19.04.2024

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Siemens & Halske

Ein bisschen wie Carl Zeiss und Ernst Abbe

Vor 175 Jahren gründeten ein Meister seines Handwerks und ein innovativer Kopf in Berlin eine „Telegraphen Bau-Anstalt“

Manuel Ruoff
09.10.2022

Der deutsche Branchenriese Siemens wird diesen Herbst 175 Jahre alt. Für die heutige Siemens AG wäre diese Aussage im engeren Sinne unzutreffend. Vielmehr gründeten Johann Georg Halske und Werner Siemens 1847 in Berlin die „Werkstatt Halske“, eine „Telegraphen Bau-Anstalt“ mit Sitz in Berlin.

Halske war mit zwei Jahren Abstand der ältere der beiden. 1814 wurde der Sohn eines Zuckermaklers und ehrenamtlichen Stadtrats in Hamburg geboren. Doch schon früh kam er nach Berlin, wo er auch eine gymnasiale Ausbildung genoss. 1828 folgte eine Lehre als Präzisionsmechaniker. 1844 eröffnete er in der Spreemetropole mit dem Mechaniker Friedrich M. Boetticher eine Werkstatt für den Bau chemischer und mechanischer Apparate.

Zu den Kunden gehörten die Institute der Universität und deren Dozenten. So entwickelte und baute Halske beispielsweise elektromedizinische Geräte wie Schlitten-Induktoren für den Begründer der experimentellen Elektrophysiologie und Mitbegründer des Faches Physiologie als naturwissenschaftliche Disziplin Emil du Bois-Reymond.

Halske arbeitete also an der Schnittstelle von Handwerk und Wissenschaft und ist in dieser Hinsicht Carl Zeiss nicht unähnlich. Sein Pendant zu Ernst Abbe, also seinen Erfinder, mit dem er einen Weltkonzern gründete, lernte er nicht über die Universität kennen, aus der seine Kunden stammten, sondern wohl in einer kaum weniger ehrwürdigen wissenschaftlichen Institution: der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin.

Diese Physikalische Gesellschaft zu Berlin, die heute als Deutsche Physikalische Gesellschaft Deutschlands älteste und mit mehr als 55.000 Mitgliedern auch die weltweit größte physikalische Fachgesellschaft der Welt ist, wurde 1845 in Preußens Hauptstadt gegründet. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörten neben Wissenschaftlern wie Halskes Kunde du Bois-Reymond, Hermann Helmholtz oder Rudolf Virchow auch Halske selbst und Siemens.

Ein Jahr später wurde Siemens bei Halske und Boetticher vorstellig und präsentierte seinen Zeigertelegraphen. Ähnlich wie Zeiss bei Abbe erkannte Halske bei Siemens dessen Potential. Halske beendete die Zusammenarbeit mit Boetticher und bereitete mit Siemens die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens vor. Im September 1847 wurden in unmittelbarer Nähe des Anhalter Bahnhofs, in der Schöneberger Straße 19, je eine Wohnung für die beiden gemietet sowie eine gemeinsame Werkstatt mit einer Fläche von 3000 Quadratmetern.

Ein Vergleich drängt sich auf

Was anfänglich fehlte, war ausreichendes Kapital. So kam Siemens' elf Jahre älterer Vetter Johann Georg Siemens ins Spiel. Er stellte bis 1854 10.000 Taler gegen eine Gewinnbeteiligung von 20 Prozent zur Verfügung. Nun konnte es losgehen. Am 1. Oktober wurde das neue gemeinsame Unternehmen gegründet, am 7. Oktober erhielt Siemens das seit fünf Monaten sehnsüchtig erwartete Patent „auf eine neue Art elektrischer Zeigertelegraphen und eine damit verbundene Vorrichtung zum Drucken von Depeschen“, am 9. Oktober wurde die mechanische Werkstatt als gewerblicher Betrieb beim Königlichen Gewerbe-Steueramt angemeldet und am 12. Oktober wurde der Betrieb aufgenommen.

Kurioserweise fehlte anfänglich im Firmennamen jeglicher Hinweis auf Siemens. Letzterer war noch aktiver Offizier und durfte neben dem Dienst nicht unternehmerisch tätig sein. So wurde erst 1851 aus der „Werkstatt Halske“ die „Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske“.

Die Produkte des Unternehmergespanns Halske und Siemens verkauften sich ähnlich gut wie die des Gespanns Abbe und Zeiss. Die fortschrittlichen Ideen des einen, vom anderen handwerklich präzise und hochwertig umgesetzt, führten in beiden Fällen zum Erfolg. Im Falle von Halske und Siemens kam der beginnende Boom der Telegraphie hinzu. Das richtige Produkt zur richtigen Zeit.

