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Kultur

Der märkische Walter Scott

Vor 150 Jahren starb im thüringischen Arnstadt der aus Breslau stammende Romanautor Willibald Alexis

Harald Tews
10.12.2021

In diese Zeit fallen die runden Jahrestage zweier Autoren, welche die realistische Erzählliteratur mitgeprägt haben. In Frankreich feiert man am 12. Dezember den 200. Geburtstag von Gustave Flaubert. Und in Deutschland gedenkt man am 16. Dezember des 150. Todestags von Willibald Alexis.

Während Flaubert vor allem durch seinen Ehebruchroman „Madame Bovary“ zum Dauerbrenner des Literaturbetriebes geworden ist, können die meisten mit dem Namen Willibald Alexis wenig anfangen, geschweige denn sich ein Werk des Autors ins Gedächtnis rufen. Selbst Buchhandlungen helfen da nicht weiter. Neuere Ausgaben von Alexis? Fehlanzeige. Man muss schon tief in Antiquariate eintauchen, um einen Roman von Alexis aufzustöbern. Dabei fällt auf, dass die zuletzt aufgelegten Werke aus DDR-Zeiten stammen. Ost-Verlage wie Rütten & Loening oder Das Neue Berlin haben Alexis bis in die 1980er Jahre hinein immer wieder in ihr Programm aufgenommen.

Weil er ein marxistischer Autor war? Sicher nicht! Da man aber in der DDR eine sozialistisch gefärbte literarische Traditionslinie konstruieren wollte, um sich vom Westen abzugrenzen, bot sich Alexis für diesen Kanon an. Denn mit seinen liberalen Ideen war er ein Opfer der preußischen Zensur und erwarb sich im Nachmärz wegen seiner Sympathien für die 48er-Revolutionäre den Ruf eines „roten Republikaners“.

Den Ritterschlag bekam er posthum, als der marxistische Publizist Franz Mehring Alexis' Werke 1903 in einer Literaturkritik auf eine Stufe stellte mit denen Lessings und Kleists. Und 1973 adelte die DEFA einen der bekanntesten Alexis-Romane, „Die Hosen des Ritters von Bredow“, mit einer Verfilmung, die für DDR-Verhältnisse Star-besetzt war. Rolf Hoppe spielte in der Komödie die Titelfigur, der ihre schutzbringende Lederhose abhandengekommen ist, und in der Rolle eines Dekans war ein Schauspieler zu sehen, der später groß Karriere in Hollywood machen sollte: der aus Tilsit in Ostpreußen stammende Armin Mueller-Stahl.

Dass man aber Alexis im Westen des Landes völlig ausgeblendet hat, ist verwunderlich. Immerhin hätte man sich dort auf Fontane berufen können, der Alexis als den „märkischen Walter Scott“ bezeichnete. Während der schottische Autor als Urvater des Historischen Romans Klassikerstatus erlangte, tat man sich mit den deutschen Ebenbildern schwer. Dabei gilt Alexis – neben der heute ebenfalls in Vergessenheit geratenen Autorin Benedikte Naubert – als Mitbegründer des Historischen Romans in Deutschland.

Seinen Debütroman „Walladmor“ brachte er 1824 als „Übersetzung“ mit der Bezeichnung „Frei nach dem Englischen des Walter Scott“ heraus. Das Buch wurde ein Renner, auch deswegen, weil viele es fälschlich für ein Originalwerk des berühmten Schotten hielten. Der Erfolg zeigte sich auch darin, dass der britische Autor Thomas De Quincey das über 1000-seitige Werk in Englische „rückübersetzte“. In der Folge schrieb Alexis zehn weitere voluminöse, die brandenburgisch-preußische Geschichte abdeckende „Vaterländische Romane“ wie „Cabanis“, „Der falsche Woldemar“ oder das im Titel ein geflügeltes Wort von 1806 aufgreifende „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ sowie zwei Gegenwartsromane.

Einen Coup landete der 1798 in Breslau geborene Jurist, Redakteur, Feuilletonist sowie Gründer von Berliner Lesegesellschaften und Buchhandlungen mit dem „Neuen Pitaval“. In dieser „Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit“, die in der Nachfolge des französischen Juristen Gayot de Pitaval (1673–1743) erschien, trug Alexis ab 1842 allein mit der Beschreibung von 250 historischen Verbrechen zu 28 der bis 1890 insgesamt herausgegebenen 60 Bände bei.

Hätte Alexis ab 1856 nicht eine Reihe von Schlaganfällen erlitten, dann hätte der unermüdliche Autor weiter an seinem Ruhm stricken können. So siechte er bis zu seinem Tod im Jahr 1871 dahin, weshalb er in Vergessenheit geriet. Doch nur fast. Fontane erinnerte sich: „Wer damals, um die Sommerzeit, nach Arnstadt kam und an stillen Nachmittagen unter den Bäumen des Parks spazieren ging, der begegnete einem Wägelchen, drin ein Kranker langsam auf und ab gefahren wurde ... Dieser Kranke war Willibald Alexis.“

In Heringsdorf auf Usedom erinnert man sich noch heute an Alexis, der eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Häring hieß. Es geht die Legende, dass der aus hugenottischer Familie stammende Autor, der für seinen fischigen Namen das lateinische „allecis“ als Künstlernamen wählte, Namensgeber des Ortes gewesen sein soll. Er besaß dort eine Villa und setzte der Gegend mit der Novelle „Meerschaumflocken“ ein literarisches Denkmal. Vielleicht sollte man über diese Lektüre Alexis endlich wieder näherkommen.


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