14.12.2024

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Der die nationale Einheit erträumte

Der Präsident der Frankfurter Nationalversammlung und Reichsministerpräsident Heinrich von Gagern steht wie kaum ein anderer Deutscher für die bürgerliche Revolution von 1848. Vor 225 Jahren kam der liberale Aristokrat in Bayreuth zur Welt

Bernhard Knapstein
17.08.2024

Sein Name steht stellvertretend für den Vormärz und vor allem für die verfassunggebende Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848/49. Der vor 225 Jahren, am 20. August 1799, geborene Freiherr Heinrich Wilhelm August von Gagern war Präsident dieser gesamtdeutschen Keimzelle des Parlamentarismus.

Doch während andere Revolutionäre aus einem tiefen Pathos heraus handelten, war Gagern zeitlebens eher ein Vernunftgetriebener. Die deutsche Einheit hatte für ihn keinen maßgeblichen Eigenwert – sie war vielmehr für ihn eine Notwendigkeit, um liberale Ideen, die er in der Kleinstaaterei ersticken sah, im größeren Nationalstaat realisieren zu können. Was ihn also antrieb, war mehr als hohles Pathos. Und vieles in seiner Vita stimmt mit Blick auf die Gegenwart nachdenklich.

Gagerns Familie war ein Adelsgeschlecht des Fürstentums Nassau-Weilburg, sein Vater war der Politiker, Diplomat und Kulturhistoriker Hans Christoph von Gagern. Heinrich wuchs mit neun Geschwistern auf, von denen einige ebenfalls Geschichte schreiben sollten.

Da seine Eltern vor den französischen Revolutionstruppen ins preußische Ansbach-Bayreuth fliehen mussten, wurde Heinrich im Exil geboren. Wie im Adel üblich, besuchte Heinrich jung die Kadettenschule München, die ihm wenig zusagte. Mit gerade einmal 15 Jahren zog er als Unterleutnant mit einem nassauischen Regiment 1815 gegen den aus Elba zurückgekehrten Napoleon in den Krieg. Bei Waterloo wurde er nur leicht verwundet, die Teilnahme an den Befreiungskriegen prägte den jungen Adligen allerdings für sein Leben.

Geprägt durch die Befreiungskriege
Mit gerade 16 Jahren nahm er seine Studien der Rechtswissenschaften in Heidelberg auf, wo er sich an der Gründung einer Burschenschaft beteiligte und wegen eines Duells zehn Tage Karzer absaß. Unstet zog er nach Göttingen und 1818 nach Jena, wo er Mitglied der Urburschenschaft wurde. Sein Streiten für ein geeintes Deutschland war vor allem ein Ringen um Demokratie und eine Verfassung. Da er mehr durch Duelle und burschenschaftliche Aktivitäten auffiel als durch intensive Studien, entsandte der Vater ihn nach Genf, sein Französisch zu verbessern. Doch dort setzte sich Gagern mit der Demokratie noch intensiver auseinander. Auch wenn er adelig sei, habe er doch in der dortigen demokratisch-bürgerlichen Gesellschaft seine Individualität gefunden, sagte er später von sich und der Eidgenossenschaft. Das Studium schloss er dann doch noch 1821 in Gießen mit dem zweiten Staatsexamen ab.

Gagern wurde protegiert, verbeamtet – und stellte rasch fest, dass er mit seinen Reformvorstellungen in der Verwaltung keinen Durchbruch erzielen würde. So strebte er ab 1826 in die Politik, kandidierte aber erst nach den Revolutionswirren 1830 in Frankreich und Belgien 1832 für den Landtag des Großherzogtums Hessen und errang für Lorsch auch das Mandat. Mit gerade einmal 33 Jahren wurde Gagern Vorsitzender des Finanzausschusses und schon bald Oppositionsführer – offenbar mit Erfolg, denn die großherzogliche Regierung löste den Landtag auf und versetzte den Beamten in den Ruhestand.

