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Pariser Kommune

Die „schönste Revolution der Weltgeschichte“

Der als Manifestationspunkt der Moderne geltende Aufstand vor 150 Jahren in der Seine-Metropole entsprach so viel mehr der marxistischen Lehre als die Sowjetunion und die Volksrepublik China

Wolfgang Kaufmann
15.03.2021

Die Herrschaft der Pariser Kommune, also des im März 1871 entstandenen Selbstverwaltungsrates der französischen Hauptstadt, währte nur ganze 72 Tage. Trotzdem schwärmte der Zeitgenosse Karl Marx von der „schönsten Revolution der Weltgeschichte“. Für den Begründer des „wissenschaftlichen Sozialismus“ handelte es sich bei der Kommune definitiv um die erste „Regierung der Arbeiterklasse“, und viele seiner Anhänger sahen dies genauso. Dadurch avancierten die Kommunarden zu quasi mythischen Vorfahren sämtlicher sozialrevolutionärer Umstürzler der Folgezeit.

In Wirklichkeit übte die Pariser Kommune indes keine „Diktatur des Proletariats“ aus, weil sie sehr viel inhomogener war als Marx und dessen Epigonen es wahrhaben wollten. Deshalb unterblieben im turbulenten Frühling des Jahres 1871 auch viele Maßnahmen, die zu einer echten proletarischen Revolution gehört hätten. Zwar wurden einige sozialpolitische Reformvorhaben wie kostenlose Bildungsangebote für alle, die Trennung von Kirche und Staat sowie die rechtliche Gleichstellung der Frauen in Angriff genommen. Doch andererseits schlug der Umsturzversuch nicht zuletzt dadurch fehl, dass es weder zu einer nennenswerten Vergesellschaftung von Unternehmen noch zur Zerschlagung des alten Staatsapparates und konsequenten Unterdrückung oder gar Eliminierung der bisher herrschenden Klasse kam. Und dies war dann auch die wichtigste Lehre, die der spätere Bolschewisten-Führer Wladimir Iljitsch Lenin aus der Geschichte der Pariser Kommune zog – mit fatalen Folgen für Russland und die übrige Welt.

Herrschaft der 72 Tage

Als Gründungsdatum der Commune de Paris gilt der 18. März 1871. An jenem Tage eskalierte der Konflikt zwischen der in Versailles sitzenden bürgerlichen Regierung unter Adolphe Thiers, welche die französische Niederlage im Krieg gegen das deutsche Kaiserreich akzeptiert und ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen hatte, und der Führung der vorwiegend aus Kleinbürgern und Unterschichtangehörigen bestehenden Nationalgarde in Paris, die sich als Gegenregierung gerierte. Zum Zündfunken geriet der Versuch loyaler Truppenteile, der Nationalgarde 400 kurz zuvor aus Armeebeständen gestohlene Artilleriegeschütze zu entreißen. Dieses Unterfangen scheiterte auf ganzer Linie. Danach übernahm das Zentralkomitee des Republikanischen Bundes der Nationalgarde die Kontrolle über Paris und setzte für den 26. März Wahlen zum Rat der Kommune an. Nach seiner Konstituierung kündigte dieses Gremium an, die nunmehrige Autonomie von Paris sowohl gegen die Truppen der Versailler Regierung als auch die noch an der Seine stehenden deutschen Kontingente verteidigen zu wollen.

Ansonsten herrschte jedoch ziemliche Uneinigkeit über den weiteren Kurs, denn die Führung der Kommune bestand aus ganz unterschiedlichen Fraktionen und Persönlichkeiten. Neben gemäßigten Linksliberalen mit einem Faible für lokale Selbstverwaltung fanden sich in ihr auch Anarchisten und utopische Sozialisten, radikale in- und ausländische Berufsrevolutionäre wie Charles Delescluze und Jarosław Dąbrowski sowie einzig und allein aufs Weiterkämpfen gegen Deutschland erpichte Militärs. An einer charismatischen Führungspersönlichkeit, der es gelungen wäre, die Kommunarden hinter sich zu vereinen, fehlte es. Schließlich aber konnten die autoritären Kräfte die Oberhand gewinnen und nach dem Vorbild der Französischen Revolution von 1789 einen Wohlfahrtsausschuss etablieren, der mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet wurde.

