26.04.2024

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Im Nationalpark Wollin

Der sagenumwobene Jordansee

Nicht nur Theodor Fontane und Carl Ludwig Schleich schwärmten von diesem herrlichen Fleckchen Erde

Erwin Rosenthal
24.04.2022

Früher war für Gäste des Ostseebades Misdroy der Besuch des nahen Jordansees, der auch in der Literatur erwähnt wird, ein Muss. Theodor Fontane beschreibt in seinem Buch „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ den in der Märkischen Schweiz gelegenen kleinen Tornowsee: „Das Wasser ist schwarz, dunkle Baumgruppen schließen es ein, breite Teichrosenblätter bilden einen Uferkranz und die Oberfläche bleibt spiegelglatt, auch wenn der Wind durch die Bäume zieht.“ Und er fügt hinzu, dass der Jordansee auf der Insel Wollin der vielleicht schönste derartige See im nördlichen Deutschland ist.

Ein weiteres literarisches Denkmal hat der bekannte pommersche Chirurg Carl Ludwig Schleich, der auf der Insel Wollin seine Wurzeln hatte, in seinem Buch „Es läuten die Glocken“ diesem stillen und geheimnisvollen Wolliner See gesetzt.

Seerosen sprießen aus dem bis zu 6,5 Meter tiefen, dunklen Wasser des Sees empor, der 17 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Schlanke Erlen, knorrige Kiefern und weit ausladende Buchen, deren lange Äste das Wasser zu berühren scheinen, spiegeln sich im See, den man auf einem schmalen Pfad umrunden kann. Und da er insgesamt sieben Buchten hat, ist er von keiner Stelle aus vollständig zu überblicken.

Einst beliebtes Ausflugsziel

Fast ein Jahrhundert lang war das Naturidyll für viele Menschen das schönste und lauschigste Plätzchen auf der Insel Wollin. Die Attraktivität des nahe an der Ostsee liegenden Naturwunders mit seiner kleinen, über eine Brücke erreichbaren Insel, einer Gaststätte und dem nahen Forsthaus verfehlte ihre Wirkung nicht. Von Misdroy aus gab es Bootsfahrten mit der „Adria“ hierher.

Um den See rankt sich eine Vielzahl an Sagen von Elfen, Göttern, Seeräubern und Naturwundern. Schon Thomas Kanzow berichtet in seiner um 1538 erschienenen „Chronik von Pommern“ über Gespenster am Jordansee. Auf der kleinen Insel soll sich einst das Heiligtum der Göttin Hertha befunden haben. „Heidnische“ Priester mussten der Göttin einmal im Jahr nach deren Umzug und dem sich anschließenden Bade im See ein durch das Los ausgewähltes zwölfjähriges Mädchen als Opfer zuführen. Auf dem nahen Gosanberg soll jedoch ein sehr böser und ungläubige Mensch gelebt haben. Ihm schickte der Teufel angeblich sieben böse Geister, die das Heiligtum der Göttin zerstörten. Die Göttin rächte sich zwar an den Übeltätern, verließ jedoch den See und wandte sich dem Herthasee auf Rügen zu, wo sie ihr Heiligtum errichtete.

Später verbarg sich angeblich Störtebeker mit seinen Gesellen hier. Geschart hatten sich die Piraten um Stina, eine junge Frau, die wilder und tapferer war als die Männer. Man sagt, dass sie der Sohn des Gutsherrn, bei dem sie als Magd diente, verführt und dann verstoßen hatte. Daraufhin schwor sie allen Männern, insbesondere aber den vornehmen unter ihnen, Rache. Als schließlich zwei entflohene Gefangene den Schlupfwinkel der Bande verrieten, wurden alle Räuber getötet. Stina selbst ertränkte sich im See, wo auch die Schätze versenkt wurden.

Sie soll heute noch darauf hoffen, dass sie von einem jungen, am Johannistag geborenen Mädchen erlöst wird. Jenen Punkt auf der Steilküste, von dem aus Stina den Seeräubern mit einer roten Flagge signalisiert hatte, dass keine Gefahr drohe, nannte man später Stinas Utkiek.

Der Name des Sees hat sich im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Im Jahre 1186 wird in einer Urkunde des Herzogs Bogislaw I. für das Areal die Bezeichnung „lacum Gardino“ verwendet. Später setzte sich der Name Gertasee (auch Gerdasee oder Jörmssee) durch. Die volkstümlichen Namen Hertha, Gerda und Jörms stehen ganz offensichtlich für Nerthus (die Mutter Erde). In Tacitus' „Germania“ ist Nerthus die Fruchtbarkeitsgöttin. Die Bezeichnung Jordansee ist hingegen christlichen Ursprungs und wurde erstmals auf der Karte der schwedischen Landesaufnahme von Vorpommern aus dem Jahre 1692 verwendet. Mit dem neuen Namen distanzierte man sich von den „heidnischen“ Germanen, deren Gottheiten sogar Menschenopfer forderten.

Das Gebiet um den See war aber nicht nur Idylle, sondern auch Wirtschaftsstandort. In den 1820er Jahren ließ der verdienstvolle Oberpräsident Pommerns, Johann August Sack, nördlich des Sees eine Heringspackerei errichten. Später wurde hier eine Zementfabrik in Betrieb genommen, die ihr Wasser aus dem Jordansee bezog. 1877 stellte man die Zementproduktion ein. Die Villa des früheren Fabrikbesitzers nutzte man fortan als Forsthaus.

Besucher bleiben Zaungast

Eben dieses Forsthaus gibt es noch heute. Es wurde nach dem Krieg Teil eines exklusiven, mit einem hohen Zaun versehenen Ferien- und Schulungsobjektes, bestehend aus Villen mit Ferienwohnungen, Bungalows, Finnhütten, einer Gaststätte und anderen Gebäuden, das mehr als 100 Menschen beherbergen konnte. Das Objekt, das den Jordansee komplett einschließt, war zunächst der polnischen Politprominenz vorbehalten. Erst nach der politischen Wende konnte sich hier jedermann erholen. Noch im Jahre 2005 standen für die Gäste Ruderboote bereit, mit denen sie den See erkunden konnten.

Leider sind die Tore der gastlichen Stätte heute geschlossen, der Besucher bleibt Zaungast. Eine Entscheidung über die Nutzung des sensiblen Naturidylls, das heute zum Nationalpark Wollin gehört, steht offensichtlich noch aus.


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