Gagern kandidierte erneut, zog wieder ins Parlament ein und wurde zum Präsidenten gewählt. Doch die Regierung lehnte ihn ab. Bei der Neuwahl 1834 wurde Gagern abermals ins Parlament gewählt. Nun aber befanden sich die Liberalen in der Minderheit. Gagern sah sich an diesem Punkt darin bestätigt, dass Reformen nur in einer größeren Staatlichkeit möglich seien, und zog sich bis 1846 auf das Familiengut in Monsheim zurück.

Als das Großherzogtum mit der Einführung eines neuen Gesetzbuches auch die Zivilehe abschaffen wollte, arrangierte Gagern von Rheinhessen aus eine Widerstandsbewegung und wurde kurz darauf, ohne es überhaupt zu wissen, in den Landtag nachgewählt. Wieder in der Opposition begann seine leidenschaftliche Phase, die ihn erneut in eine Duellsituation brachte. Auch die Liberalen stritten leidenschaftlich miteinander und splitteten sich ab 1847 zunehmend auf, wobei Gagern sich weder zu den Gemäßigten noch zu den Radikalen zählte.

Hoffen auf eine nationale Lösung
Als 1848 in Paris die Februarrevolution ausbrach, lag Revolution auch in den deutschen Ländern in der Luft. Gagern forderte im Landtag einen gesamtdeutschen Regenten, eine Nationalregierung und ein Nationalparlament und erregte damit national Aufsehen. Er nahm im Badischen Hof zu Heidelberg an der sogenannten Heidelberger Versammlung der 51 teil, auf welcher der Riss zwischen konstitutionellen Liberalen und Republikanern offenkundig wurde.

Die revolutionäre Stimmung war nun so ausgeprägt, dass die Revolution von den Fürsten nur noch gelenkt, nicht mehr unterdrückt werden konnte. Erbgroßherzog Ludwig wurde daher von seinem Vater als Mitregent eingesetzt und Gagern zum Regierungschef ernannt. Der warb nun auch formal namens des Großherzogtums bei den anderen deutschen Fürsten um Zustimmung zur Einsetzung des preußischen Königs als Bundesoberhaupt.

Letzterer machte indes eine unglückliche Figur. Am 18. März kapitulierte er vor seinem Volk auf den Barrikaden. Und in einer nationalen Leitposition sah er sich nicht. Das minderte bei den Standesgenossen des Preußenkönigs die Bereitschaft, einer Einigung unter Preußens Führung zuzustimmen.

Da eine Einigung Deutschlands von oben durch dessen Fürsten immer unrealistischer erschien, setzte er umso mehr auf eine Einigung von unten durch die Nationalversammlung.

In der Frankfurter Paulskirche wurde Gagern am 19. Mai 1848 mit 305 von 397 Stimmen zu deren Präsidenten gewählt. Der Präsident sollte monatlich neu gewählt werden, und sieben Mal in Folge setzte sich Gagern durch. Das Regierungsmandat in Hessen musste er deshalb nolens volens aufgeben. Der Diplomat unter den liberalen Kräften hielt die Paulskirche beisammen, als die Revolutionäre nach dem Ende des Ersten Schleswig-Holsteinischen Krieges selbst an den Toren des Parlaments rüttelten, und bemühte sich vergeblich beim preußischen Monarchen um die Übernahme der deutschen Führung

Scheitern an Friedrich Wilhelm IV.
Als Österreich und die Nationalversammlung sich gegen eine großdeutsche Lösung der deutschen Frage unter österreichischer Führung aussprachen, trat der großdeutsch gesinnte Österreicher Anton von Schmerling zurück und der Reichsverweser ernannte Gagern zu dessen Nachfolger als Regierungschef. Unter schwierigen Umständen gelang ihm im Zusammenwirken mit den gemäßigten Linken Ende März 1849 der Beschluss der Verfassung des deutschen Reiches.

