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Konfliktforschung

Die kriegerische Zukunft der Welt

Experten eines EU-Instituts werfen einen Blick auf das Jahr 2030: Vom klassischen Kampf zwischen Ländern bis zu ganz neuartigen gewaltsamen Auseinandersetzungen – Es drohen mannigfache Gefahren

Wolfgang Kaufmann
02.05.2021

Unsere Gegenwart ist wahrlich kompliziert genug. Dennoch gibt es Zukunftsforscher, welche sich damit beschäftigen, was der Menschheit in einigen Jahren drohen könnte – und zwar auch ganz ohne weitere Pandemien. Einige dieser modernen Wahrsager sitzen in dem 2002 gegründeten Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien (EU Institute for Security Studies, EUISS) mit Sitz in Paris.

Die Ergebnisse ihres wissenschaftlichen Blicks in die Glaskugel werden regelmäßig in den Chaillot Papers publiziert, die bestimmten Themenkomplexen gewidmet sind. Kürzlich erschien deren Nummer 161, welche den Titel „Conflicts to Come“ (Kommende Konflikte) trägt. Darin listen die stellvertretende EUISS-Direktorin Florence Gaub und ihre Mitautoren 15 verschiedene Konfliktszenarien für die Zeit um 2030 auf.

Wie die Verfasser schreiben, hatten sie keinerlei inhaltlich-methodische Vorgaben für die Studie erhalten – mit Ausnahme dieser einen: Sie sollten möglichst darauf verzichten, einfach nur heutzutage schon sichtbare Trends um zehn Jahre in die Zukunft zu verlängern, sondern stattdessen „nach schwachen Signalen oder Konfliktelementen suchen, die (noch) nicht in den Schlagzeilen stehen“.

Das EUISS nennt dies „Fictive Intelligence“ (FICINT). Die steht im Kontrast zu den beiden geheimdienstlichen Hauptmethoden Human Intelligence (HUMINT, Gewinnung von Informationen durch Agenten oder andere menschliche Quellen) und Signals Intelligence (SIGINT, Aufklärung durch elektronische Mittel).

Faktor Mensch erschwert Prognosen

Dabei stießen die Analysten freilich auf folgendes Problem: Je größer der Einfluss des Faktors Mensch auf einem bestimmten Gebiet ist, umso schwieriger gestaltet sich das Abgeben von Prognosen, denn menschliches Verhalten kann man weder auf individueller noch auf staatlicher Ebene zuverlässig modellieren. Insofern fielen die skizzierten Konfliktszenarien für 2030 allesamt mehr oder weniger spekulativ aus, zumal eben auch krasse Unwägbarkeiten wie überraschende technologische Innovationen, plötzliche Umweltveränderungen sowie die Geburt neuer Ideologien mit einkalkuliert werden sollten.

Im ersten Abschnitt von „Conflicts to Come“ namens „Die Menschen ziehen in den Krieg – aus Trauer und wegen Missständen“ geht es um die künftige Rolle nichtstaatlicher Akteure. Nach Ansicht der Autoren werden Zivilisten 2030 mannigfache kreative Methoden benutzen, um den Staat zu destabilisieren und unter Druck zu setzen oder behördliche Maßnahmen zu sabotieren. Dabei bestehe insbesondere die Gefahr von Angriffen auf Kulturgüter und die Öl-Infrastruktur. Ausdrücklich ist in diesem Zusammenhang von „Grünem Terror“ seitens der Umweltbewegung sowie auch einer Radikalisierung mancher Christen die Rede. Und Computer-Hacker könnten künftig statt aus finanziellen Gründen eher aus ideologischen Motiven heraus agieren und in Kooperation mit Milizen potentiell tödliche Cyber-Attacken starten.

