16.09.2025

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Zweiter Weltkrieg

Doppelter Zivilisationsbruch

Warum der Abwurf der US-amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki moralisch nicht zu rechtfertigen ist

Björn Schumacher
01.08.2025

Kompromissloser als in Europa setzten die Heeresluftstreitkräfte der USA (USAAF) im Pazifikkrieg auf strategische Flächenangriffe mit Spreng- und Brandbomben. Anfang 1945 zerstörten sie Tokio, Nagoya, Yokohama, Kobe und Osaka. Allein in Tokio starben nach offiziellen Zählungen 83.000, möglicherweise aber bis zu 150.000 Zivilisten. Am 6. und 9. August 1945 folgten zwei Atombombenabwürfe, die bis Ende 1945 in Hiroshima zirka 150.000 und in Nagasaki rund 80.000 Menschen töteten. Unter den Opfern von Nagasaki befanden sich über 8000 koreanische Zwangsarbeiter.

Dass die japanische Kapitulation vom 14. August 1945 mit den Atombombenabwürfen nicht nur zeitlich, sondern auch kausal verknüpft ist, liegt auf Anhieb nahe. Als eigentliche Ursachen seiner militärischen Niederlage gelten aber die Abschnürung Japans von Rohstoffquellen und Nahrungsmittelzufuhr sowie die Dezimierung seiner Seeflotte. Selbst „Area Bombing“-Befürworter Winston Churchill kommt in seinen Memoiren zu keiner anderen Einschätzung: „Die Annahme, Japans Schicksal sei durch die Atombombe besiegelt worden, ist falsch. Die Niederlage war als Folge der überwältigenden maritimen Macht seiner Gegner schon vor dem Abwurf der ersten dieser Bomben eine Gewissheit.“

Haben Hiroshima und Nagasaki den Pazifikkrieg zumindest verkürzt und den USA eine verlustreiche Bodeninvasion der japanischen Hauptinseln erspart? Die Frage lässt sich nicht losgelöst von Josef Stalins Rolle beantworten. Dieser kündigte am 9. August 1945 den japanisch-sowjetischen Neutralitätspakt und ließ die Rote Armee in die seit 1932 von Japan besetzte Mandschurei einmarschieren. Das musste den Inselstaat umso stärker erschüttern, als Kaiser Hirohito auf eine Vermittlerrolle Stalins gesetzt hatte.

Plausibel erscheint daher eine Kriegsverkürzungsthese mit zwei Kausalfaktoren, von denen jeder einzelne eine notwendige Teilursache der Kapitulation bildet. Historiker Tsuyoshi Hasegawa beschrieb das wie folgt: „Die japanischen Führer wussten, dass Japan den Krieg verlieren würde. Aber Niederlage und Kapitulation sind nicht das Gleiche. Die Kapitulation ist ein politischer Akt. Ohne den Zwillingsschock der Atombomben und des sowjetischen Kriegseintritts hätten die Japaner im August 1945 niemals die Kapitulation akzeptiert.“

Was folgt daraus für die brennende Frage nach der moralischen Rechtfertigung des Atomwaffeneinsatzes? Sie muss von vornherein verneinen, wer a) die gezielte Tötung Unschuldiger entweder grundsätzlich für verboten hält oder
b) die gezielte Tötung Unschuldiger dann für verboten hält, wenn sie lediglich der Verkürzung eines de facto bereits entschiedenen Krieges dient, oder c) den Einsatz atomarer Waffen grundsätzlich für verboten hält, weil er die Bedingungen der Existenz menschlicher Zivilisation gefährdet.

Stimmt die Kriegsverkürzungsthese?
Jeder andere Moralphilosoph und Völkerrechtler müsste sich fragen, ob die Atombombenabwürfe geeignet, erforderlich und alles in allem verhältnismäßig waren, den Krieg sofort zu beenden und eine größere Zahl anderer Menschen, insbesondere kämpfender Soldaten (auf beiden Seiten), vor dem Tod zu bewahren. Im Kern geht es hier um die Erforderlichkeit beziehungsweise militärische Notwendigkeit. Es hätte aus der Sicht der Amerikaner keine per Saldo Menschenleben schonende Alternative zur Vernichtung Hiroshimas und Nagasakis geben dürfen. An dieser Voraussetzung fehlt es aber aus drei Gründen.

Erstens haben die Amerikaner nicht die Bedingungen eines fairen Verhandlungsfriedens ausgelotet, obwohl sie „als ein liberales demokratisches Volk“ den Japanern ein solches Angebot schuldeten (John Rawls, politischer Philosoph und US-Marinesoldat im Pazifikkrieg). Mitte Juli 1945 erwähnte ihr neuer Präsident Harry Truman in seinem Tagebuch ein „Telegramm vom Japsenkaiser mit der Bitte um Frieden“. Statt auf diplomatischen Kanälen darüber zu verhandeln, verlangten die Amerikaner am 26. Juli 1945 die bedingungslose Kapitulation und eine das japanische Volk aufwühlende Abdankung des Tenno (zu der es später dann doch nicht kam). Der amerikanische Präsident, so scheint es, wollte im Sommer 1945 keinen Verhandlungsfrieden.