Der Kaiserdeputation unter Eduard Simson und Gagern gelang es nicht, Preußens König die Kaiserkrone anzutragen. Das erste gesamtdeutsche Parlament war damit gescheitert. Am 10. Mai 1849 bat das Kabinett des Reichsministerpräsidenten Gagern den noch bis zum Ende des Jahres amtierenden Reichsverweser um seine Entlassung.

Im darauffolgenden Jahr verloren die Schleswig-Holsteiner im Kampf gegen die Dänen wichtige Verbündete, als am 2. Juli erst Preußen und acht Tage später auch der Deutsche Bund Separatfrieden mit Dänemark schlossen und aus dem Krieg ausschieden. In dieser Situation trat Gagern als Major in die Schleswig-Holsteinische Armee der provisorischen Regierung ein und stellte dort jenseits seiner diplomatischen Fähigkeiten seine Bereitschaft unter Beweis, noch einmal militärischen Dienst für Deutschland zu leisten. Am 13. Januar 1851 bat Gagern um seinen Abschied. Ende März/Anfang April wurde die Schleswig-Holsteinische Armee aufgelöst.

Deutsches Reich und Zweibund
Hatte die deutsche Jugend nach 1815 einen Generationenkonflikt mit den Vätern zu bewältigen, die sich mit Napoleon arrangiert hatten, während die Nachwachsenden an den Befreiungskriegen teilnahmen, so hatte Gagern einen Konflikt mit seinem Vater zu bewältigen, der sich dafür erwärmte, den Status quo der Reaktion zu akzeptieren. Ob er mit seinem Vater noch den Frieden fand, ist unklar. Hans Christoph von Gagern starb im Oktober 1852. Gagern verkaufte Gut Monsheim und zog ins badische Heidelberg. Die Politik verfolgte er noch mit Interesse, aber sein Einfluss sank – auch weil neue Generationen junger Politiker emporwuchsen. 1864 ging Gagern als Gesandter Hessens nach Wien.

Als Otto von Bismarck ihm nach der Reichsgründung schrieb und seinen Anteil an dieser würdigte, antwortete Gagern: „Wenn auch manches anders gekommen, anders geworden ist, als ich gewünscht, so bin ich für meine Person mit dem Gesamtergebnis, das nach einigen Richtungen hin alles übertrifft, was man früher hoffte und für möglich hielt, ganz versöhnt und ich begrüße das neue Deutsche Reich mit patriotischer Freude und Anhänglichkeit.“ Als dann das Deutsche Reich 1879 auch noch den Zweibund mit Österreich-Ungarn abschloss, war damit in gewisser Hinsicht Gagerns bereits 1846 entwickelte Idee eines engeren Bundes unter preußischer Führung und eines weiteren mit Österreich verwirklicht.

1877 erkrankte Gagern zwar schwer, aber er nahm noch den am 7. Oktober 1879 zwischen Berlin und Wien geschlossenen Zweibund ebenso wahr, wie dass Bismarck diesen als Verwirklichung von „Gagernschen Träumereien“ bezeichnete. Das dem Vertragsabschluss folgende Jahr überlebte Gagern indes nicht mehr. Er starb am 22. Mai 1880 in Darmstadt. Auf dem dortigen Friedhof ist er auch begraben.

Wie viele Revolutionäre, Militärs und Politiker vereint auch Gagern menschliche Schwächen und Stärken, das Gelingen und das Scheitern in seiner Person. Das sind Attribute, die auch die Demokratie selbst in sich trägt und an denen sie immer wieder neu wachsen muss. Das mag der Grund sein, aus dem einige Historiker in Gagern eine zentrale Traditionspersönlichkeit für die deutsche Demokratie sehen, während andere, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler, ihn mit Blick auf das in seiner Zeit übliche großdeutsche Streben ablehnen. Doch entrisse man historisch jede Persönlichkeit ihrer Zeit, um sie als traditionstauglich prüfen zu können, wie es in der Gegenwart durchaus üblich ist, dann bliebe wohl Gagern als einer der letzten Vorbilder bestehen.


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