14.05.2024

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Sommerinterview

„Dieses Land hat sich von der Realität verabschiedet“

Über den alltäglichen Irrsinn in deutschen Landen, das beharrliche Ausblenden unübersehbarer Realitäten und den ewigen Hang zum Mitläufertum, das heute jedoch einen viel schöner klingenden Namen hat

Im Gespräch mit Henryk M. Broder und Reinhard Mohr
27.08.2023

Zwei Jahre nach dem Start der Ampelregierung ist Deutschland moralisch Weltspitze, ökonomisch und politisch jedoch auf dem Weg nach unten. In ihrem neuesten Buch versuchen zwei alte publizistische Fahrensleute, den ganzen Irrsinn unserer Zeit in Worte zu fassen. Ein Gespräch über ein Land, in dem immer weniger gelingt und dessen Politiker dennoch überzeugt sind, im Alleingang die Welt retten zu können.

Herr Broder, Herr Mohr, Sie haben sich in ihrem langen Berufsleben schreibend ordentlich an Deutschland abgearbeitet. Was hat Sie dazu bewogen, in Ihrem neuen Buch wieder einmal Streifzüge durch das „irre Germanistan“ zu unternehmen?
Reinhard Mohr: Wenn man wie ich Tag für Tag stundenlang Zeitungen liest sowie Nachrichten und Talkshows schaut, dann ist der Irrsinn, der einem dort begegnet, kaum noch auszuhalten. Ich schalte dann zwar um oder aus, wenn mir alles zu viel wird, aber auf die Dauer hilft das nicht. Und da ich mein ganzes Berufsleben lang gewohnt bin, dieses Land zu beschreiben, stieg in mir der Drang, die Zustände unter der Ampelregierung, die in vielem wie schlechte Satire sind, in Worte zu fassen.

Henryk M. Broder: Bei mir ist es ähnlich. Ich habe einen Lieblingsschriftsteller, Oskar Panizza, ein bayerischer Nervenarzt, der auch mal in Haft kam, weil er ein Stück über den Vatikan geschrieben hatte, das seiner Obrigkeit nicht gefallen hat. Panizza hat mehrere tolle Aussagen hinterlassen. Einer seiner besten Sätze ist: „Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft“. Phantastisch! Damit ist in einem Satz die gesamte Verfassung der Bundesrepublik zusammengefasst. In diesem Sinne leben wir in epidemisch vernünftigen Zeiten. Der Wahnsinn regiert.

Vielleicht bin ich auch etwas zu hysterisch, da kann es sein, dass ich übertreibe. Aber wissen Sie: Ich habe gelegentlich Heuschnupfen, und Leute, die Heuschnupfen haben, sehen immer nur andere Leute mit Heuschnupfen. So wie schwangere Frauen permanent auch schwangere Frauen wahrnehmen. Und da ich neben meinem Heuschnupfen noch einen Hang zum Wahnsinn habe, sehe ich um mich herum nur Wahnsinnige. Ich höre unseren Kanzler reden und denke: „Der ist ja so wie ich, nur weiter oben.“

Worin drückt sich dieser Wahnsinn aus?
Broder: Zum Beispiel in einem Scholz-Satz wie: „Ich gehe davon aus, dass die AfD bei den nächsten Wahlen nicht anders abschneiden wird als bei der letzten Wahl.“ Natürlich ist das eine Bagatelle. Aber was steckt in diesem Satz? Wozu dann überhaupt noch Wahlen, wenn das Ergebnis absehbar ist?

Auch wenn ich im Zusammenhang mit der AfD Formeln höre wie „Jetzt müssen alle demokratischen Parteien ...“. Das ist der reine Euphemismus, die reine Ausschlusspolitik. Eine Partei, die in demokratischen Wahlen gewählt wurde, die nicht verboten ist und gegen die auch kein Verbotsverfahren läuft, wird pauschal als „nicht demokratisch“ abgestempelt. Dass es in dieser Partei ein paar unangenehme Undemokraten gibt, ist mir schon klar. Aber das macht doch nicht die ganze Partei zu einem Geschwür am blütenweißen Körper der unbefleckten Demokratie.

Und wenn dann irgendwo ein Landrat der AfD gewählt wird, kann man doch nicht so tun, als stünden SA und SS wieder vor der Tür. In diesen und anderen Dingen wird der deutsche Hang zur Übertreibung und zur Apokalyptisierung erkennbar. Das hat mich dazu angeregt, auf Reinhard Mohrs Vorschlag, ein Buch über den Irrsinn unserer Zeit zu schreiben, einzugehen.

