Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Vertreterin der Bekenntnisgeneration schrieb die Erinnerungen des Vaters auf
Die Geschichte des Bäckermeisters Carl, seiner Frau Käthe und den Kindern in einem kleinen Dorf in Masuren steht im Mittelpunkt von Simona Wernickes Roman „Kornblumenzeit. Eine ostpreußische Familiengeschichte“. Sie beginnt 1928 und endet einige Zeit nach Kriegsende in Mecklenburg und Brandenburg.
Es war eine idyllische und harmonische Atmosphäre in ländlicher Umgebung. Die Familie, die im Laufe der Jahre fünf Kinder bekam, lebte friedlich mit allen Nachbarn und anderen Bewohnern des Dorfes zusammen. In einem Punkt unterschieden sie sich aber. Sie waren sehr skeptisch gegenüber der allmählich sichtbarer werdenden Ideologie des Nationalsozialismus, die den gesamten Alltag der Menschen damals immer stärker beeinflusste.
Vom Aufbruch mit dem Führer in den Jahren ab 1933, mit der Gewissheit des Endsieges bis etwa 1943, bis zu den schrecklichen Ereignissen der Flucht bei eisiger Kälte aus ihrer dörflichen Heimat und dem monatelangen Treck auch über das Eis des Frischen Haffs in Richtung Westen mit schwieriger Ankunft in kleinen ländlichen Orten Mecklenburgs und Brandenburgs berichtet der Roman. Während dieser Torturen ist die Ehefrau Käthe nach einer Vergewaltigung durch einen Rotarmisten verstorben.
Die gesamte Darstellung der Idylle im Frieden und der schrecklichen Ereignisse auf der Flucht, die im Ergebnis eine Vertreibung war, bietet keine neuen Erkenntnisse. Sie kamen bereits in der reichhaltigen Vertriebenenliteratur unter dem Eindruck des Erlebten in den späten 40er und 50er Jahren auf den Markt. Allerdings muss überraschen, dass eine Familie, die mit ihrer Bäckerei ein Dienstleister im Dorf und der Umgebung war, so standhaft dem NS-System widerstand, zumal in Ostpreußen die NSDAP eine überragende Stellung in der Bevölkerung besaß.
Der Roman sieht in der letzten Phase des Krieges die Menschen, also auch die Familie von Carl, als Opfer der Roten Armee mit allen Auswüchsen der Gewalt. Nur an zwei Stellen wird angedeutet, dass das Verhalten der Rotarmisten wohl auch mit dem Auftreten der deutschen Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten der Sowjetunion zusammenhing. Die Autorität der NS-Behörden hingegen blieb scheinbar bis zum Ende unberührt.
Lebensnahe Schilderungen
Die Autorin wurde 1962 in Berlin geboren und lebt bis heute in der Stadt. Die lebensnahen und sehr intensiven Erinnerungen ihres Vaters sowie 2019 eine Reise mit ihm in die Heimat in Masuren motivierten sie, ein möglichst authentisches Erinnerungsbuch zu schreiben, das sich ausschließlich an den überlieferten und erlebten Fakten orientiert. Dabei ist für Interpretationen unterschiedlicher Sichtweisen über die Ereignisse aus verschiedenen zeitlichen Perspektiven kein Raum.
Wernicke ist keine Zeitzeugin, sie gehört nicht zur Erlebnisgeneration, aber sie muss als Angehörige der Bekenntnisgeneration bezeichnet werden. Diese Art von Fluchtgeschichten durch Nachgeborene sind wegen des Abtretens der Erlebnisgenerationen der neue Trend in der Vertriebenenliteratur, die genau wie Flucht und Vertreibung Teil der deutschen Geschichte sind und daran erinnern, was Deutschland durch das verbrecherische NS-System verloren hat.
Die Autorin hat ein umfangreiches Buch von 500 Seiten geschrieben, in dem sie fast detailversessen viele Einzelszenen, Gespräche der Eltern und Kinder, aber auch die umgebende Landschaft beschreibt. Das kann nicht alles Originalton gewesen sein, sondern zeigt, dass sie sich sehr einfühlsam in die einzelnen Situationen hineinversetzt hat und entsprechend formulieren konnte. So strahlt der Inhalt Authentizität aus.
Bei dem Umfang hätten Fotos das Ganze bereichert, die Skizze von Ostpreußen im Innern des Einbandes ist allerdings schwer zu lesen. Der Titel des Buches heißt „Kornblumenzeit“, warum der Umschlag aber ein Mohnblumenfeld zeigt, ist nicht klar. Insgesamt ist der Roman gut lesbar und für Freunde dieser Art von Literatur zu empfehlen.
Simona Wernicke: „Kornblumenzeit. Eine ostpreußische Familiengeschichte“, Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2023, broschiert, 505 Seiten, 18 Euro