27.07.2024

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Königsberg

Ein Herz für Benachteiligte

Bereits im Barock wurden in Brandenburg-Preußen Waisenhäuser errichtet – Später gründete Friedrich I. in Ostpreußen das erste

Wolfgang Kaufmann
04.03.2024

Bereits im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gebot die christliche Nächstenliebe, Waisenkinder in speziellen Einrichtungen zu versorgen. Das galt auch für das Herrschaftsgebiet von Brandenburg-Preußen, wo 1665 das Oranienburger Waisenhaus öffnete. Dazu kamen später die Franckeschen Stiftungen in Halle und das Große Friedrichshospital in Berlin, das nicht nur als Krankenanstalt, sondern ebenso als Unterbringungsort für Waisen, Bettler und Invaliden diente. Außerdem gründete König Friedrich Wilhelm I. 1724 das Große Militärwaisenhaus in Potsdam für die Kinder gefallener oder verstorbener Soldaten. Bis 1740 wuchs die Zahl der Zöglinge allein dort auf über 1500 an.

Gleichfalls um das Schicksal der Waisenkinder in seinem Reich besorgt war Friedrich I., der Vater von Friedrich Wilhelm I., der sich selbst am 18. Januar 1701 vom Kurfürsten von Brandenburg und souveränen Herzog in Preußen zum König in Preußen erhoben hatte. Anlässlich dieser Zeremonie in der Kirche des Königsberger Schlosses stiftete Friedrich I. auch ein Waisenhaus für die Stadt am Pregel. Später wurde es von den Rittern des Hohen Ordens des Schwarzen Adlers, also den Trägern der höchsten preußischen Auszeichnung überhaupt, weiterfinanziert.

Erstes Waisenhaus unter Friedrich I.
Das Gebäude entstand unweit des Sackheimer Tores an der Straße nach Insterburg. Als Architekt des 1703 fertiggestellten und eingeweihten Waisenhauses fungierte der Königlich-Preußische Ingenieur, Kammerrat und Leiter des Bauamtes von Königsberg, Joachim Ludwig Schultheiß von Unfriedt. Zu den Direktoren der Einrichtung gehörte unter anderem der prominente Philologe Heinrich Dembowksi, der den Posten von 1852 bis 1891 innehatte.

Das zweite Königsberger Waisenhaus, das Evangelische Johannesstift, wurde Anfang des 18. Jahrhunderts in der Gebauhrstraße im Stadtteil Löbenicht errichtet. Einer der bekanntesten Zöglinge dieser Einrichtung war der spätere Philosoph Johann Friedrich Weitenkampf, dessen These, dass die Welt räumliche und zeitliche Grenzen haben müsse, später auch in Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ positive Erwähnung fand.

Anna Elisabeth Saturgus stiftete das erste private Kinderheim
Ab dem Jahr 1720 gab es darüber hinaus das private Altstädtische Witwen- und Waisenhaus. Als Stifterin fungierte hier Anna Elisabeth Saturgus, Tochter eines reichen Königsberger Steinhauers, die 1681 einen ebenfalls sehr vermögenden Weinhändler aus Düsseldorf geheiratet hatte, den sie um fast 50 Jahre überlebte. Die Mutter von neun Kindern erwarb bis zu ihrem Tode im Jahre 1746 zahllose Immobilien und finanzierte auch viele wohltätige Werke. Das von ihr begründete Waisenhaus zog 1893 in einen Neubau nahe der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Neuroßgärter Kirche um.

Ein weiteres privates Waisenhaus war das Tiepoltsche Waisenhaus im 1905 nach Königsberg eingemeindeten Mittelhufen. Dieses ging auf das Apothekerehepaar Tiepolt zurück, das im Jahr 1800 starb und der Stadt 15.000 Taler hinterließ, welche für die Schaffung der Einrichtung genutzt werden sollten. Letztere fusionierte dann 1876 mit dem kommunalen Waisenhaus. 24 Jahre später erfolgte der Umzug der 50 Zöglinge in einen Neubau an der Ecke Schillerstraße-Busoltplatz. In dem Gebäude residiert heute die Hauptverwaltung der russischen Zentralbank für das Königsberger Gebiet.

Zwei andere Königsberger Waisenhäuser entstanden auf Initiative der jüdischen Gemeinde in der Stadt. Diese war lange Zeit die drittgrößte in Preußen nach Berlin und Breslau: Zwischen 1800 und 1871 wuchs die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in der ostpreußischen Metropole von 900 auf 4000, wobei viele davon als wohlhabend galten. 1861 kamen die ersten vier elternlosen Kinder in das Israelitische Waisenhaus, wohingegen 1898 dann schon

37 Waisen in der Einrichtung lebten. Daraus resultierte die Notwendigkeit eines Neubaus, der 1905 bezogen werden konnte. Als Architekt des Gebäudes neben der Neuen Synagoge fungierte der eben ernannte Regierungsbaumeister Fritz Behrendt, der ansonsten vor allem in Breslau wirkte.

Kosch stiftete das zweite jüdische Waisenhaus
Stifter des zweiten jüdischen Waisenhauses war der Arzt und Politiker Raphael Kosch, der für die Deutsche Fortschrittspartei im preußischen Abgeordnetenhaus saß und sich Zeit seines Lebens eng mit Königsberg verbunden fühlte. Nachdem er der Stadt 1872 einen erheblichen Betrag auf testamentarischem Wege hinterlassen hatte, trat 1874 das Kuratorium Dr. Koschs Waisenerziehungs-Anstalt zu Königsberg i. Pr. zusammen und initiierte die Errichtung eines Waisenhauses nahe der Mittelhufener Hauptstraße. Dieses wurde bis 1921 genutzt und dann verkauft. Das Gebäude existiert noch und steht in der heutigen Uliza Komsomolskaja.

Das Vorhandensein derart vieler Waisenhäuser wie auch anderer Wohlfahrtseinrichtungen in Königsberg zeugte vom Willen der begüterten Bürger der Stadt, sich für das Gemeinwohl und die sozial Benachteiligten unter der Bevölkerung einzusetzen. Dabei handelten die meisten aus Idealismus, während in manchen Fällen aber wohl auch ein gewisses Prestigebedürfnis zum Tragen kam.


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