15.05.2025

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SPD

Der Bogen war weit gespannt

Vor 150 Jahren schlossen sich Lassalleaner und Eisenacher zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammen

Bernhard Knapstein
15.05.2025

Margere 16,4 Prozent – das ist der Vertretungsanspruch der Partei August Bebels, Wilhelm Liebknechts, Willy Brandts und Helmut Schmidts im Jahr 2025 – im Jubiläumsjahr der vor 150 Jahren gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), die sich seit 1890 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) nennt. Schlechter stand die Partei zuletzt 1883 da, nur wenige Jahre nach ihrer Gründung. Der langsame Niedergang der ältesten noch bestehenden politischen Partei Deutschlands, die auch eine der ältesten in ganz Europa ist, darf angesichts der langen Tradition durchaus bedauert werden, auch wenn es für einen Nachruf verfrüht ist, denn der Machtanspruch, den die Partei für sich in der neuen Regierung reklamiert hat, ist höher als ihr Wahlergebnisse hergeben.

Vor eineinhalb Jahrhunderten, auf dem vom 22. bis zum 27. Mai 1875 in Gotha stattfindenden Vereinigungscongress des 1863 in Leipzig maßgeblich von Ferdinand Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) mit der 1869 auf wesentliche Initiative Bebels und Liebknechts in Eisenach gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) zur SAP beschworen die Parteitagsredner die politische Zusammenarbeit der verschiedenen Arbeitervertretungen. „Wir sind zusammengekommen, um die Einheit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zu vollenden, das Hauptziel all unseres bisherigen Strebens“, so Bebel bei dem Treffen der 74 Delegierten des ADAV und der 56 der SDAP.

Ideal der Einheit der Arbeiterklasse
Es galt, bei dem Thüringer Treffen eine Kompromisslinie zwischen den gemäßigten Lassalleanern und den eher revolutionären Eisenachern zu finden. Kein leichtes Unterfangen, denn während Lassalleaner beispielsweise die Einbindung der Arbeiter in das Wirtschaftssystem im Wege produktiver Genossenschaften mit Staatskrediten forderten, lehnten die Marxisten den Kapitalismus in Gänze ab. Doch die Delegierten der beiden Parteien mit zusammen rund 25.000 Parteimitgliedern waren sich durchaus der historischen Stunde bewusst. „Die bloße Kunde von der Aufnahme von Vereinigungsverhandlungen hatte das sozialistische Berlin elektrisiert. Es herrschte in der Versammlung ein Enthusiasmus, der alles fortriß“, berichtet etwa Eduard Bernstein, der den Parteitag gemeinsam mit seinen Parteifreunden Bebel und Liebknecht vorbereitet hatte. In der Tat verfolgte man bei den Konservativen im Reich das Sozialistentreffen sehr genau, und das mit einigem Unmut. „Was die Sozialisten fordern, läuft auf die Zerstörung unserer sozialen Ordnung hinaus“, kommentierte etwa die „Kölnische Zeitung“.

Bei den Debatten zum künftigen Programm hielten sich Extremisten wie Bebel zurück, um die Vereinigung der Kräfte nicht zu gefährden. „Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben, und sie, wenn ich kann, beseitigen“, bekannte sich Bebel 1903 hingegen offen zum Marxismus. Doch er war nicht der einzige, der sich zur Zurückhaltung gezwungen sah. Die Sozialdemokraten mit Führungsanspruch neigen zu autoritärem Auftreten. Das hatte in der ADAV bereits Johann von Schweitzer und Carl Thölcke die Führungspositionen gekostet zugunsten von Wilhelm Hasenclever, der weitaus geschmeidiger widerstrebende Positionen zusammenführen konnte. Letzteren wählte der Gothaer Parteitag mit Wilhelm Hartmann von der SDAP zu gleichberechtigten SAP-Vorsitzenden.

Das in Gotha beschlossene Programm ist auch heute noch interessant. An einige Forderungen von 1875 hat die SPD auch wieder die Axt angelegt. So hat die junge Partei unter Punkt I ihres Programms die Befreiung der Arbeit durch Beseitigung von Privateigentum an Produktionsmitteln sowie deren Überführung in gesellschaftliches Eigentum gefordert. Das wäre der heutigen gesättigten SPD zu viel der Kapitalismuskritik.

Der zweite und letzte Punkt des Programms enthält 14 Forderungen, sechs betreffen die „Grundlage des Staates“ und acht die „heutige Gesellschaft“. Dort wird nicht nur das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht gefordert, sondern sogar eine Wahlpflicht ab dem 20. Geburtstag. Doch nicht nur über die Zusammensetzung der politischen Führung soll die Bevölkerung abstimmen, sondern beispielsweise auch über Krieg und Frieden. Grundsätzlich ist eine „direkte Gesetzgebung durch das Volk“ vorgesehen. So viel direkte Demokratie wird heute nicht mehr von der SPD gefordert. Die Partei ist inzwischen in der repräsentativen bundesrepublikanischen sogenannten indirekten Demokratie angekommen und weiß, dass viele ihrer Vorhaben in der Bevölkerung keine mehrheitliche Zustimmung finden, eine direkte Volksherrschaft insofern also gar nicht in ihrem Interesse wäre.

Gothaer Programm
„Allgemeine Wehrhaftigkeit“ wurde ebenso gefordert wie „Volkswehr an Stelle der stehenden Heere“, eine Abwandlung der klassischen liberalen Forderung „Bürgerwehr an Stelle des stehenden Heeres des Königs“.

Die 1875er SAP strebte zudem danach, alle Gesetze abzuschaffen, die das freie Forschen und Denken sowie die freie Meinungsäußerung beschränken. Davon hält die SPD heute nichts mehr, ist ihr die wirkmächtige Meinungsmache im Internet seitens politischer Gegner doch suspekt.

Weitere Forderungen bezüglich Arbeitsrechte und Sozialschutz hat der preußische Ministerpräsident und deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck in seiner 1883 beginnenden Sozialgesetzgebung aufgegriffen, um die SAP in den Augen der Wähler unnötig zu machen und ihr damit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zu Bismarcks Zuckerbrot und Peitsche gehörten neben seiner Maßstäbe setzenden Sozialgesetzgebung auch seine ab 1878 geltenden Sozialistengesetze. Letztere hatten nicht den gewünschten Effekt. Repression schreckte Wahlkämpfer und Wähler nicht ab. Im Gegenteil, die sozialistischen Theoretiker hatten Aufschwung und besaßen Einfluss in der Presse. Zwar hatte die Partei 1881 Stimmenverluste hinzunehmen, „aber sie hatte auch ihre zähe Lebenskraft bewiesen“, wie Bismarck-Biograph Ernst Engelberg formuliert. Die „Reichsfeinde“ waren vitaler, als von der Reichsregierung erhofft. Bismarck versuchte, die Partei politisch zu überwinden. Gelungen ist ihm das nicht. Bis heute lebt die SPD. Nur die SPD selbst entscheidet im demokratischen Prozess darüber, ob ihr die Wähler von der Fahne gehen, weil diese sie für obsolet halten.


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