

Im Westwerk kann man das Erdgeschoss und die darüber gelegene Johanniskapelle besichtigen. Stiegemann macht uns auf allerfeinste Bautechnik und kunstvoll nach antiken römischen Vorbildern ausgeführte Blattkapitelle aufmerksam. An vielen Stellen sind kleine Reste von weit über 1000 Jahre alten Wandmalereien erhalten. Bislang aber ist die sich an das Westwerk anschließende, ab 1667 erbaute Abteikirche der größte Publikumsmagnet. Sie leuchtet wie Corveys Wappen in Rot und Gold. Die den Heiligen Stephanus und Vitus geweihte Barockkirche gehört zu den bedeutendsten in Westfalen.

Künftig gibt es gläserne Schiebetüren zwischen Westwerk und Barockkirche. Sie lassen sich blickdicht schalten, um bei Führungen als Projektionsfläche für Filmeinspielungen zu dienen. In acht Minuten vermitteln sie uns, was man über Corveys Vergangenheit und Gegenwart unbedingt wissen muss. Die frühen Jahrhunderte der Reichsabtei waren ihre Glanzzeit. Sie war ein Zentrum der Bildung, des Glaubens und der Missionierung. Bis heute erinnert die alljährliche Vitus-Prozession an die feierliche Überführung des Leibes des heiligen Märtyrers Vitus von dem bei Paris gelegenen Kloster St. Denis nach Corvey, die im Jahre 836 stattfand.

Preußenkönig ernannte Fürsten

Der barocke Neubau des im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Klosters war 1740 vollendet. Gestalterische Höhepunkte sind der mit roten und blauen Farbschleiern überzogene Kreuzgang sowie der zwei Geschosse beanspruchende Kaisersaal mit den Darstellungen Karls des Großen, Ludwigs des Frommen und 18 weiterer Herrscher. Papst Pius VI. wandelte das Kloster und seinen Landbesitz 1792 in ein Fürstbistum um. Es wurde 1803 säkularisiert. Landgraf Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg vererbte 1834 seine außerhessischen Besitzungen Ratibor und Corvey an seinen Patensohn Viktor zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Den erhob König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen anlässlich seiner Erbhuldigung am 15. Oktober 1840 zum Herzog von Ratibor und Fürst zu Corvey. Das in weiten Teilen zum Schloss umgebaute Kloster und seine Besitzungen sind bis heute Eigentum der herzoglichen Familie, während die Abteikirche und das Westwerk der Kirchengemeinde gehören.

Zum neuen Publikumsmagneten soll der Johannischor des Westwerks werden. Hier plant Stiegemann ein Farbfeuerwerk, obwohl von den auf die Wände gemalten Ornamentbändern, Akanthusranken, geometrischen Mustern und illusionistischen Architekturelementen nur kleine Reste erhalten sind. Die erstaunlichsten sind die für das christliche Mittelalter einzigartigen Darstellungen aus der antiken Mythologie: Odysseus besiegt das Meeresungeheuer Skylla. Über sechs Pfeilern ist der Putz abgeschlagen. Hier lassen sich bei genauem Hinsehen rote Vorzeichnungen lebensgroßer Figuren entdecken. Die waren als Stuckreliefs ausgeführt, wie die unter dem heutigen Fußboden zu Tage gekommenen Fragmente verraten.

Erstaunlicherweise reichen diese spärlichen Relikte von Malerei und Stuck aus, um mit Hilfe digitaler Technik das ursprüngliche Erscheinungsbild des Johannischores auferstehen zu lassen. Zu diesem Zweck können sich die Besucher Tablets ausleihen. Auf eine bestimmte Stelle im Raum gerichtet, erscheint auf dem Display das ursprüngliche Aussehen wie zum Beispiel Stuckfiguren von zwei Frauen und vier Männern in kräftig roter und grüner Kleidung. Für das kommende Jahr kündigt Stiegemann die grundlegende Neukonzeption der Dauerausstellung in Corveys Schlossmuseum an, bei der er die „Steine zum Sprechen bringen“ will.

• www.welterbe-corvey.de;
www.welterbewestwerkcorvey.de


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