Was ist das für ein Buch? Sind das Notizen aus dem Alltag? Oder Frust-E-Mails, die zu Kapiteln erweitert wurden? Der Titel „Durchs irre Germanistan“ erinnert ja durchaus an Romane von Karl May.
Broder: Das Organisationsprinzip war der reine Zufall. Wir haben unsere Texte nicht miteinander abgesprochen. Jeder von uns beiden hat, wenn Sie so wollen, selbstständig gearbeitet wie ein Sperrmüllwagen, der durch die Straßen zieht und einsammelt, was die Leute vor die Türen stellen.

Mohr: Das Buch ist eine Art Kaleidoskop vieler kleiner Momentaufnahmen, die zusammen ein Sittenbild unserer Zeit ergeben. Wenn zum Beispiel eine katholische Kita an die Eltern schreibt, die Kinder sollten keine Muttertagsgeschenke mitbringen, weil in Zeiten von Diversität und Vielfalt Mama und Papa als Vorbild nicht mehr taugen. Oder wenn eine Kaffeetasse in einem Polizeirevier ein dünnes blaues Strichlein zeigt, das irgendwo in Amerika als rechtsradikales Symbol gilt, und daraufhin die Kaffeetasse entsorgt wird und sich alle Beteiligten entschuldigen müssen. Oder wenn ein paar Damen mit ihrem Chor keinen Sombrero aufsetzen dürfen, weil das als „kulturelle Aneignung“ gilt.

Sie beide als Sperrmüllsammler der Ampelrepublik, das ist doch ein schönes Bild.
Broder: Durchaus. Aber das ist ja nicht nur einfacher Sperrmüll, es ist hoch kontaminierter ideologischer Sperrmüll. In diesem Land ist der Intendant ein Satiriker. Wer hätte sich noch vor zehn oder zwanzig Jahren ein Selbstbestimmungsgesetz vorstellen können, in dem es einer Frau oder einem Mann möglich gemacht wird, die Geburtsurkunde retrospektiv umschreiben zu lassen und dann sein Geschlecht selbst zu bestimmen?

Wenn das Gesetz durchkommt, werde ich mit Vera Tschechowa und Monika Maron zu dritt zum Standesamt gehen und unsere Geburtsurkunden umschreiben lassen auf das Alter, das wir haben möchten. Wenn schon das Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, dann ist es das Alter umso mehr.

Mohr: Biologische Tatsachen sagen einfach nichts mehr aus.

Broder: Genau. Deshalb rechne ich inzwischen mit allem. Ich rechne auch damit, dass es schon bald eine Novellierung des Gravitätsgesetzes geben wird, dass wenn ich etwas aus der Hand fallen lasse, es nach oben fällt und nicht nach unten. Dieses Land hat sich von der Realität verabschiedet.

Sie beide sind alte Linke. Da scheint es erstaunlich, wenn Sie den Verlust von Tugenden beklagen, die früher als „typisch deutsch“ oder als konservativ galten. So fragen Sie zum Beispiel, ob denn heute niemand mehr arbeiten will. Haben Sie sich persönlich verändert oder das Land?
Mohr: Ich glaube, die alte Linke, zu der wir gehören, war durchaus sehr fleißig. Wir haben unglaublich viel gelesen, diskutiert, natürlich auch viel Unsinn gemacht, aber immer auch gewusst, dass wir Geld verdienen müssen, weil der Mensch von irgendetwas leben muss. Spätestens mit 30 wurden wir alle Rechtsanwälte, Journalisten, Ärzte, Architekten und haben dann richtig hart gearbeitet.

Diejenigen, die heute am liebsten gar nicht mehr arbeiten wollen, sind eigentlich keine Linken, sondern eher Wohlstandsverwahrloste. Ich habe gerade gelesen, dass die unter 25-Jährigen kaum noch Überstunden machen. Viele scheinbar ideologische Themen sind also eher eine Generationenfrage.

