03.08.2025

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Gerhard Scheer am Memelstrand (l.): PAZ-Reporter Bernhard Knapstein zu Besuch im Hospital beim legendären Unternehmer (r.)
Bilder: D.K; G. ScheerGerhard Scheer am Memelstrand (l.): PAZ-Reporter Bernhard Knapstein zu Besuch im Hospital beim legendären Unternehmer (r.)

Eine Begegnung mit einem wahren Pionier

Der Herr der Busse

Gerhard Scheer bewegte mit seinem Unternehmen über drei Jahrzehnte die Ostpreußen zurück in ihre Heimat

Bernhard Knapstein
03.08.2025

Die Sonne steht hoch über dem Klinikum Herford. Warmes Licht fällt in das Zimmer der Palliativstation auf das Gesicht von Gerhard Scheer. Der 75-Jährige, einst Busunternehmer, Pionier im Fernbusverkehr nach Ostpreußen und leidenschaftlicher Brückenbauer zwischen Menschen, liegt im Bett – geschwächt, aber hellwach. Seine Hände ruhen auf der Decke. Nur wenn die Erinnerung in ihm sprüht und er ins Erzählen kommt, erzählen Scheers Hände mit. „Er ist noch voller Stärke“, sagt seine Lebensgefährtin aus Guttstadt Maria Leonowski.

Scheers Stimme ist leise, stockt immer wieder – auch wenn es ihm schwerfällt, er will berichten und im Guten zurückblicken. „Ich bin erfüllt von Dankbarkeit“, sagt er, „für mein Leben, für all die Begegnungen in und mit Ostpreußen.“ Es ist ein Satz, der sich durch das ganze Gespräch zieht – wie ein Refrain aus einem alten, sehnsuchtsvollen Lied.

Mit Hilfspaketen fing es an
Gerhard Scheers Geschichte beginnt erst nach Flucht und Vertreibung. Geboren 1950 in Cloppenburg, als drittes Kind einer aus Wolhynien stammenden Mutter und eines ostpreußischen Vaters aus dem Kreis Ebenrode/Stallupönen – einer Region, die bald nach dem Krieg vom Kartenwerk Europas verschwand. Jahrzehnte später sollte genau diese Heimat zum Mittelpunkt von Gerhard Scheers Lebenswerk werden – als Busfahrer, als geschickter Unternehmer, als derjenige, der im großen Stil die Ostpreußen in ihre Heimat brachte.

„Es begann mit Hilfspaketen“, erzählt er. In den 1980er Jahren transportierte Scheer Lebensmittel und Kleidung in einem alten Magirus-Lkw durch die DDR nach Polen. Die Not dort war groß – und die Dankbarkeit noch größer. Doch bald wurde ihm klar: Die Menschen wollten nicht nur Dinge befördert wissen. Sie wollten zurück in die Heimat. Der Verkehr zwischen Westdeutschland und dem südlichen Teil Ostpreußens und Oberschlesien war eine Nische. Diese Nische wollte Scheer füllen und absolvierte bis 1987 alle erforderlichen Prüfungen und beantragte die erforderlichen Konzessionen, kaufte sich einen gebrauchten, aber modernen Reisebus und gründete in Wuppertal das Reisebusunternehmen Scheer Reisen als Einzelkaufmann. Er stellte Aussiedler meist mit Kfz-Ausbildung ein, die des Polnischen mächtig waren, und entwickelte schnell einen regelrechten Linienverkehr, wie man ihn heute etwa von den grünen Flix-Bussen kennt. Um seine Konzession auf Polen auszuweiten, gründete er in Allenstein eine weitere Firma nach polnischem Recht und war der einzige Anbieter nach Nordpolen, Königsberg, Litauen und sogar zeitweise bis nach Moskau – eine echte Pionierleistung.

Ein Mann der Taten
Der Linienverkehr wurde später durch die Blockade polnischer Behörden und von konzessionslosen Busunternehmen unterminiert. Korruption und Konkurrenzdruck zwangen Scheer zum Umdenken, er fokussierte sich auf den Reisetourismus jenseits des Linienverkehrs. Zwar obsiegte er 2004 final in entsprechenden Gerichtsverfahren, doch Entschädigungen erhielt Scheer nicht. Es blieb daher beim Tourismusgeschäft.

Doch mehr als die Querschläger im Geschäftsleben bewegt Scheer die Begegnungen mit und in Ostpreußen. Der Mai 1991 wurde für ihn zu einem emotionalen Höhepunkt. „Als mich Dora Kalkhorst über die Öffnung des Königsberger Gebiets für den Tourismus informierte, war das mein glücklichster Moment“, berichtet Scheer mit leuchtenden Augen über ein Gespräch mit der damaligen Wuppertaler Ostpreußen-Chefin. „Sie sagte mir dann: ‚Und jetzt sorge dafür, dass wir auch in die Heimat zurückkommen!'“ Und Scheer sorgte.

Scheers Busreisen waren mehr als Mobilität. Sie waren emotionale Heimkehr, politische Geste, humanitäre Mission. In seinen Fahrzeugen saßen Veteranen, Heimkehrer, Enkelgenerationen auf Spurensuche. Sie alle lauschten seinen Geschichten, seinen Erklärungen, seiner feinen Mischung aus Reiseleitung und Zeitzeugenbericht.

Er erinnerte sich an den alten Gasthof in Birkenmühle, den ihm jemand zum Kauf anbot. An die überbordende Freude beim Stadtfest in Pillkallen, an glückliche Passagiere, die in der Pissa badeten, oder die Ostpreußin, die im heimischen Kaltensee die Füße ins Wystiter Wasser tauchte, den hochbetagten Ostpreußen aus Australien, der mit ihm nach Königsberg-Ponarth reiste – und an die Stille auf dem Soldatenfriedhof bei Pillau sowie am Massengrab ertrunkener Opfer der „Wilhelm Gustloff“. Scheers Busse waren rollende Archive lebendiger Erinnerung.

Erfüllte Wünsche in Königsberg
Doch nicht alle Erinnerungen sind hell. In einem Moment der Stille erzählt er von einer Entscheidung, die ihn bis heute verfolgt. „Meine Mutter wollte nicht, dass wir in Ebenrode halten – sie sagte, mein Vater würde das nicht verkraften“, berichtet Scheer unter Tränen über eine Reise mit den Eltern ins Königsberger Gebiet. Er habe den Wunsch der Mutter erfüllt und den Bus nicht am väterlichen Dorf halten lassen. „Aber mein Vater hat es mir nie verziehen. Und ich mir auch nicht.“ Der Schmerz ist greifbar. Ein stilles Drama, das irgendwo zwischen Pflicht und Pietät, zwischen Schuld und Liebe verläuft.

Gerhard Scheer, hat weit über drei Dekaden hinaus für Tausende Ostpreußen und Oberschlesier die Heimat zugänglich gemacht. Er weiß, dass sein Ende nahe ist, er spricht es aus und schaut mit Liebe auf seine Maria. Scheer hadert nicht, sondern blickt mit tiefer Dankbarkeit auf sein Leben zurück.


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