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Terrorismus

„Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“

Vor 25 Jahren gab die Rote Armee Fraktion in einem in Chemnitz aufgegebenen und an Reuters in Köln gerichteten Schreiben ihre Selbstauflösung bekannt

Wolfgang Kaufmann
17.04.2023

Seit ihrer Gründung im Jahr 1970 verübte die Rote Armee Fraktion (RAF) zahlreiche Mordanschläge, Sprengstoffattentate, Geiselnahmen und Banküberfälle, bei denen 33 Menschen ums Leben kamen und über 200 verletzt wurden. Der letzte Mord, der auf das Konto der RAF gegangen ist, soll die Erschießung des Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, am 1. April 1991 gewesen sein. Dem folgte am 27. März 1993 ein letzter Bombenanschlag gegen die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt mit einem Sachschaden von 130 Millionen D-Mark. Genau drei Monate später starb einer der mutmaßlichen Attentäter, Wolfgang Grams, bei einem Festnahmeversuch, und seine Mittäterin Birgit Hogefeld kam in Haft. Damit war die Kommandoebene der nunmehr dritten Generation der RAF vernichtend getroffen.

Allerdings hatte bereits die 20-seitige Grundsatzschrift „Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front“ vom Mai 1982 den faktischen Bankrott der RAF offenbart. Sie zeigte deren Perspektivlosigkeit und verfehlte den Zweck, neue Anhänger unter Linksautonomen zu rekrutieren. So schrieb das Szeneblatt „taz“, man brauche keine „Bevormundung durch ein paar Polit-Intellektuelle, die sich besonders revolutionär vorkommen, weil sie ein Maschinengewehr im Schrank haben. RAF – verpisst euch!“

Drei Generationen

Trotzdem gingen dann noch fast sechszehn Jahre ins Land, ehe die RAF zur Selbstauflösung schritt. Diese resultierte maßgeblich aus dem Konflikt zwischen den inhaftierten und den in der Illegalität lebenden Mitgliedern. Bis heute ist unklar, wer den achtseitigen Text verfasst hat, der in Chemnitz abgeschickt wurde und am 20. April 1998 im Kölner Büro der Nachrichtenagentur Reuters einging. Trotzdem bestehen an der Authentizität der Erklärung nach Lage der Dinge keine Zweifel. Wie das Bundeskriminalamt feststellte, stand sie auf dem gleichen Papier wie alle Bekenner- beziehungsweise Selbstbezichtigungsschreiben der RAF seit 1984 und spiegelte die für die Gruppe typische mentale Starrheit und ideologische Verblendung wider.

Das Schreiben begann mit den Worten: „Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF: Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte. Wir, das sind alle, die bis zuletzt in der RAF organisiert gewesen sind. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam. Ab jetzt sind wir, wie alle anderen aus diesem Zusammenhang, ehemalige Militante der RAF.“

Dem folgte das trotzige Bekenntnis: „Wir stehen zu unserer Geschichte. Die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit, entgegen der Tendenz dieser Gesellschaft, zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse beizutragen. Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein ... Die RAF ist unsere Entscheidung gewesen, uns auf die Seite derer zu stellen, die überall auf der Welt gegen Herrschaft und für Befreiung kämpfen. Für uns ist diese Entscheidung richtig gewesen. Zusammengenommen Hunderte von Jahren Gefängnis gegen die Gefangenen aus der RAF haben uns ebenso wenig auslöschen können wie alle Versuche, die Guerilla zu zerschlagen. Wir haben die Konfrontation gegen die Macht gewollt. Wir sind Subjekt gewesen, uns vor 27 Jahren für die RAF zu entscheiden. Wir sind Subjekt geblieben, sie heute in die Geschichte zu entlassen.“

60 bis 80 Mitglieder

Gleichzeitig räumten die Verfasser aber auch selbstkritisch ein: „Es bestand eine große Diskrepanz zwischen der Bereitschaft der Militanten der RAF, in der Konfrontation alles zu geben, und der gleichzeitigen Zaghaftigkeit, neue Ideen für den Befreiungsprozess zu suchen. In dieser Hinsicht wurde wenig riskiert ... Die Krise, in der die Linke der achtziger Jahre an ihre Grenzen kam und sich bereits in Auflösung befand, machte unseren Versuch, die RAF in ein neues Projekt einzubinden, zu einer unrealistischen Sache ... Es war ein strategischer Fehler, neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Organisation aufzubauen ... Die RAF konnte keinen Weg zur Befreiung aufzeigen.“ Danach hieß es weniger selbstkritisch, man habe „mehr als zwei Jahrzehnte dazu beigetragen, dass es den Gedanken an Befreiung heute gibt“.

Doch die Aufarbeitung der Geschichte der RAF ging und geht weiter. So dauert die Fahndung nach mutmaßlichen ehemaligen Mitgliedern wie Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg bis zum heutigen Tage an. Die drei sollen im Juni und Dezember 2015 an zwei gescheiterten Überfällen auf Geldtransporter in Stuhr-Groß Macken­stedt und Wolfsburg sowie an einem erfolgreichen Raub in Cremlingen im Juni 2016 beteiligt gewesen sein. Allerdings standen diese Taten nicht für politische Aktionen einer nunmehr vierten Generation der wiedererwachten RAF, wie zunächst befürchtet. Vielmehr handelte es sich hier um reine Beschaffungskriminalität zur Finanzierung des kostspieligen Lebens im Untergrund.

Die Akten über die RAF können auch deshalb nicht geschlossen werden, weil etliche Taten ihrer Mitgliedert, darunter auch neun Morde seitens der zweiten und dritten RAF-Generation, bislang keine vollständige Aufklärung erfahren haben. Das liegt nicht zuletzt am Verhalten der überlebenden und mittlerweile sämtlich aus der Haft entlassenen Schlüsselfiguren der Gruppierung wie Christian Klar, Eva Haule, Brigitte Mohnhaupt, Adelheid Schulz und Birgit Hogefeld. Diese folgen nach wie vor dem 1996 formulierten Kodex, Aussagen über illegale Strukturen „und geheime Orte des Exils“ sowie Details früherer Aktionen „absolut abzulehnen“.


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Kommentare

Max Müller am 17.04.23, 10:08 Uhr

Vor allem die Aufarbeitung der Beteiligung der Stasi lässt noch zu wünschen übrig.

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