14.12.2024

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Der Wochenrückblick

Die Farce wäre komplett

Wie Merz die Wahl wieder spannend macht, und warum Scholz wieder hoffen darf

Hans Heckel
14.12.2024

Spüren Sie das auch? Es wird doch noch richtig spannend mit der Wahl Ende Februar! Nach dem Ende der Ampel und mit Blick auf deren politische Bilanz nach drei Jahren schien zunächst ja völlig klar, wie der Urnengang ausgeht: Die Union räumt ab, Scholz steht belämmert in der Ecke mit den Grünen, die FDP hat es vielleicht gerade noch so geschafft, derweil die AfD und das BSW strahlende Erfolge feiern, das war's. Wie vorhersehbar, wie langweilig.

Dann kam Friedrich Merz! Mit ein paar kurzen Bemerkungen kippte der Kanzlerkandidat der CDU/CSU unversehens ordentlich Pfeffer in die fade Soße. Denn was der Sauerländer von sich gegeben hat, könnte tiefen Eindruck machen auf viele Leute, die bislang fest entschlossen waren, Union zu wählen – und so die Kräfteverhältnisse noch einmal gründlich durcheinanderwirbeln. Vielleicht steht am Ende gar wieder Olaf Scholz mit seiner SPD vorne! Wenn Merz mit seinen aufschlussreichen Bekenntnissen fortfährt, wollen wir nichts mehr ausschließen.

„Mit oder ohne Habeck“ wolle er Politik machen, ließ er die erstaunten Wahlbürger wissen. Und außenpolitisch stünden sich Union und Grüne ohnehin recht nahe. Die Botschaft: Wenn Kanzler Merz seine erste Kabinettssitzung einläutet, könnten sehr wohl auch Habeck und Baerbock wieder Platz nehmen auf ihren angestammten Sesseln. Diese Aussicht wird Eindruck machen bei den bisherigen Unionswähler.

Aber heißt das etwa, dass es einfach so weitergeht wie unter der Ampel? Merz bläht sich ein wenig auf: „Wir brauchen einen Politikwechsel in Deutschland“, fordert der CDU-Chef in gekonnter Unschärfe. Denn Merz weiß: Solche Aussagen ziehen den alten (und neuen?) Klimaminister eher an, als dass sie ihn schrecken. Habeck mosert doch schon die ganze Ampel-Zeit hindurch, dass alles nicht schnell und radikal genug läuft beim großen „Degrowth“ der deutschen Industrie. Hier braucht es auch aus seiner Sicht einen „Politikwechsel“ zu viel mehr Tempo und Radikalität. Da dürften sich die beiden rasch einig werden.

Zumal Merz wenig Zweifel darüber lässt, wohin die Reise auch mit ihm weiterhin gehen soll. Bei „Maischberger“ verkündet er „das Aus für Öl- und Gasheizungen“ als sein Ziel, dem Habeck gewiss nicht im Wege stehen wollte. Und was ist mit dem grünen Reizthema Kernkraft? Ruhig Blut, kein Grund zur Sorge: Den Wiedereinstieg will der Kandidat „prüfen“. Aha. Jeder, der die Politikersprache kennt, weiß, was es bedeutet, wenn ein Politikschaffender verspricht, etwas „prüfen“ zu wollen, nämlich: Vergiss es!

Und lässt uns Merz mit dem Wieselwort „prüfen“ nicht ratlos stehen, sondern fügt ehrlicherweise an, dass er den Wiedereinstieg in die Atomenergie „persönlich skeptisch“ sehe, weil „die Zeit verläuft“, da die Kraftwerke ja bereits abgebaut würden.

Stand jetzt könnten allerdings bis zu neun deutsche AKW in den kommenden Jahren wieder ins Laufen gebracht werden, sagt eine jüngst veröffentlichte Studie von US-Experten. Der Reaktor in Brokdorf sogar schon 2025! Habeck sollte sich mit dem Plattmachen von Brokdorf also besonders beeilen.

Mancher Unions-Anhänger dürfte spätestens hier Galle spucken: Will der Merz uns veräppeln? Erst reißen sie die Atommeiler ab, um uns dann mit traurigen Augen zu erklären, dass sie die Dinger leider, leider nicht mehr hochfahren können, selbst wenn sie es wollten, weil die Reaktoren ja nun weg seien. Und der angeblich technologieoffene Unions-Kandidat will den laufenden Abriss noch nicht einmal stoppen, wenn er als Kanzler dazu in der Läge wäre. Ja, so hört es sich an.