Broder: Ich glaube, wir haben uns auseinanderentwickelt, die Gesellschaft und wir. Ich habe eine Woche nach meinem Abitur angefangen zu arbeiten und seitdem noch nie im Leben Urlaub gemacht. Das ist nichts, was ich anderen empfehlen würde, aber es ist auch nichts, worüber ich mich beklage. Ich arbeite einfach gerne. So wie Gerhard Polt einmal gesagt hat: „Ich wohne gern.“

Arbeit ist eine sozialistische Tugend. Die Klientel des Sozialismus waren ja die Arbeiter. Arbeit war der Weg zu bescheidenem Wohlstand und zur Selbständigkeit. Marx hat einmal den klugen Satz gesagt: „Reichtum ist geronnene Arbeit.“ Und ich kann mich noch daran erinnern, als sich die ersten von uns nach dem Abitur einen alten Opel Kadett kauften, was das für ein Erfolgserlebnis war. Man stand dann auf eigenen Füßen.

Heute glauben zu viele, dass man auch ohne Arbeit gut leben kann. Wenn Sie diejenigen nehmen, die beim Staat beschäftigt sind, und diejenigen hinzufügen, die von Sozialleistungen leben, sind diejenigen, die auf dem freien Arbeitsmarkt beschäftigt sind, längst in der Minderheit. Gesellschaften, die Arbeit als Tugend aufgeben, denen ist keine Zukunft beschieden.

Sie schreiben, Sie wollen keine schlechte Stimmung verbreiten. Wie kommen Sie darauf, dass man beim Lesen Ihres Buches schlechte Stimmung bekommen könnte, wo doch die Bundesregierung davon überzeugt ist, dass alles wunderbar läuft?
Mohr: Satire ist nicht jedermanns Sache. Deswegen muss man hin und wieder klarmachen, dass nicht jeder Gedanke bluternst zu nehmen ist. Auch ich bekomme gelegentlich schlechte Laune, wenn zum Beispiel die „Abendschau“ des rbb tagelang über die Schwimmbadkrawalle in Berlin berichtet und dabei kein einziges Mal erwähnt, welche Gruppe dafür verantwortlich ist. Doch da ich weiß, dass das Beenden des Tages mit schlechter Laune schlecht für den Schlaf ist, drehe ich den Spieß einfach um und versuche, das Ganze ironisch zu sehen. Wenn man sich zum Beispiel schreibend über die Klima-Kleber amüsieren kann, die sich irgendwo auf der Straße festkleben und hinterher mit einem Stück Asphalt an der Hand zum Arzt gehen müssen, lässt sich alles viel leichter ertragen.

Broder: Für mich ist das alles Realsatire, was hier stattfindet. Mein großes Idol war und ist Hans-Dieter Hüsch. Ich habe ihn mal gefragt, wie er das eigentlich macht, immer so wunderbare Alltagsthemen zu haben. Und Hüsch sagte: „Ganz einfach: Hingehen. Hinhören. Nachhause gehen. Aufschreiben. Vortragen.“ Und genau das machen wir auch.

Ein Beispiel: Vor Kurzem habe ich im „Handelsblatt“ gelesen, dass die Bundesrepublik „vermutlich“ – das heißt: mit Gewissheit – das Ziel von 15 Millionen Elektroautos im Jahre 2030 nicht erreichen wird. Weil dafür jetzt schon 90 Prozent aller neu zugelassenen Autos „Elektro“ sein müssten. Und dann höre ich zur selben Zeit im Fernsehen Erfolgsmeldungen, wie enorm die Zulassungszahlen steigen: Vor drei Jahren waren es zwei Prozent aller Autos, jetzt sind es 18. Das heißt, obwohl offensichtlich ist, dass Deutschland das erklärte Ziel nicht erreichen wird, werden wir frech mit Statistiken belogen.

Hat jemand „Nine Eleven“ vorhergesehen? Nein! Den Krieg in der Ukraine? Nein! Die Wirtschaftskrise 2008 auch nicht. Die wichtigsten Sachen hat kein Mensch vorhergesehen. Aber die Bundesregierung und die EU planen, dass Europa 2045 „klimaneutral“ ist.

Mohr: Die Unseriösität politischen Handelns zeigt sich oft schon in den Projektnamen: das „Gute-Kita-Gesetz“ oder das „Klimaschutzgesetz“ oder auch das „Starke-Familien-Gesetz“. Den Verantwortlichen ist offenbar selbst bewusst, dass sie inhaltlich nichts zu bieten haben. Sonst würden sie ihre Vorhaben nicht mit solchen Phrasen behängen.

