Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der Vater der Weimarer Verfassung und erste Reichsinnenminister starb vor 100 Jahren
Er war der maßgebliche Staatsrechtler hinter der Weimarer Reichsverfassung – und er haderte mehr mit den neuen Demokraten als mit seinem Verfassungsentwurf. „Die demokratische Verfassung ist da, aber wo sind die Demokraten, sie auszufüllen und auszuüben?“, fragte Hugo Preuß den Zentrumspolitiker Friedrich Dessauer angesichts des Unwillens extremistischer Parteien, sich mit der demokratischen Republik zu arrangieren. Eine Frage von erschreckender Aktualität, blickt man auf jene Vertreter „unserer Demokratie“, die eher Parteien verbieten möchten, als sich mit den Anliegen der Wähler auseinanderzusetzen, die sich mit einem Potential von inzwischen 25 bis 30 Prozent solchen politischen Alternativen zuwenden.
Preuß, am 28. Oktober 1860 in Berlin geboren, entstammte einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie und studierte Rechtswissenschaft in Berlin und Heidelberg. Bereits 1889 habilitierte er sich in Berlin – doch eine Professur blieb ihm lange verwehrt, da er nicht getauft war. Erst 1906 erhielt er eine Professur an der Handelshochschule Berlin, die er ab 1918 sogar als Rektor leitete. Privat verband er sich durch die Heirat von Else Liebermann mit der Familie des Leopoldina-Gelehrten Carl Liebermann und entfernt auch mit der Walther Rathenaus.
Als Schüler von Otto von Gierke und in Anlehnung an Rudolf von Gneist vertrat er Ideen der organischen Staats- und Genossenschaftslehre. Er setzte sich für ein Staatsmodell ein, in dem Selbstverwaltung, kommunale Freiheit und föderale Detailmacht das Rückgrat des demokratischen Staats bilden sollten. Schon während des Ersten Weltkriegs arbeitete Preuß, der auch öffentlich den preußischen Militarismus und übermäßige Macht der Eliten kritisierte, an einer rechtstheoretischen Einführung eines Volksstaats im Gegensatz zum herrschenden Obrigkeitsstaat. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, als Patriot den großen Krieg als notwendige Prüfung für das deutsche Volk zu betrachten. Doch 1917 ist er bereits vom Ende des kaiserlichen Herrschaftssystems überzeugt. „Der Krieg hat das alte Reich in seinen Grundfesten erschüttert. Aus ihm wird ein neues Deutschland hervorgehen müssen – oder es wird überhaupt nicht bestehen“, so der Staatsrechtler.
Dezentralisierter Einheitsstaat
Das Ende des Kriegs war für ihn folgerichtig nicht der Niedergang Deutschlands, sondern seine Wiedergeburt. Nach der Novemberrevolution 1918 beauftragte Friedrich Ebert für den Rat der Volksbeauftragten Preuß mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs – zunächst als Staatssekretär des Inneren, später als erster Reichsinnenminister und Reichskommissar für Verfassungsfragen. Der Staatsrechtler präsentierte seinen ersten Entwurf bereits im Januar 1919. Der Entwurf sah einen dezentralisierten Einheitsstaat vor, in dem die Gliedstaaten zwar kulturell bestehen bleiben, aber ihre politische Hoheit stark eingeschränkt werden sollte – denn für Preuß zählte primär die „deutsche Nation“, nicht die Einzelstaaten.
Zudem schlug er ein Zweikammersystem vor – das „Volkshaus“ und das „Staatenhaus“ –, wobei die Zusammensetzung von Letzterem nicht wie beim Bundesrat des Kaiserreichs von den Regierungen der Einzelstaaten, sondern von deren Parlamenten bestimmt werden sollte. Diese Vision scheiterte am Widerstand der Ländervertreter.
Preuß verstand die neue Verfassung als Ausdruck parlamentarischer und demokratischer Grundwerte: „parlamentarische Demokratie, soziale Demokratie, demokratischer Föderalismus und direkte Demokratie“ durch Volkswahl des Präsidenten und Volksabstimmungen. „Noch niemals in der deutschen Geschichte hatte ein Parlament tatsächlich und rechtlich so unbeschränkte Macht“, zeigte er sich durchaus leidenschaftlich für das neue Herrschaftssystem. „Das deutsche Volk zur sich selbst bestimmenden Nation zu bilden, das ist der Leitgedanke der freistaatlichen deutschen Verfassung von Weimar.“
Kein „Parlamentsabsolutismus“
Die Grundrechte wollte Preuß übrigens zunächst nur in drei klassischen Artikeln verankern. Mit der Idee setzte er sich nicht durch. Vielmehr wurden in den Verfassungstext insgesamt 56 Absätze Grundrechte und Pflichten übernommen.
Der im Gegensatz zur Bundesrepublik in der Weimarer Republik grundsätzlich wie das Parlament vom Volk gewählte Präsident war für Preuß ein Element der Gewaltenteilung gegen den seines Erachtens sonst drohenden „Parlamentsabsolutismus“. Dafür akzeptierte er weitreichende Notstandsrechte in Artikel 48 der Verfassung, die bereits der erste Reichspräsident Friedrich Ebert nutzte und die den seit 1925 amtierenden zweiten Amtsinhaber, Paul von Hindenburg, in das Dilemma brachten, entweder mit Notstandsrecht einen Reichskanzler seiner Wahl und seines Vertrauens im Amt zu halten oder aber den von ihm missbilligten „böhmischen Gefreiten“ zu akzeptieren, den ihm die deutschen Wähler mit zunehmender Stärke vorsetzten. „Preuß, der schon 1925 starb, hat selbst noch gegen das dauerhafte Regieren über den ominösen Artikel 48 protestiert“, so Andreas Voßkuhle, langjähriger Präsident des Bundesverfassungsgerichts.Doch das sei nun mal das Schicksal des Verfassungsgebers: Er wisse nicht, was die praktische Politik aus seinem Geschöpf mache.
Das Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold erlebte nicht mehr den Untergang seiner Verfassung. Er starb am 9. Oktober 1925 und damit kurz vor seinem 65. Geburtstag. Den Aufstieg der antisemitischen NSDAP zur Massenpartei hat er nicht miterleben müssen. Dass mit Preuß der Vater der Weimarer Reichsverfassung Jude war, bestärkte sie in ihrer Ablehnung dieser Verfassung als „undeutsch“.