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Otto I.

Der Bayernkönig, der nie regierte

Keiner der sechs bayerischen Könige hielt sich länger auf dem Thron als der vorletzte. Vor 175 Jahren wurde er geboren

Manuel Ruoff
25.04.2023

Eine erste Freude in dieser ernsten Zeit“. So bezeichnete die zweifache Mutter Marie die Geburt ihres zweiten Sohnes Otto am 27. April 1848. Die Interpretation ist verständlich. Sie selbst war Königin und in Europa herrschte Revolution. Letztere hatte ihren Schwiegervater, Ludwig I., hinweg und ihren Mann als Maximilian II. vorzeitig auf den Thron gespült. Die Zeiten waren aufregend und Otto kam zwei Monate zu früh zur Welt. „Und somit ist zu erklären, daß die gute Königin Mutter mitten in den ganzen Wirren aus dieser Angst heraus plötzlich zu früh ihr Kind geboren hat und diese ganzen Ängste, die sie erlebt hat, dann auf ihren Sohn Otto übertragen hat.“ Diese Interpretation des luxemburgisch-bayerischen Historikers und Autors Jean Louis Schlim klingt plausibel, doch bietet sie keine Erklärung dafür, dass Ottos älterer Bruder Ludwig später ebenfalls verhaltensauffällig wurde.

Die beiden Brüder verstanden sich und hatten Gemeinsamkeiten. Es gab allerdings auch Unterschiede, die den jüngeren zumindest für damalige Verhältnisse fast geeigneter für die Krone erscheinen ließen. Während der großgewachsene, drahtige, dunkelhaarige Ludwig als introvertiert, zurückhaltend und fast schüchtern herüberkam, punktete der kleine, etwas gedrungene, blonde Otto mit seiner lebhaften, heiteren, kontaktfreudigen, leutseligen, offenen und liebenswerten Art. Während Ludwig gerne mit Bauklötzen spielte und am Alpsee fischte, war Otto waffenaffiner. Gerne ging er auf die Jagd oder spielte mit Zinnsoldaten. Beide liebten Musik, aber wo es Ludwig zu Oper und Richard Wagner zog, da bevorzugte Otto die leichtere Operette und Jacques Offenbach. Otto schwärmte für Theater wie Ballett, und auch zum anderen Geschlecht fand er offenkundig leichter Zugang. Otto wird als regelrechter Sonnyboy beschrieben bis hin zum Vorwurf eines liederlichen Lebenswandels.

Beginn des Königtums 1886

Ganz begeistert äußerte sich seine Cousine Therese, die Tochter des späteren Prinzregenten Luitpold: „Er war unbewusst liebenswürdig, nicht berechnend, nicht gesucht, sondern gerade durch seine bescheidene Liebenswürdigkeit äußerst gewinnend. Zu dieser liebenswürdigen Bescheidenheit gesellte sich eine Einfachheit und Natürlichkeit, die anziehen musste. Offen und gerade in seinem Wesen war er unerschütterlich fest, wenn es galt, seine Überzeugung zu vertreten. Dazu beseelte ihn eine seltene Güte, ein seltenes Wohlwollen für die Menschheit, welche mich an die meines Vaters gemahnte. All diese edlen Charakterzüge zogen mich an und im Umgang mit ihm fühlte ich mich gehoben, fühlte ich mich, ein besserer Mensch zu werden.“

Nachdem ihr gemeinsamer Vater 1864 überraschend gestorben war, unterstützte Otto seinen älteren Bruder loyal nach Kräften bei der Repräsentation der Krone. Nach dem Ausbruch des Deutschen Krieges 1866 nahm der Prinz im Gegensatz zum König an vorderster Front an den Kämpfen teil. Nach seiner Heimkehr sollen bei ihm vermehrt psychische Veränderungen aufgefallen sein. Der Zeitpunkt lässt auf einen kausalen Zusammenhang mit schrecklichen Fronterlebnissen schließen. Allerdings wurden bereits spätestens Mitte 1865 bei Otto die ersten Anzeichen einer psychischen Störung festgestellt.

Wie am Deutschen nahm Otto auch am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 aktiv teil. Wie zuvor schon bei anderen Gelegenheiten vertrat er bei der Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles seinen Bruder.

Aufgrund seiner zunehmenden Menschenscheu spielte Ludwig mit dem Gedanken, zugunsten seines Bruders auf den Thron zu verzichten. Das erwies sich jedoch zunehmend als unrealistisch. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg verschlechterte sich Ottos Gesundheitszustand rapide. Nun wurde er zunehmend menschenscheu. Ab Januar 1872 galt Otto als geisteskrank.