„Blitzkriege“ auf dem Balkan

Der zweite Abschnitt der aktuellen Chaillot-Broschüre ist mit „Die Große Schlacht: Die Rückkehr des konventionellen Krieges“ überschrieben. Hier heißt es, klassische Kriege zwischen zwei Staaten seien zwar in letzter Zeit seltener geworden, was aber nicht ausschließe, dass man 2030 wieder zu mehr Gewalt greifen werde als gegenwärtig und dabei alte oder neue Methoden der Kriegsführung anwende. Als mögliche Szenarien gelten dabei: Ein großer russisch-amerikanischer Krieg, welcher ausbreche, weil das Abschreckungspotential der USA aufgrund ständiger Kürzungen der Militärausgaben zu gering geworden sei, die Annexion Taiwans durch die Volksrepublik China, russische „Blitzkriege“ auf dem Balkan unter Einsatz hochmobiler Spezialeinheiten sowie ein Vormarsch russischer Truppen im Baltikum, dem die NATO gleichfalls nichts entgegenzusetzen habe. Dass Moskau derart erfolgreich agieren könnte, erklären die EUISS-Analysten mit der ausgeprägten Fähigkeit der Russen, unterschiedliche militärische Technologien auf dem Schlachtfeld zu integrieren.

Und im Abschnitt Nummer 3 „Der clevere Konflikt: Themen und Methoden“ geht es dann noch um spezielle neue Mittel der Kriegsführung wie autonome Unterwasserdrohnen, bisher nicht im Fokus befindliche Schlachtfelder, allen voran die Polargebiete, und Wandlungen in der Philosophie vom Kriege. Im letzteren Zusammenhang wird unter anderem darauf verwiesen, dass nichtstaatliche Akteure in der Dritten Welt in asymmetrischen Konflikten gegen hoch technisierte Mächte auf archaische und dennoch effektive Vorgehensweisen zurückgreifen könnten.

Krieg und Frieden verschwimmen

Ein Beispiel hierfür sei der Einsatz von Heckenschützen in Kombination mit absichtlich herbeigeführten Verschlechterungen der sanitären Verhältnisse in der Kampfzone, welche den „verwöhnten“ westlichen Soldaten mehr zu schaffen machen würden als ihren „primitiven“ Kontrahenten.

Aus alldem ziehen die Verfasser des Chaillot Papers Nr. 161 zunächst diese allgemeinen Schlussfolgerungen: „Die Welt hat bis 2030 wieder ihre Unschuld verloren ... Konflikte sind weit verbreitet und finden in verschiedenen Aktivitätsbereichen und Regionen der Welt statt. Die Unterscheidung zwischen den traditionellen Konzepten ‚Krieg' und ‚Frieden', ‚Konflikt' und ‚Kriegsführung', ‚interne' und ‚externe' Sicherheit ist überflüssig geworden. Politische Interessen werden innerhalb und außerhalb der Grenzen von Staaten verfochten ... Die allgegenwärtige technologische Innovation, die durch 5G und künstliche Intelligenz (KI) beschleunigt wird, ist eine wichtige Variable für die Zukunft von Konflikten.“

Dem schließen sich folgende Ratschläge an die Adresse der EU-Verantwortlichen an: Niemand dürfe Illusionen hegen, was 2030 betreffe – es werde unzählige Konflikte geben, und jeder einzelne Gegner könnte dabei eine ernstzunehmende Gefahr darstellen. Angesichts dessen müsse man nun gemeinsam Schwachstellen aufdecken, Risiken bewerten und den militärisch-sicherheitspolitischen Sektor stärken. Daher lautet der letzte Satz von „Conflicts to Come“ dann auch: „Der Schlüssel für die Europäer, um auf die Zukunft des Konflikts vorbereitet zu sein, ist mehr Europa, besser gemacht.“


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Kommentare

sitra achra am 08.05.21, 11:00 Uhr

Radikale Christen, Angriff auf die Ölinfrastruktur. Auf welchem Planeten leben diese "Zukunftsforscher"?
Allenfalls sehe ich der Wiederherstellung russischer Souveränität in ihrem ehemaligen Einflussbereich mit Sympathie entgegen. Es wäre ein Schritt zur Wiedervereinigung der eurasischen Völker.
Eine militärische Aufrüstung wird wohl wegen schwindender Ressourcen fehlschlagen, auch wenn das den militärisch-industriellen Komplex verärgern mag.
Ansonsten sollten sich diese Auguren auf die Auslegung des Vogelflugs konzentrieren, dieweil die Ornis noch nicht gänzlich ausgestorben ist.

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