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Der Wochenrückblick

Deckel drauf

Wie man eine schlechte Inszenierung doch noch rettet, und wie wir den Pöbel in Schach halten

Hans Heckel
01.09.2020

Es gibt gutes Filmmaterial und es gibt schlechtes. Manch schlechtes Material können Fachleute am Schneidetisch durch geschicktes Zurechtschnipseln noch retten. Anderes dagegen fällt dermaßen mies aus, dass es die Kritiker richten müssen. Die preisen den Müll solange in absurd hohen Tönen, bis sie das Publikum in eine Art Trance versetzt haben, in welcher es den Schundfilm tatsächlich für eine Offenbarung hält.

Ein TV-Schlager von letzterer Art schlug unter dem Titel „Der Sturm auf den Reichstag“ in unseren Wohnzimmern ein. Der Streifen wird uns noch lange, sehr lange im Gedächtnis bleiben. Auch, weil Heerscharen hochprofessioneller Kritiker und Nachbearbeiter dafür sorgen wollen, dass wir den Film nie wieder aus den Köpfen bekommen.

Was eine Meisterleistung darstellt, denn es handelt sich wahrlich um eine absolut erbärmliche Inszenierung. Fangen wir mal mit dem Drehort an.

Da bauen einige Leute eine Bühne direkt vor dem Reichstag auf, vor der sich dann Demonstranten versammeln, unter denen etliche die rechtlichen Grundlagen der Bundesrepublik und damit des Parlaments, das im Reichstag arbeitet, massiv in Zweifel ziehen. Während aber sonst im ganzen Berliner Zentrum Tausende Beamte absperren, Ketten bilden und Demonstranten keine Sekunde aus den Augen verlieren, stehen hier gerade einmal drei Uniformierte oben auf der Reichstagstreppe, während an den leicht zu überwindenden Absperrgittern zwischen dem Gebäude und den Protestierern kein einziger Polizist zu sehen ist. Welcher Regisseur denkt sich so einen Blödsinn aus? Da muss man ja glauben, die wollten den Reichstag gar nicht schützen! Schon im Aufgalopp büßt die Produktion also jeden Anspruch auf Realitätsnähe ein. Das hätte man mit ein bisschen mehr Sorgfalt besser hinkriegen können.

Dann der sogenannte „Sturm“: Gut, wir sind ja verwöhnt vom „Sturm auf das Winterpalais“ (der auch nur in seiner Nachinszenierung dramatisch aussah) oder den auf die Bastille, also liegen unsere Maßstäbe recht hoch und wir sollten bereit sein, Kompromisse zu machen und Nachsicht zu üben mit unerfahrenen Nachwuchs-Regisseuren. Aber das hier? Das ging denn wirklich zu weit. Ja, ein paar Männchen traben tatsächlich ein wenig, die meisten aber latschen eher auf die Freitreppe, als dass sie „stürmen“.

Auch danach will sich keine Spannung aufbauen. Niemand versucht, ins Gebäude zu gelangen, keiner greift die drei Beamten oben auf der Treppe an, weshalb diese selber für die erwartete Zuspitzung sorgen müssen und per Geschrei, Knüppelschwingen und Reizgaseinsatz etwas Schlachten-Atmosphäre verströmen. Als dann die Verstärkung anrückt, lassen sich die „Stürmer“ widerwillig, aber ohne echte Gegenwehr oder gar handfesten Widerstand von der Treppe drängen. Das war's! Nein, wirklich? Ja, tatsächlich.

Na ja, zum Glück nicht ganz. Immerhin hatten einige der „Stürmer“ schwarz-weiß-rote Fahnen mitgebracht, die sie eifrig schwenkten. Das ist bekanntlich die Fahne des Wilhelminischen Kaiserreichs, das laut Vizekanzler Olaf Scholz ein besonders „dunkles Kapitel“ darstelle. Fürwahr, dieses Reich war beispielsweise ein bärbeißiger Rechtsstaat, in dem Gesetze und Verträge sogar dann noch galten, wenn sie der „Haltung“ der Regierenden zuwiderliefen. Und über das Steuergeld des Volkes durfte allein das vom Volk gewählte Parlament verfügen.