Kommen wir zu den therapeutischen Ansätzen. In einem Ihrer Texte, Herr Mohr, heißt es: „Jetzt ist der erste Kaiserstuhl, der Spätburgunder fällig.“ Nun können die Deutschen nicht immer Kaiserstuhl-Spätburgunder trinken. Was schlagen Sie Ihren Lesern vor, wenn diese nicht nur in Ihrem Buch, wo alles satirisch verarbeitet wird, sondern draußen im realen Leben wieder einmal einem Alltagswahnsinn begegnen?
Mohr: Zum Beispiel – gern auch zwei-, dreimal am Tag – zu EDEKA oder einem anderen Laden zu gehen und mit ganz normalen Leuten zu sprechen. Da ist sofort eine therapeutische Wirkung erkennbar. Auch wenn wir selbst Medienleute sind, kann ich nur empfehlen: Weg von Laptop, Smartphone, Fernseher oder Radio! Selbst den „Deutschlandfunk“ lasse ich immer häufiger aus, weil ich etliche Kommentare nicht mehr ertragen kann.

Wo Sie beide doch ziemlich ernst werden, ist die Kritik am deutschen Spießertum, weil sich dort das den Deutschen oft nachgesagte Verhaltensmuster des Mitläufertums ausdrückt.
Mohr: Richtig. Ich bringe dazu unter anderem das Beispiel eines Radiomoderatoren, der völlig sinnfrei gendert. Ein typischer linker Spießer unserer Zeit. Wobei diese Leute ja eigentlich keine Linken sind, sondern Mitläufer ...

Broder: ... oder genderkorrekt: Mitlaufende.

Mohr: Exakt! Mir fällt dann immer Diederich Heßling aus Heinrich Manns „Untertan“ ein. Solche Mitläufer hätten auch den Buckel vor dem Kaiser gemacht oder beim Führer laut „Heil Hitler“ geschriehen.

Broder: Wobei die Techniken heute schon weiterentwickelt werden. Mitläufertum heißt nicht mehr „Mitläufertum“, sondern „Zusammenhalt“. Was soll das heißen? Kann ich nicht selbst entscheiden, mit wem ich zusammenhalte? Diese Form von sprachlicher Maßregelung gibt es inzwischen überall. Die Idee, Schulden „Vermögen“ zu nennen, ist einfach genial: „Sondervermögen“. Das sind Schulden! Bei mir gehen dann die Alarmglocken an und ich höre nicht „Sondervermögen“, sondern „Sonderbehandlung“. Diese Entwirklichung von Begriffen ist einfach wunderbar.

Haben Sie so etwas wie eine deutsche Lieblingsidiotie?
Broder: Klimawende. Die Idee, dass man das Klima zu etwas überreden kann, finde ich großartig.

Mohr: Noch schöner finde ich das Wort „Wärmewende“. Irre dabei ist, dass auch Kriminelle umgehend entdeckt haben, wie lukrativ Wärmepumpen sind. Da diese in der Neuanschaffung richtig teuer sind, gibt es eine hohe Nachfrage an gebrauchten Anlagen. Und weil die Anlagen leicht abzumontieren und zu stehlen sind, bildet sich gerade ein regelrechter Markt heraus. Es solle also niemand sagen, wir würden in Sachen „Wärmewende“ nicht vorankommen.

Broder: Beim Elektroauto ist es ähnlich. Es gibt einen Elektroauto-Gebrauchtwagenmarkt, bei dem die in Deutschland hoch subventionierten Neuwagen nach Ablauf der Haltefrist für einen höheren Preis ins Ausland verkauft werden, weil dort die Preise für E-Autos ohne Subventionen irre hoch sind. Das heißt, die Gauner sind dem System immer um eine Nasenlänge voraus – immer und überall.

Die Deutschen machen sich auch hier gern etwas vor. Obwohl jeder die Schwächen der Elektroautos sieht, legen wir die Zukunft unserer ganzen Volkswirtschaft in die Hände dieser unausgereiften Technologie. Das ist bewährte deutsche Tugend: Man macht sich etwas vor und will von Fakten, die nicht zum eigenen Weltbild passen, nichts wissen. Ich kann wieder nur Hüsch zitieren: „Alles, was wir machen, machen wir uns vor.“ Um Elektroautos bauen zu können, braucht man Rohstoffe aus aller Welt, unter anderem Kobalt, beziehungsweise für die Außenministerin: Kobold, das von Kindern aus dem Berg geschlagen wird. Und am Ende steht so ein Besitzer von einem Elektroauto da und sagt, er tut was für die Umwelt. Wahnsinn!

