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Finanzen

Die Währungspandemie ist langfristig gefährlicher als Corona

Bundesregierung wehrt sich gegen Offenlegung der Kollateralschäden der EZB-Geldpolitik

Wolfgang Müller-Michaelis
31.12.2020

Es war ausgerechnet in der „Hamburger Abendblatt“-Ausgabe zum ersten Advent vom 28./29. November 2020, wo im Leitartikel ein ungewohnt barscher Ton angeschlagen wurde. „Schluss mit Negativzinsen!“ hieß es dort, Politik, EZB und Geschäftsbanken müssten endlich ihren Kurs korrigieren „und zwar schnell“. So sehr dieser Unmutsausbruch aufhorchen ließ, so häufig wurde er in den vergangenen vier Jahren vernommen, als der ehemalige Goldman Sachs Banker Mario Draghi Präsident der Europäischen Zentralbank EZB und damit für die Währungs- und Geldpolitik der Europäischen Union verantwortlich war.

Der Leiter der Wirtschaftsredaktion des „Abendblatts“, Oliver Schade, erinnerte an die Vor-Draghi-Zeit, als die Banken noch vier Prozent auf Tagesgeld zahlten und es üblich war, dass Großeltern den Enkeln zu Weihnachten ein Sparbuch schenkten, damit diese zum Sparen angeregt in ihre eigene Ausbildung investieren sollten. Diese Zeiten sind vorbei. Heute muss der Kunde dafür zahlen, dass die Bank sein Geld aufbewahrt. Und was ist mit der älteren Generation, fragt Oliver Schade, die jahrzehntelang Geld zur Seite gelegt hat zur Ergänzung der Rente und heute jeden Monat auf diese Beträge angewiesen ist und jetzt auf ihre Ersparnisse jährlich Strafzinsen im vierstelligen Bereich überweisen muss. Selbst die Rentenversicherung wird für ihre gesetzlichen Rücklagen von den Banken mit Strafzinsen belegt, was natürlich das Rentenaufkommen entsprechend schmälert. Eine verrückte Welt, die niemand versteht, zumal sie das Vorsorgeprinzip, auf dem unsere Wirtschaft, unsere Kultur, unser Rechtswesen seit Jahrhunderten basiert, außer Kraft setzt.

Unmut und Zorn über diese ungewohnten Belastungen bei den Banken abzuladen ginge indessen an die falsche Adresse. Denn diese sind selbst Opfer der Geldpolitik der Notenbanken und ihrer europäischen Holding, der EZB. Sie geben die für ihre Einlagen bei der Zentralbank zu entrichtenden Strafzinsen an ihre Kunden weiter. Und sie tun dies widerwillig, weil sie einerseits wissen, dass auf diese Weise ihr traditionelles Kerngeschäft, Geld gegen Zinsen auszuleihen und für Einlagen den Kunden Zinsen zu zahlen, zerstört wird; andererseits dürfen sie dies öffentlich nicht kundtun, weil die Zentralbanken als oberste Kontrollorgane das Geschäftsgebaren der Banken kontrollieren.

Man muss also nach dem Wieso und Warum der Geldpolitik der EZB fragen und nach dem merkwürdigen Verhalten der Bundesregierung, diese die Sparer, Banken und Wirtschaft weitreichend belastende Politik mitzutragen und zu unterstützen. Diese Frage stellt sich umso nachdrücklicher als dem deutschen Wähler beim Start der Europäischen Währungsunion am 1. Juli 1990 versprochen worden war, dass der Euro ein genauso sicheres und stabiles Zahlungsmittel sein würde, wie es die DM gewesen war. Und dass sich die Währungspolitik der EZB nach dem Modell der Deutschen Bundesbank allein um den Erhalt der Währungsstabilität zu kümmern habe.

Dieses Versprechen konnte nicht eingehalten werden, weil bei Errichtung der Währungsunion die Rechnung ohne den Wirt gemacht wurde: den unterschiedlich strukturierten Mitgliedsländern wurde ein einheitliches System übergestülpt, das nicht für alle gleich gut passte. Divergierende Leistungsstärken der Volkswirtschaften, der ordnungspolitische Gegensatz von sozialistisch-staatswirtschaftlich geprägten Südländern zum marktwirtschaftlichen Modell der Nordländer und fehlende Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sind die Gründe für den Dauerkrisenmodus, in dem sich die Währungsunion befindet.

Mit Amtsantritt von Mario Draghi als Präsident der EZB hatten die Südländer Verschuldungsgrade erreicht, die eine weitere Geldbeschaffung an den Kapitalmärkten nicht mehr zuließen. Daher spannte die Währungsbehörde, nachdem schon vorher der ESM dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen war, den nächsten Rettungsschirm PSPP auf, unter dessen Schutz die gesetzlich nicht zulässige Staatsfinanzierung durch Notenbanken indirekt durchgezogen wurde. Es handelt sich um ein Anleihekaufprogramm, unter dem von 2016 bis heute zwei Billionen (!) Euro aus der Druckerpresse der EZB geflossen sind, offiziell mit der Begründung, damit eine Wachstumsdynamik im Euroraum in Gang zu setzen. Volkswirte alter Schule wissen, dass Wachstum nicht mit billigem Geld sondern mit innovativen Ideen generiert wird, die angemessene Erträge in der Zukunft erwarten lassen.