Dieser Tage hat Wolfgang Schäuble, Bundestagspräsident und davor lange Jahre Scholzens Vorgänger als Bundesfinanzminister, vorgeschlagen, dieses Recht zu einem erheblichen Teil nach Brüssel zu verlagern. Da bestimmen über unser Geld dann nicht mehr Vertreter des dummen Volkes, sondern eine erlauchte Kommission, die kein Volk gewählt hat und die sich daher um die Macken des Pöbels einen Dreck schert. Sicher, ein „Parlament“ gibt's in Brüssel auch. Aber über dessen demokratische Grundlagen und Rechte wollen wir aus Höflichkeit und natürlich aus EU-Begeisterung lieber schweigen.

Die schwarz-weiß-roten Fahnen waren der dünne, aber lange Hebel, an dem die Nachbearbeiter ihr grandioses Werk beginnen konnten. Heraus kam ganz großes Kino, das Sie alle begeistert mitverfolgen können, samt Heldenehrung und einem Pathos, das wir sonst nur angesichts epochaler historischer Umbrüche genießen dürfen. Ein Fest!

Und zwar eines, das nicht bloß aus Spaß an der Freud' veranstaltet wird. Es dient ganz und gar einem edlen Zweck. Die Sause soll uns vergessen machen, was sich nur ein paar hundert Meter weiter, am Großen Stern unter der Siegessäule, zusammengerottet hat. Dort haben Zehntausende demonstriert, knapp 40.000 sagt die Polizei. Doch die musste schon ihre Schätzung zur Demo vom 1. August von 20.000 auf 30.000 nach oben korrigieren. Waren es also eher 60.000 diesmal? Oder noch viel mehr? Ist eigentlich schnuppe, schlimmer ist etwas ganz anderes: Da war er wieder, der „bunte Mix“, der uns und Dunja Hayali schon bei der Demo am 1. August so verunsichert hat. Nur dass jetzt noch viel mehr Menschen mitmixten als vier Wochen zuvor.

Da braut sich eine erschreckend breite Bürgerbewegung zusammen, die keiner der Regierenden so richtig zu deuten weiß, und die regierungsgeneigten Medien auch nicht. Also versucht man es erst mal mit herkömmlicher Medizin. Auf der Internetseite des SPD-Parteiblatts „Vorwärts“ prangt das Foto eines „Gegendemonstranten“ vor dem Berliner Hauptbahnhof, der sich die Parole vor die Brust hält: „Heute leugnet ihr Corona, morgen den Holocaust.“ Alles Nazis, zumindest morgen. Und „Spiegel online“ warnt: Da seien überall Rechtsextremisten dabei gewesen. Wer da künftig noch mitmarschiert, könne also nicht sagen, dass er nicht bewusst mit welchen Personen ... den Rest kennen Sie. Die alte Methode: „Kontaktschuld“. Warum auch nicht? Hat doch immer funktioniert!

Tut es aber immer weniger. In den vergangenen zehn oder mehr Jahren hat man reihum dermaßen viele unterschiedliche Gruppen und Menschen für naziverdächtig oder kontaktschuldig erklärt, dass sich da ganz schön was angesammelt hat. Die Maske war dann nur noch das einigende Symbol all derer, die sich verdächtigt, gegängelt und unter politische Quarantäne gesetzt fühlten.

Unter dem Banner der Maske haben die sich nun plötzlich alle gefunden und pfeifen gemeinsam auf die Zurechtweisungen von „oben“. Demonstranten berichten begeistert von einer „Atmosphäre der Freiheit“, die Berlin-Mitte ergriffen habe an den Demo-Tagen. Überall, in Cafés, Hotels und auf der Straße, hätten sie endlich wieder offen und ohne schüchterne Verkniffenheit diskutieren können, mit jedermann. Eine äußerst beunruhigende Beobachtung. Das darf sich nicht wiederholen. Was machen wir da? Der CDU-Politiker Armin Schuster hat die Lösung: Solche Demos müssten künftig verboten werden. Denn wenn wir den Deckel nur fest genug auf den brodelnden Kessel drücken, legt sich das schon wieder. Oder nicht? Jetzt bitte keine historischen Vergleiche!