Und das finde ich so irre, dass man mit solchen Illusionen in diesem Lande „gut und gerne leben“ kann, wie es die Altkanzlerin sagen würde. Die Idee des „Dritten Reiches“, den Osten Europas zu erobern, um dort Lebensraum für das deutsche Volk zu schaffen, ist für mich die Blaupause für den Siegeszug des Elektroautos: vollkommen irrational, aber von einer tiefen Gläubigkeit geprägt.

Als Publizisten leben Sie aber auch ganz gut von der Idiotie unserer Zeit. Empfinden Sie da nicht ab und zu wenigstens ein bisschen Dankbarkeit für Frau Baerbock, Herrn Habeck und all die anderen, die Ihnen Tag für Tag so schöne Themen liefern?
Mohr: Durchaus. An Geschichten wie die von Habecks Staatssekretär Graichen, der ein Apparatschik ist, wie er im Buche steht, habe ich schon Freude gehabt.

Broder: Aber nur solange, wie Du nicht daran denkst, dass außer Graichen alle anderen noch im Amt sind ...
Mohr: ... richtig! Aber wenn ich ehrlich bin, denke ich oft an meinen alten Traum, Almwirt in Südtirol zu werden. Dann könnte ich den ganzen Berliner Irrsinn hinter mir lassen.

Broder: Meine Lieblingsfigur in der Politik ist übrigens die längst vergessene frühere Landwirtschaftsministerin Barbara Hendriks. Die hat mal allen Ernstes den Vorschlag gemacht, die Hälfte aller Kühe zu schlachten, um die Methangas-Produktion zu reduzieren. Ich habe sie dann angeschrieben und höflich gefragt, wie sie das den Indern klarmachen möchte. Darauf hat sie dann wirklich den Satz zurückgeschrieben: „Wir müssen mit gutem Bespiel vorangehen.“

Das ist das deutsche Credo: Nicht „Jedem das Seine!“ oder „Arbeit macht frei!“, sondern „Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen.“ Ich stelle mir dann vor, wie Millionen von Menschen in England, Ägypten, Australien und auf der ganzen Welt jeden Morgen aufwachen und ihr erster Gedanke ist: „Was macht Deutschland heute? Und was können wir davon übernehmen?“ Was für eine Selbstüberschätzung! Insofern haben Sie völlig recht, dass ich manchmal wirklich dankbar bin, dass dieses Milieu uns solch großartige Vorlagen für unsere Arbeit liefert. Allein kämen wir gar nicht auf die Idee, uns das alles auszudenken.

Allerdings ist meine Toleranzreserve aufgebraucht. Wenn ich etwa heute Frau Göring-Eckardt reden höre und daran denke, wie begeistert sie 2015 gerufen hat, wie viel bunter und vielfältiger unser Land doch werde, dann schüttele ich noch immer den Kopf. Und die hat jetzt wieder Oberwasser und behauptet: „Die Abschaffung der Atomkraft wird den Strompreis senken.“ Wie kann man so gegen jede Evidenz reden? Wie kann man ein Volk dazu bringen, dermaßen an der Realität vorbei zu leben?

Eine große Verantwortung dafür haben sicher die Medien. Viele Journalisten bemühen sich gar nicht mehr, Ereignisse so zu beleuchten, wie sie sind. Stattdessen blenden sie alles, was nicht in ihr Weltbild passt, konsequent aus. Das war ja nicht nur bei den Berliner Schwimmbadgeschichten so, sondern auch bei der Kölner Silvesternacht 2015, wo die unzähligen Übergriffe auf Frauen direkt vor den Fenstern des WDR erfolgten und die ARD trotzdem tagelang so tat, als wäre nichts gewesen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Mohr: Viele haben sicher eine panische Angst davor, als „Rassisten“, „Ausländerfeinde“ oder „Rechte“ gebrandmarkt zu werden. Niemand will sich dem Vorwurf aussetzen, Ressentiments zu schüren. Allerdings benehmen sich viele Kollegen auch aus eigenem Antrieb heraus wie Aktivisten und nicht wie Journalisten. Doch genau dadurch entsteht jener Vertrauensverlust, den nicht nur die Politik seit vielen Jahren zu verzeichnen hat, sondern auch die etablierten Medien.