Währenddessen bereitete die Thiers-Regierung den Sturm auf Paris vor. In diesem Zusammenhang wandte sie sich an den deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck und bat um die Lockerung der Beschränkungen bezüglich der Stärke der französischen Armee im Vorfrieden von Versailles. Denn mit den zugestandenen 40.000 Mann wäre der Pariser Nationalgarde nicht so einfach beizukommen gewesen. Zwar umfasste die Nationalgarde ausschließlich auf dem Papier 200.000 Mann, aber auf immerhin bis zu 50.000 Kämpfer ist sie möglicherweise tatsächlich gekommen.

Die deutsche Seite entsprach dem Ersuchen von Thiers und entließ darüber hinaus eine beträchtliche Anzahl regulärer französischer Militärangehöriger vorzeitig aus der Kriegsgefangenschaft. Darunter auch der Marschall von Frankreich Patrice de Mac-Mahon, der das Kommando über die 170.000 Soldaten erhielt, die Anfang Mai 1871 zum Angriff auf Paris antraten. Dafür öffneten die deutschen Besatzer sogar extra ihren Belagerungsring um die französische Hauptstadt.

Das Deutsche Reich ergriff Partei

Als die Armee von Versailles am 21. Mai durch die Porte de Saint-Cloud in Paris einrückte, befahl die Führung der Kommune, alle öffentlichen Gebäude anzuzünden. Daraufhin wurden der Louvre, der Tuilerien-Palast, das Palais Royal, das Rathaus, die Polizeipräfektur, der Rechnungshof, der Justizpalast, das Zolllager und das Finanzministerium sowie die Paläste des Staatsrates und der Ehrenlegion in Brand gesetzt und dadurch teilweise auch zerstört.

Mac-Mahons Truppen gingen mit äußerster Härte gegen die Kommunarden vor, die bis zum Pfingstsonntag besiegt wurden. An jenem 28. Mai 1871 endete der gescheiterte Umsturz mit den letzten 147 Hinrichtungen von Aufständischen an der Mauer des Friedhofs von Père-Lachaise.

Die Opferbilanz der Zeit der Pariser Kommune fiel alles in allem relativ einseitig aus. Während der Niederschlagung der Erhebung starben einige tausend Kommunarden im Kampf oder im Rahmen standrechtlicher Exekutionen – die Zahl der so Getöteten wird auf 7000 bis 30.000 geschätzt. Dahingegen verzeichneten die Regierungstruppen 877 Gefallene und 183 Vermisste; dazu kamen rund 70 ermordete Geiseln. Im Gegensatz zu den später auf den Plan getretenen Revolutionären in Russland, China und anderswo standen die Kommunarden somit vergleichsweise wenig blutbefleckt da. Darüber, wie die Bilanz ausgefallen wäre, wenn die Kommunarden gesiegt hätten, lässt sich nur spekulieren.

Für ein vergleichsweise positives Image der Pariser Kommune sorgt gleichfalls, dass sie viel mehr dem Marxismus entsprach als die Sowjetunion und die Volksrepublik China. Denn gemäß dem Marxismus folgt der Sozialismus erst dem Kapitalismus und nicht schon dem Feudalismus. Russland und China waren bei der Machtübernahme der Kommunisten jedoch noch unterentwickelte Länder am Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Frankreich hingegen war vor 150 Jahren bereits durchkapitalisiert und eine der am weitesten entwickelten Industrienationen der Welt und insofern aus marxistischer Sicht ungleich reifer für eine sozialistische Revolution.


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Kommentare

sitra achra am 20.03.21, 12:15 Uhr

Die Commune de Paris war kein Ausdruck marxistischer Erleuchtung, sondern eine Cleavage zwischen Stadt und Land, Arm und Reich. Der Möchtegern-Sozialist Victor Hugo gab den gutmenschlichen Farbtupfer dazu ab, indem er mit den Kommunarden fraternisierte und sich mit ihnen auf den Barrikaden ablichten ließ. Seine sentimentalisierende Nähe zum Proletariat darf man in seinen Werken nachempfinden, z.B. in "Les Misérables".

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