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Literatur

Ein dichtender Übermensch

Frauen-, Männer- und Freiheitsheld – Vor 200 Jahren starb der englische Dichter Lord Byron

Harald Tews
18.04.2024

Als Literaturepoche ist die Romantik derart genuin deutsch, dass es romantische Lyriker aus anderen Ländern immer schwer hatten, hierzulande wahrgenommen zu werden. Das gilt insbesondere für englische Dichter, deren Gedichte auf der Insel jedes Schulkind aufsagen kann, die aber in Deutschland im Schatten von Novalis oder Eichendorff stehen. Mit ein Grund ist die Schwierigkeit, Lyrik adäquat zu übersetzen, sodass die poetische Eloquenz des Originals in einer anderen Sprache nicht verloren geht.

Dabei haben sich die Briten einige verkaufsfördernde Techniken von den Deutschen abgeschaut. Statt sich mit rivalisierenden Scharmützeln gegenseitig Konkurrenz zu machen, traten sie ähnlich wie Goethe/Schiller, Wackenroder/Tieck oder von Arnim/Brentano im Duo auf mit teilweise gemeinsamen Veröffentlichungen. Das galt für die Begründer der englischen Romantik, Wordsworth und Coleridge, wie insbesondere auch für jene Poeten der zweiten Generation: Percy Bysshe Shelley und Lord George Gordon Byron spornten sich mit ihrer Freundschaft gegenseitig zu neuen lyrischen Ergüssen an.

Frucht dieser enormen Produktivität war auch Schauerromantisches. Im „Jahr ohne Sommer“ 1816, als mutmaßlich der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora weltweit für ungewöhnlich kalte Temperaturen sorgte, trugen sich Shelley, dessen spätere Ehefrau Mary, Lord Byron und dessen dichtender Leibarzt John Polidori in einer Villa in der Nähe des Genfer Sees selbstverfasste Schauergeschichten vor. Was den Erfolg betrifft, schlug Mary Shelley mit ihrem Horrorroman „Frankenstein“ die Männer um Längen. Lord Byron begnügte sich nur mit dem schmalen Gedicht „Die Finsternis“.

Im Gedächtnis bleibt Lord Byron ohnehin eher mit monumentalen Verserzählungen. In „Childe Harolds Pilgerfahrt“, „Manfred“ und „Don Juan“ entwickelte er über hunderte Strophen hinweg den Typus des damals europaweit bewunderten Byronschen Helden, der einsam durch die Welt streift und sich um die sozialen Verhältnisse anderer wenig schert. Dieser Held, eigentlich ein Antiheld, war natürlich ein Alter Ego von Byron selbst: ein adeliger Dandy, quasi ein Vorläufer Oscar Wildes, weltgewandt, reisefreudig, gutaussehend, ein bisexueller Frauen- wie auch Männerverführer, allerdings mit einem Klumpfuß geboren.

Als literarischer Typus faszinierte diese Figur die Leser vor allem in Frankreich und Russland. Alexander Puschkin führte ihn als „überflüssigen Menschen“ in die russische Literatur ein, wo ihn Dostojewski später wieder in seinen Romanen aufleben ließ. Musikalisch tritt der Byronsche Egoist in Tschaikowskis „Manfred-Sinfonie“ und in Hector Berlioz' „Harold in Italien“ auf. Und Nietzsche entwickelte seinen Begriff des „Übermenschen“ anhand der Persönlichkeit Lord Byrons.

Nicht nur das Werk, sondern auch die Person bewunderten die Leser seinerzeit. Dies auch vor dem Hintergrund, dass sowohl Byron als auch Shelley relativ früh starben. Letzterer ertrank 29-jährig bei einer Segeltour vor der italienischen Küste. Byron war dabei, als man die Leiche seines Freundes am Strand einäscherte. Keine zwei Jahre später starb auch Byron im Alter von 36 Jahren in Griechenland. Im Freiheitskampf der Griechen gegen die Osmanen unterstützte er die Kämpfer finanziell, wofür er sogar eines seiner Herrenhäuser in England verkaufte.

Der Versuch, eine Gruppe von Unabhängigkeitskämpfern anzuführen, schlug allerdings aufgrund seiner mangelnden militärischen Kenntnisse fehl. Trotzdem wird er in Griechenland bis heute als Freiheitsheld gefeiert. Am 19. April 1824 starb er in Messolongi an den Folgen eines Fiebers und an Aderlässen.


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