Bei Halske und Siemens war es wie bei Zeiss und Abbe jeweils der Erfinder und nicht der Feinmechaniker, der längerfristig die Entwicklung des Unternehmens bestimmte. Abbe fiel die Führung zu, da Zeiss vor ihm starb. Halske hingegen zog sich schon zu Lebzeiten aus dem Projekt zurück. Der Grund hierfür war im weiteren Sinne der schwindelerregende Erfolg, die enorme Nachfrage und die aus der Abarbeitung der vielen Aufträge resultierende atemberaubende Expansion des Unternehmens. Das dabei vorgelegte Tempo war dem grundsoliden gebürtigen Hanseaten zu schnell, drohte ihn zu übermannen. Auch zwang die Abarbeitung der Massen an Aufträgen zu Serienarbeit, Arbeitsteilung und Akkordlohn. Auch dies war dem grundsoliden Handwerker aus Berufung und Leidenschaft zuwider. 1867 zog er sich aus der Leitung des Unternehmens zurück.

Dass das in Freundschaft geschah, wie immer wieder beteuert wird, darf man wohl glauben. So ließ Halske über zwölf Jahre sein Geld im Unternehmen. Das ist umso rücksichtsvoller, als er zum einen Bedenken gegen den eingeschlagenen Kurs hatte und zum anderen grundsätzlich ein Kapitalabfluss gerade für ein junges expandierendes Unternehmen mit entsprechendem Kapitalbedarf nicht unproblematisch ist. Auch stiftete er 10.000 Taler für die Pensionskasse nach deren Einrichtung im Jahre 1872.

Aber es gibt auch Unterschiede

Auch ansonsten betätigte sich Halske nun vornehmlich gemeinnützig. Noch im Jahre seines Ausstiegs aus der Firmenleitung wechselte er in den Vorstand des in jenem Jahr eröffneten Deutschen Gewerbe-Museums zu Berlin, des heutigen Kunstgewerbemuseums. 1881 ließ er sich sogar zu dessen stellvertretenden Vorsitzenden wählen. 1880 bis 1886 bekleidete er zudem das Amt eines ehrenamtlichen Stadtrates in Berlin. In der Reichshauptstadt starb er am 18. März 1890.

Im selben Jahr schied nach Halske nun auch der zweite Gründer des Elektrounternehmens aus der Firmenleitung aus, wenn auch nicht aus Unzufriedenheit, sondern aus Altersgründen. Zwei Jahre später, am 6. Dezember 1892, starb Siemens in Charlottenburg. 1897 erfolgte zwar eine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, aber im Gegensatz zu der Halskes blieb die Familie von Siemens auch weiterhin im Unternehmen engagiert.

Als Abschluss noch ein Unterschied zwischen den Feinmechaniker-Erfinder-Gespannen Zeiss-Abbe und Halske-Siemens. Aufgrund der maßlosen Bescheidenheit des tugendhaften Menschenfreundes Abbe ist sein gemeinsames Projekt mit Zeiss heute mit dem Namen des Letzteren verbunden, also des Feinmechanikers. Beim Gespann Halske-Siemens war das umgekehrt. Zwar blieb der Firmenname „Siemens & Halske“ lange über das Ausscheiden und den Tod Halskes hinaus erhalten, doch kam es im Rahmen des Konzerns zu Neugründungen wie 1903 der „Siemens-Schuckertwerke“ und 1932 der „Siemens-Reiniger-Werke“ nur mit „Siemens“ und ohne „Halske“ im Namen. 1966 gingen dann die drei Aktiengesellschaften in der neugegründeten Siemens AG auf und „Siemens & Halske“ war Geschichte.

Die neuen Verhältnisse wurden beim Logo nachvollzogen. Lange war es ein großes „S“ für Siemens mit einem schräg darauf liegenden kleineren „H“ für Halske. Bereits in der Weimarer Zeit kam darunter der Schriftzug „SIEMENS“ hinzu. Nach dem Aufgehen von Siemens & Halske in Siemens blieb nur der Schriftzug. So verschwindet zunehmend beziehungsweise verschwand bereits mit den Erzeugnissen von Siemens & Halske auch die an beide Unternehmensgründer erinnernde Buchstabenkombination aus dem öffentlichen Raum und damit auch dem kollektiven Gedächtnis.


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