Schuldenbremse? „Schauen wir mal“
Merz ahnt zumindest etwas von dem Unwohlsein, das seine potentiellen Wähler angesichts solchen Gebarens erfassen könnte, und legt ihnen ein Placebo hin: „Wir sprechen uns für zwei große Fusionsreaktoren aus, die in Deutschland erprobt werden sollen.“ Wie schön. Der internationale Fusionsreaktor „Iter“ in Südfrankreich soll frühestens 2034 voll betriebsbereit sein, wenn nichts dazwischenkommt. Nach der Erfahrung kommt immer was dazwischen. Wie lange es dann noch bis zur massenhaften kommerziellen Nutzung dieser Technologie dauert – wer kann das wissen? Außerdem will Merz „prüfen“ (das schon wieder!), ob wir „nicht eventuell“ mit den Franzosen „diese kleinen modularen Kraftwerke“ bauen könnten.

Fassen wir zusammen: Der Unionskandidat bietet uns energiepolitische Science-Fiction plus ein weiteres „Prüfen“ als Ersatz für die Wiederinbetriebnahme funktionsfähiger Meiler zur baldigen Produktion von günstigem, zuverlässigem Strom. Das ist er also, der „Politikwechsel in Deutschland“. Das laute Aufatmen unserer gebeutelten Industrie wird ohrenbetäubend ausfallen!

Nun sehen wir, was mit dem Mann alles möglich ist. Doch verrät uns Merz auch, was mit ihm auf gar keinen Fall geht. „Ich bin völlig entsetzt gewesen, dass Christian Lindner diesen Vergleich gemacht hat.“ Himmel, was hat der FDP-Chef denn gesagt? Er wollte, dass auch Deutschland „ein klein bisschen Milei wagt“. Er meint den argentinischen Präsidenten, der die ausufernde Bürokratie seines Landes „mit der Kettensäge“ gestutzt hat. In Deutschland erreichen die Bürokratiekosten der Wirtschaft laut Ifo-Institut bereits fast 150 Milliarden Euro pro Jahr.

Allein die Idee, „ein kleines bisschen“ vom erstickenden Bürokratiemonster wegzustutzen, versetzt den CDU-Chef demnach in Rage. Milei „ruiniert das Land“, behauptet Merz, derweil Argentiniens Wirtschaftsdaten und erst recht -prognosen in eine ganz andere Richtung deuten.

Woran die Ampel gescheitert ist, weiß Merz auch. Da habe es zu wenig „Kompromissbereitschaft“ unter den drei Partnern gegeben. Oh, da kann Habeck im Falle von Schwarz-Grün vollkommen beruhigt sein: An Kompromissbereitschaft gegenüber einem grünen Koalitionspartner wird es Merz ganz gewiss nicht missen lassen.

So fummelt der CDU-Chef bereits heute an der lästigen Schuldenbremse herum, mit welcher Lindner seine Partner zur Weißglut brachte. Die Bremse hinderte Rot und Grün nämlich daran, ihre Träume von grüner Planwirtschaft und rotem Sozialparadies ohne Limit zu finanzieren. Wird Merz die Bremse „reformieren“, sprich: abräumen, um seinem neuen Partner gefällig zu sein? „Das schauen wir dann mal“, sagt der Kandidat in eindeutiger Vieldeutigkeit.

Die Anhänger der eigenen Partei scheinen den Kanzler-Aspiranten verblüffend wenig zu interessieren. Er will sich die Kanzlerschaft lieber herbei arrangieren, indem er rechtzeitig die Fäden zum künftigen Koalitionspartner spinnt. Schlau? Nun ja, wenn er da mal nicht die Rechnung ohne den Wähler macht! Wie gesagt, es ist wieder spannend geworden. Am Ende sehen wir möglicherweise tatsächlich den Scholz ins Kanzleramt zurückkehren. Wie das? Weil sich die Konkurrenz wie schon 2021 selbst zerlegt und er als einziger übrig bleibt. Die Farce wäre komplett.


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