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Die Mitte-Rechts-Regierung beschert dem Land einen ungewöhnlichen Kulturkanon
Literatur, Kunstwerke, Ereignisse, Traditionen – was sollte in einem Kulturkanon für Schweden enthalten sein?“ fragte die schwedische Regierung vom Januar bis jetzt ihre Bürger. Der Autor Lars Trädgårdh machte vor einigen Jahren einen bemerkenswerten Vorschlag für einen sogenannten schwedischen Kulturkanon. Im Dezember 2023 beschloss daraufhin die Regierung in Stockholm, alles an Infos und Ansichten zu sammeln, was Schweden in Hinsicht auf Kultur generell ausmacht.
Diese Liste mit 100 Werken und Errungenschaften wurde jetzt vorgestellt. Sie enthält eine Auswahl dessen, was das Land prägt, und ist doch weitaus mehr als nur kollektive Selbstbesinnung. Die einen sehen darin ein „nationalistisches Erziehungsprojekt“, andere eine demokratische, offen diskutierte Rückkehr zur Frage der eigenen Identität und was heute noch dazu gehören soll. Im Internet kann jeder, der will, selbst Vorschläge abgeben und die von anderen gemachten einsehen (www.kulturkanon.se), wenn es um die Frage der zentralen kulturellen Bestandteile des nordischen Landes in dem Kanon geht.
Schweden ohne Abba
Was letztendlich aufgenommen wird, entscheidet ein von der Regierung eingesetzter Ausschuss – „breit gefächert“ soll er sein, so der ausführende Leiter Trädgårdh. Geordnet nach Kategorien von „Sportkultur“ über „TV und Radio“ bis „Essenskultur“ gaben Schweden eine Reihe von Vorschlägen ab. Unter diesen fand sich auch manch Skurriles, wie ein musikalisches Werk über die Geburt des Gammeldansk (ein eigentlich dänischer Schnaps) oder das Automodell Volvo 142.
Einige fast klischeehaft schwedische Dinge schafften es hingegen nicht hinein. Und das beherrscht die Debatte fast mehr als der Sinn und die Wirkung des Kanons. Warum ist Pippi Langstrump der Kinderbuchautorin Astrid Lindgren dabei und ebenso das Möbelhaus Ikea, aber die Band Abba ist in der Liste nicht zu finden? Der Nobelpreis an sich ist zwar vertreten, das heutige Nobelpreiskomitee bemängelt indes, der Kanon sei „ausgrenzend und „zu eng gefasst“. Umstritten ist die Regelung, nur Werke und Ereignisse aufzunehmen, die mindestens 50 Jahre alt sind – was auch den faktischen Ausschluss von Abba erklären dürfte. Laut Ausschuss habe die Gruppe ihre wichtigsten Beiträge erst nach 1975 geliefert.
Der Kanon bilde mit seiner Fixation auf die Vergangenheit kaum das heutige Schweden ab, urteilen indes die Kritiker. Auch Schwedens Presse streitet um den Kanon. Bis in die „New York Times“ schaffte es ein schwedischer Journalist mit seinem Urteil, es sei „ein bisschen lächerlich“, alte Gedichte aus dem 16. und 17. Jahrhundert aufzunehmen und gleichzeitig aktuelle Errungenschaften wie den Vaterschaftsurlaub. So sieht es jedenfalls Björn Wiman, Kulturredakteur der schwedischen Zeitung „Dagens Nyheter“. Andere Schreibkollegen sehen darin gar schon einen „Akt der nationalen Disziplinierung“, der vor allem die rechte Partei „Schwedendemokraten“ und die Regierung interessiere.
Ein Willkommenskanon für zugewanderte Kinder als vermeintlich wichtigere Alternative steht in Schweden nun als Gegenmodell zur Diskussion. Diese Kinder sollten lieber zuerst die auch den Deutschen für ihre Illustrationen bekannte Kinderbuchklassikerin Elsa Beskow lesen, um zu begreifen, was Schweden im Kern ausmache, so lautet die Kritik.
Man sieht sich als Weltenbürger
Der Leiter des Kanons konterte am 2. September, die Schweden sollten „demokratischen Nationalismus“ begrüßen – er habe kein Problem mit dem Begriff, sagte er der schwedischen Fernsehsendung „30 Minuten“. Seine Begründung: „Schweden hat nicht in erster Linie einen ethnischen Nationalismus, sondern konzentriert sich auf die Staatsbürgerschaft. Wir müssen keine Angst davor haben, einen demokratischen Nationalismus anzunehmen.“ Das Land habe mit Ende des Zweiten Weltkriegs den Blick von der eigenen Kultur abgewandt, sich „von Modernismus, Internationalismus und Multikulturalismus“ prägen lassen. Viele Schweden sähen sich lieber in erster Linie als Weltbürger, und das sei „in vielerlei Hinsicht ein Problem“.
Auch Kritik von nationalen Minderheiten, wie beispielsweise von den Samen, an seinem Projekt konterte der Kanon-Leiter entsprechend: Er halte am Grundprinzip fest, dass für alle die gleichen Regeln gelten sollten. Als Kopf hinter der Idee schlug der Schwede zudem vor, eine Stiftung außerhalb des Zugriffs der Politik zu schaffen, die weiter an dem Thema arbeiten solle. Damit erntet der Leiter auch sehr viel Zustimmung – manche Schweden sehen in dem Kanon allerdings eine „offene Basis“ für die kommende Generation, „die eigene Kultur zu erschließen, kein Endziel, sondern Ausgangspunkt zum Weiterlernen“, wie die Zeitung „Expressen“ berichtete.
Gregor Scharf am 10.09.25, 08:05 Uhr
Das Schlimme daran ist nicht der Kanon, sondern die Tatsache, dass die Menschen vergessen und nicht selten verdrängen, wer sie waren, wer sie sind, was sie und ihre Mitmenschen auszeichnete und prägte, woran sie sich orientierten, motivierten, aufrichteten, und dass es des Kanons überhaupt bedarf, um sie wach zu rütteln aus dem haltlosen Taumel, Weltbürger zu sein, die nirgends zuhause sind, keine Heimat kennen und Bodenständige als Hinterwäldler abkanzeln und sofort die nationalistische Keule schwingen. Da steht er, der wahre Feind, schreiend, kreischend, verdrehend, verführerisch lockend, moralisch erhaben in seiner unendlichen Weisheit und Selbstgefälligkeit.