Zweitens hätte Truman den sich anbahnenden Kriegseintritt der Sowjetunion gegen Japan abwarten können. Zahlreiche Experten gingen davon aus, dass eine massive sowjetische Invasion in Japan den Krieg rasch beenden würde. Pikanterweise soll der US-Präsident vor allem deshalb zur Konferenz der Siegermächte Anfang August 1945 nach Potsdam gereist sein, um Josef Stalin zur Kriegserklärung zu bewegen. Nach dessen Zustimmung schrieb Truman euphorisch in sein Tagebuch: „Ab 15. August macht er im Krieg gegen die Japsen mit. Dann sind die Japsen perdu.“

Drittens wurde nicht versucht, die atomare Apokalypse Hiroshimas und Nagasakis durch moralisch unbedenkliche Luftschläge zu vermeiden. Weder haben die USA eine Sprengbombenoffensive gegen militärische Ziele gestartet, deren Vernichtung ebenfalls zu einer raschen Kapitulation hätte führen oder eine vielleicht unvermeidbare Invasion zumindest hätte erleichtern können, noch haben sie das Zerstörungspotential der Atombombe über militärischen Zielen fernab von Zivilisten demonstriert. Truman folgte seinem Außenminister James F. Byrnes, der gegen die Empfehlungen fast aller Präsidentenberater den Einsatz der Horrorwaffen gegen unschuldige Menschen durchsetzte.

Warum gleich zwei Abwürfe?
Mindestens ebenso verwerflich wie der Abwurf der Uranbombe „Little Boy“ auf Hiroshima war die Auslöschung Nagasakis mit der Plutoniumbombe „Fat Man“. Warum wurde Japan nach dem ersten Atomschlag keine angemessene Bedenkzeit zur Annahme der Kapitulationsforderung eingeräumt? Die ebenso banale wie beunruhigende Antwort: „Um Stalin und der Welt zu zeigen, dass die erste Bombe nicht die einzige war“ (Florian Coulmas, deutscher Japanologe). Immanuel Kants kategorischer Imperativ: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“, wurde in Hiroshima und Nagasaki wie kurz zuvor in Dresden, Pforzheim und Würzburg von einer grauenhaften Instrumentalisierung des Menschen verdrängt. Ein Zivilisationsbruch folgte dem nächsten.

Warum waren Truman und Byrnes auf die atomare Luftkriegsstrategie fixiert? Das Argument, die „Logik des Krieges“ erzwinge den Einsatz verfügbarer Waffensysteme, verfängt schon deshalb nicht, weil US-Militärs, nicht nur innerhalb der USAAF, die Abwürfe von „Little Boy“ und „Fat Man“ strikt abgelehnt hatten. Empört schrieb Admiral William D. Leahy, Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs der US-Streitkräfte (JCS): „Der Einsatz dieser barbarischen Waffe in Hiroshima und Nagasaki brachte in unserem Krieg gegen Japan keine materielle Unterstützung. Dadurch, dass wir sie als erste benutzten, machten wir uns den ethischen Maßstab zu eigen, der den Barbaren des finstersten Mittelalters gemein war. Man hat mir nicht beigebracht, Krieg auf diese Weise zu führen; und Kriege kann man nicht dadurch gewinnen, dass man Frauen und Kinder vernichtet.“

Motiviert von einem Atomtest in der Wüste von Nevada am 16. Juli 1945, wollte der US-Präsident die „Kriegsbeute“ Japan im letzten Moment wohl doch nicht mit Stalin teilen. Unterstellen wir zu seinen Gunsten, dass er sich auch als Vertreter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Pflicht sah. Nach den schlechten Erfahrungen Frankreichs und Großbritanniens mit einer Appeasement-Politik gegenüber Adolf Hitler wollte Truman vielleicht alles aus seiner Sicht Erforderliche tun, um stalinistischen Terror in einem sowjetisch besetzten Japan und eine weitere kommunistische Nachkriegsdiktatur zu verhindern.

Rechtfertigen kann das die Atombombenabwürfe nicht. Weltweit wurden sie als Zäsur empfunden − als Einstieg in den Albtraum von Massentötungen mit den Mitteln der Hochtechnologie. Der Präsident einer den Menschenrechten verpflichteten Demokratie missachtete das Leben unschuldiger Japaner, die er spätestens seit dem Überfall auf die US-Kriegsmarine in Pearl Harbor für „Wilde“ hielt.

Nach dem Krieg versuchte Truman mehrfach, sich als Wohltäter zu inszenieren und mit wilden Spekulationen über die Zahl verschonter US-Soldaten zu rechtfertigen. Am 28. April 1959 behauptete er in einer Rede vor Studenten der Columbia University: „Der Abwurf der Bomben hat den Krieg beendet, Millionen von Leben gerettet.“ Plausible moralische oder kriegsrechtliche Wertungen mit konkreten Folgeabschätzungen, in die auch die vorhersehbare Zahl japanischer Atombombenopfer hätte einfließen müssen, blieb Truman aber schuldig.


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