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Der Mediziner Michael Lichtwarck-Aschoff nähert sich unserem bedeutendsten Denker über einen Perückenmacher
Sich Immanuel Kant über einen Kunsthaar-Stylisten zu nähern ist etwas gewagt. Michael Lichtwarck-Aschoff, Autor des Buches „Der Perückenmacher von Königsberg. Eine schwierige Freundschaft mit Immanuel Kant“, hat viele Jahre als Intensivmediziner in Augsburg gearbeitet und in München, Basel, Freiburg und Uppsala geforscht. Vielleicht haben ihn seine Tätigkeiten, unter anderem als außerplanmäßiger Professor für Anästhesiologie und Intensivmedizin, auf die Idee gebracht, den großen Denkern und Wissenschaftlern des Landes, wie schon bei einem Buch zu Robert Koch, einmal gänzlich anders in die Köpfe zu schauen.
Zum 300. Geburtstag Immanuel Kants erschien sein neues Werk im Hirzel Verlag, und das verlangt der Leserschaft einiges an Aufmerksamkeit ab. Nicht nur, dass am Ende des Buchs die berühmte Vorlesung Kants über „Physische Geographie“ angefügt ist, nein, auch die romanhafte Erzählung bedient sich einer blumigen, beinahe altertümlichen, doch sehr reizvollen Sprache, die sich vom Alltags-Deutsch abhebt und manchmal etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Da weiß jemand gut mit unserer Sprache umzugehen und setzt diese ein, um eine Geschichte zu erfinden, die sehr spekulativ ist, aber nicht uninteressant. Der „Perückenmacher aus Königsberg“ hasst Perücken. Er möchte den Köpfen seiner Zeitgenossen lieber raten, sich einen Fassonschnitt machen zu lassen, den er selbst erfunden hat, denn der Schädel müsse frei atmen können. Niemand könne frei denken, sich aus der Unmündigkeit befreien, wie es sein Freund Kant propagiert, mit diesen staubigen, dreckigen, verschwitzten Dingern auf den Köpfen.
Dennoch trägt Kant selbst eine Perücke wie Robespierre. Der Autor gewährt einen Einblick ins 18. Jahrhundert in einer Stadt, in der Immanuel Kant lebte und wirkte, und die er Zeit seines Lebens nicht verließ. Doch der bedeutendste Denker unserer Geschichte hatte auch eine andere Seite, die vielleicht nur im Kontext der damaligen Zeit zu verstehen ist, eine abstoßende rassistische nämlich.
Wie rassistisch der große Kant war, diese Frage zu beantworten bleibt jedem Leser selbst überlassen. Der Autor weist gleich zu Beginn daraufhin, dass das, was Kant über „Race“ geschrieben hat, sich nur schwer mit dem Vordenker der universellen Menschenrechte vereinbaren lässt.
Im Spätwerk Kants gibt es, wie man weiß, eine geläuterte Abwendung von rassistischen Vorurteilen. Somit ist das Buch, ganz im Sinne Kants, eine Aufforderung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Michael Lichtwarck-Aschoff: „Der Perückenmacher von Königsberg. Eine schwierige Freundschaft mit Immanuel Kant“, Hirzel Verlag, Stuttgart 2024, gebunden, 200 Seiten, 24 Euro