Schulden für künftige Generationen

Flankiert wurde die inflationäre Geldvermehrung durch eine zunächst Nullzinspolitik, die inzwischen in Negativzinsen mit Steigerungspotential nach unten abgeglitten ist. Die wirtschaftsfeindlichen Auswirkungen dieser absurden Vorgehensweise wurden eingangs anhand einiger Beispiele beschrieben. Dennoch wurde sie inzwischen mit der Folge 3 der Rettungsschirmparade fortgesetzt, dem PEPP oder Wiederaufbaufonds, mit dem Verständnis heischenden Zusatz Corona versehen, der aus zwei Finanzpaketen zusammengesetzt ebenfalls in die Billionen-Dimension hineinreicht. Man hat ihm sinnigerweise das Label „Next Generation EU“ verpasst, möglicherweise ein unterbewusstes Eingeständnis dafür, dass man unlösbare Probleme der Gegenwart am besten in Schuldtitel verwandelt und sie gedankenlos künftigen Generationen vor die Portale kehrt.

Immerhin haben sich in der heute handelnden Generation einige Mutige gefunden, dieses von vorne bis hinten nicht nachvollziehbare Manövrieren der obersten europäischen Währungsbehörde einer höchstrichterlichen Überprüfung zuzuführen. Dies war umso notwendiger als der Europäische Gerichtshof EuGH, der von einem Griechen präsidiert wird, im Dezember 2018 zu dem Urteil gelangt war, dass das Anleihekaufprogramm PSPP weder das geldpolitische Mandat der EZB überschreite noch gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung verstoße.

Zu den Beweggründen mehrerer Klägergruppen, die vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen waren, gehörte auch die Vermutung, dass es sich bei der unorthodoxen Geldpolitik der EZB um einen Angriff auf die marktwirtschaftliche Ordnung handeln könnte. Denn wenn der Preis der zentralen Ressource der Volkswirtschaft, der Zins des Kapitals, nicht mehr vom Markt sondern von einer quasi-staatlichen Behörde bestimmt wird, ist die für die marktwirtschaftliche Ordnung wesentliche Steuerungsfunktion außer Kraft gesetzt, nach der das Kapital über die Zinshöhe dorthin geleitet wird, wo es am dringendsten gebraucht wird, statt bei einem Nullzins ohne Marktwert der Verschwendung anheim gegeben zu werden.

Wo die grenzenlose Verschuldung (lat. debeta) für die Wirtschaftsordnung eine ähnlich zerstörerische Wirkung wie das Corona-Virus für die Menschen hat, ist Gefahr im Verzug. Daher war das Urteil des BVerfG vom 5. Mai 2019 „zwingend“ wie Verfassungsrichter Peter M. Huber unterstrich. Das Gericht hielt sich nicht mit der Frage auf, ob die EZB mit ihrer Geldpolitik gegen die eigenen Statuten verstoße (was sie tut), sondern es ging allein um die Nebenfolgen der extremen Eingriffe in die europäischen Kapitalmärkte. Dazu sollte die EZB die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen in Bezug auf die mit ihnen verbundenen Kollateralschäden nachweisen. Die Bundesregierung reichte dem Verfassungsgericht in Amtshilfe für die EZB sieben Dokumente zum Nachweis der Verhältnismäßigkeit ein, von denen vier ohne nennenswerten Klärungsbeitrag und drei, die für die Prüfung relevant sind, der Geheimhaltung unterworfen wurden.

Der gegenwärtige Stand der Dinge ist, dass zwei Klägergruppen auf Akteneinsicht in die weiterhin von der Bundesregierung geheim gehaltenen Dokumente klagen. Im Wege eines Vollstreckungsantrags wird das Ziel verfolgt, nach erhaltener Einsicht in die Dokumente die Teilnahme der Deutschen Bundesbank am Anleihekaufprogramm der EZB auszusetzen.

Schon das taktische Agieren der Bundesregierung legt die Vermutung nahe, dass in den unter Verschluss gehaltenen Papieren die erodierende Wirkung der EZB-Maßnahmen auf die marktwirtschaftliche Ordnung erörtert werden, insbesondere im Hinblick auf die private Altersversorgung, die Ersparnisse der privaten Haushalte, den Immobilienmarkt mit nachhaltigen Verteuerungseffekten für die Mieten, die Stabilität des Bankensystems und schließlich die solide öffentliche Haushaltsführung. In all diesen Bereichen wird das Schuldenvirus Debeta sein zerstörerisches Werk zum Schaden der Bürger fortsetzen, solange ihm nicht durch eine geldpolitische Umkehr, wie sie nicht nur Oliver Schade vom „Hamburger Abendblatt“ fordert, Einhalt geboten wird.

Prof. Dr. Wolfgang Müller-Michaelis ist Volkswirt, Publizist und Blogger mit den aktuellen Schwerpunkten EZB-Geldpolitik und Folgen des Brexit. Er war unter anderem Generalbevollmächtigter der Deutsche BP AG, Direktor der Stiftung Frauenkirche Dresden und Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg.
www.muemis-bloghouse.de

 


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