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Kommentare

Winfried Müller am 10.09.20, 08:59 Uhr

Auch das antifaschistische " Nationalkommitee Freies Deutschland ", welches aus Soldaten und Offiziere der gefangenen Wehrmacht in der Sowjeunion im 2.WK
gebildet wurde, hatte die Farben schwarz-weiß-rot.
Das haben ja fast alle "Aniaschisten " vergsessen !

Michael Holz am 04.09.20, 18:02 Uhr

Das war ein Sturm im Wasserglas der Roten. Diese hätten wieder gerne so einen Sturm, wie am 1. Mai 1945 , als Sowjetsoldaten auf dem zertrümmerten Reichstagsgebäude die Sowjetfahne hissten. Und der Steinbeißer, eine im Hinterzimmer der Bananrepublik ausgekungelte Figur, der seinen Senf dazu gegeben musste. Er hätte doch besser die stinkenden Sahnefische hören sollen. Was für ein Repräsentant eines dekadenten Staates.
Übrigens: Schwarz-Weiß-Rot war nicht nur die Fahne des Kaiserreichs. Diese hatte zusätzlich in der Mitte, im weißen Feld, eine Kaiserkrone. Selbst unter dem GröFaZ hatten die Soldaten an der linken Seite des Stahlhelms diese Farben.

Mara Cuja am 03.09.20, 18:01 Uhr

Ja! Sehr schöner Artikel! So eine Berichterstattung wünscht man sich doch.
Ein klein wenig Häme im Unterton, sonst angenehm auffallend eher Sachlich.
An der „Goldelse“ war dann ja davon auch nichts zu vernehmen. Dort ein Happening. Wir erlebten das auch als eine irgendwie Spirituell aufgeladene Situation.
Danke für die dann doch erheiternden Zeilen.

Bernd Stracke am 03.09.20, 04:53 Uhr

Dieser Wochenrückblick von Hans Heckel spricht mir wieder einmal aus der Seele. Ungeheuer ist aber leider die nicht nur auf den konkreten geschilderten Fall beschränkte, sondern flächendeckende Zumüllung Europas mit Falschinformationen, Verdrehungen und Verschweigungen (die ja auch Lügen sind), mit deren Aufzeigung man ganztägig vollbeschäftigt wäre.

Annerose Striedter am 02.09.20, 21:30 Uhr

sehr sehr gut formuliert Herr Heckel. Steinbeisser hat vergessen, die V-Leute auszuzeichnen

Manfred Caesar am 02.09.20, 13:37 Uhr

Vielen Dank für die messerscharfe Analyse.Vielleicht sollte man noch ergänzen :
Es stellt sich die Frage wer die Reichsfahnenschwinger waren und von wem sie bezahlt werden.Die Fahnen sind möglicherweise aus dem Fundus des VS.Die Frau ,die auf der Bühne zum "Sturm" aufgerufen hatte ist bekannt..Auch hier die Frage ,wer unterstützt sie finanziell? Das dürfte für eifrige Journalisten doch nicht schwer sein.Daß Polizisten nicht anwesend waren ist natürlich sauber geplant ,da gibt es keine Zweifel.Wobei sie offenbar in Wartestellung waren,da sie umgehend erschienen sind.

Emmanuel Precht am 02.09.20, 13:06 Uhr

Nun, wenn der Druck unterm Deckel allzu groß wird, dann wird das Überdruckventil Wolfgang Bosbach aktiviert. Es pfeift etwas und dann ist alles wieder gut im Karton. Ist doch einfach. Wohlan...

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