Ende des Königtums 1913/1916

Wie weiland der jüngere gegenüber dem älteren erwies sich nun der ältere gegenüber dem jüngeren Bruder als loyal. Ludwig versuchte Otto die damalige Diskriminierung Geisteskranker weitgehend zu ersparen. Möglicherweise resultierte Ludwigs Empathie und Sympathie auch aus einer Wesensverwandtschaft. Eine solche schloss offenkundig auch Ottos behandelnder Arzt Bernhard von Gudden nicht aus. So notierte Ludwig nach einer Audienz, die er im Jahre 1874 dem Arzt seines Bruders gewährt hatte: „Gudden sieht mich zuweilen so eigentümlich an. Wenn er nur nicht auch an mir noch irgendetwas herausfindet.“

1875 kam es zu einem Eklat, der Ottos Geisteskrankheit öffentlich machte. Während der Fronleichnamsmesse in der Münchner Frauenkirche stürmte er in Jagdkleidung in das Gotteshaus und bat den zelebrierenden Erzbischof Gregor von Scherr auf den Knien um Vergebung seiner Sünden. Nach diesem Zwischenfall wurde Otto vom Schloss Nymphenburg ins Schloss Schleißheim verbracht und unter noch stärkere Überwachung gestellt. Nach einer weiteren Verschlimmerung des Zustandes wurde der zwischenzeitlich Entmündigte in das Schloss Fürstenried bei München gebracht, das eigens für ihn umgebaute wurde.

Dem gesundheitlichen Abstieg stand ein protokollarischer Aufstieg gegenüber. Nach dem mysteriösen Tode König Ludwigs II. im Starnberger See wurde er im Jahre 1886 dessen legitimer Nachfolger. In stärkerem Maße als bei seinem Bruder bestand bei Otto aber kein Zweifel an dessen Regierungsunfähigkeit. Folgerichtig hatte statt ihm ihr gemeinsamer Onkel väterlicherseits Prinz Luitpold für Ludwig nach dessen Erklärung für regierungsunfähig die Regentschaft übernommen, und folgerichtig setzte er seine Regentschaft nach Ludwigs Tod nun für Otto fort. Die Verklärung der Regierungszeit des Prinzregenten liegt nicht zuletzt an dessen Bescheidenheit. Selbst im hohen Alter begnügte er sich mit dem vergleichsweise schlecht vergüteten Posten eines Reichsverwesers und stand bei Thronreden stets neben dem Thron.

Luitpolds ältester Sohn Ludwig war da weniger bescheiden. Er begnügte sich nach dem Tode seines Vaters 1912 nur für eine kurze Übergangszeit mit der Regentschaft. 1913 machte er sich ungeachtet der Tatsache, dass dieser noch lebte, zu Ottos Nachfolger. Wenigstens den Königstitel ließ er dem von Thron Gestoßenen, sodass Bayern skurrilerweise mit Ludwig III. und Otto I. nun zwei Könige parallel hatte, bis letzterer am 11. Oktober 1916 auf Schloss Fürstenried verschied.


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Kommentare

sitra achra am 27.04.23, 10:53 Uhr

Eigentlich wäre Heinrich XIII Prinz Reuß eine Option, zumindest für Reichsbürger.
Auch Georg Friedrich von Hohenzollern böte sich zur Auswahl an.
Jedoch, vivat unser Kaiser Olaf der Besengte!

Kersti Wolnow am 25.04.23, 07:29 Uhr

Deutsche Könige werden medial vor allem lächerlich gemacht oder mindestens entstellt, ihnen Dinge in den Mund gelegt oder Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe die Biografie von Wilhelm II gelesen, weil ich meine, er selbst gibt von sich das ehrlichste Bild.
Genauso glaube ich nicht an den Verschwender und Idioten Ludwig II. Wer einen Richard Wagner unterhält und Schloß Schwanstein der Nachwelt baut, war kein Spinner. Warum sind gerade der deutsche und der russische Adel plattgemacht worden? Gibt es globale überstaatliche Kräfte, die die Entscheidungsgewalt haben?
Was jetzt als deutsche Regierung herumläuft, ist Anlaß zum Fremdschämen, in früherer Zeit waren es immer nur die Außen- und Verteidigungsminister. Als würde man uns zu allem auch noch eine Narrenkappe aufsetzen. Danke für den wohlwollenden Artikel. Ein bayrischer König würde Bayern heute nicht halb so auspressen und belügen.
Wer noch halbwegs normal gebildet ist, müßte genauso denken wie ich. Ich glaube schon, daß wir uns selbst verwalten könnten, aber nicht mit dem bestehenden Auswahlverfahren, das auch in den uSA, wie man sieht, nicht funktioniert. Also dann doch lieber einen König? Schlimmer könnte es nicht werden.

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