Broder: Aber die Frage ist schon richtig. Wovor haben die Leute Angst? In der DDR konnte man es verstehen, aber hier und heute? Das ist unerklärlich. Letztlich müssen die Leute schon bereit sein, für ihre Freiheit selbstständig zu denken und den Mund aufzumachen.

Können Sie sich einen Zustand oder Anlass vorstellen, bei dem Sie das Schreiben einstellen würden?
Broder: Ja, wenn Dolly Parton mit mir eine lange Reise durch die USA machen würde.
Das hat dann aber nichts mit den deutschen Zuständen zu tun.

Broder: Klar, aber es wäre eine Horizonterweiterung.

Mohr: Also bei mir ist es die schon erzählte Alm-Phantasie, allerdings müsste ich da so wahnsinnig früh aufstehen ... Aber im Ernst: Ich mache so lange weiter, bis man – wie Manes Sperber sagte – „mir Scherben auf die Augen legt“.

Ich meinte die Frage auch in dem Sinne, dass Sie vor dem Irrsinn der Zeit kapitulieren. Bislang, unterstelle ich, ist Schreiben für Sie noch ein Stück Selbsttherapie ...
Broder: ... es ist eine massive Selbsttherapie.

Mohr: Deshalb freuen wir uns schon auf das Erscheinen des Buches. Es wird manche sehr ärgern, aber auch vielen aus der Seele sprechen. Und insofern ist es eine kleine Lebens- und Überlebenshilfe in Zeiten, in denen man Gefahr läuft, aus dem Kopfschütteln nicht mehr herauszukommen.

Das Interview führte René Nehring.


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Kommentare

Kersti Wolnow am 29.08.23, 10:49 Uhr

Deshalb rechne ich inzwischen mit allem. Ich rechne auch damit, dass es schon bald eine Novellierung des Gravitätsgesetzes geben wird, dass, wenn ich etwas aus der Hand fallen lasse, es nach oben fällt und nicht nach unten.

leicht abgeändert und der politischen Situation angepaßt müßte es heißen:
wenn ich etwas aus der Hand fallen lasse, es nach oben
fallen muß. (Fuß aufstampf)


Mir geht es ganz genauso, auch ich rechne inzwischen mit allem. Nur verliert Henry Broder die Verursacher all der Narrative aus den Augen, denn die kommen über den großen Teich dahergeschwommen. Der 1. Klimahysteriker heißt Al Gore und nicht Claudia Roth oder Joseph Fischer.
Überhaupt stellt sich mir die Frage, wer die Grünen hier nicht nur installiert, sondern auch völlig seitenverkehrt umgedreht hat, aber das ist sicherlich Verschwörung.
Der Wahn beschränkt sich demzufolge leider nicht nur auf die bRD.

sitra achra am 27.08.23, 12:54 Uhr

Dieses Volk ist historisch betrachtet endgültig gaga, angeführt von einer paranoid-schizophrenen Blase, die per Medien gezielt eine schädliche Massenpsychose generiert.
Die Demokratie ist unter ihrem Einfluß zum Flederwisch degeneriert. Egalitarismus, Relativismus und Nihilismus stellen die Leitplanken dieser toxischen Entwicklung dar. Dieses Phänomen betrifft gerechterweise aber den gesamten "Wertewesten".
Dagegen hilft kein Bücherschreiben, aber was dann?

Heinz Fleck am 27.08.23, 12:10 Uhr

Seit auf Twitter Redefreiheit herrscht bin ich der Meinung, dass Deutschland noch nicht ganz verloren ist.

Peter Meyer am 27.08.23, 09:07 Uhr

Es ist kein Irrsinn.
Die Taliban, Nordkorea, die Inquisition im Mittelalter oder jede x-beliebige Sekte sind auch nicht vom Himmel gefallen. Die Muster wiederholen sich seit Jahrtausenden.
Der alten Bunderepublik wird nur langsam die eigene Illusion bewusst und nun wird endlos beklagt: Wahnsinn, Irrsinn, unglaublich, ...
Menschen entwickeln sich in Phasen - auch in der alten Bundesrepublik. Nach der Pubertät folgt die Konformität.
Das Ergebnis lässt sich täglich begutachten - oder Bücher darüber schreiben..

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