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Erinnerungspolitik

Ein sichtbares Zeichen der Erinnerung und ein Signal an die Welt

Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist eröffnet. Es ist ein Ort des Gedenkens und der Auseinandersetzung mit einem bleibenden Thema deutscher und internationaler Politik

René Nehring
23.06.2021

Es war ein Tag „großer Genugtuung“, wie es der Präsident des Bundes der Vertriebenen Bernd Fabritius im Anschluss formulierte. Am Mittwoch dieser Woche wurde in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Alt-Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung inmitten des Berliner Regierungsviertels eröffnet. „Mit diesem Dokumentationszentrum“, so die Kanzlerin, „schließt sich eine Lücke in unserer Geschichtsaufarbeitung.“ Und weiter: „Zahlen und Fakten fassen Geschehenes sachlich zusammen. Sie sind wichtig, aber sie sind eben nicht alles. Denn damit die Dimensionen von Flucht und Vertreibung nicht abstrakt bleiben, brauchen wir die Berichte derer, die Flucht und Vertreibung selbst erlebt und erlitten haben, brauchen wir die Berichte der Zeitzeugen. Deshalb ist es so wichtig, dass das Dokumentationszentrum mehr als ein Informationszentrum ist.“

Kulturstaatsministerin Monika Grütters, in deren Verantwortungsbereich die Vertriebenenpolitik des Bundes liegt, sagte, mit der Eröffnung des Hauses „stellt Deutschland sich einer lange zu wenig wahrgenommenen historischen Wahrheit: nämlich dem unermesslichen und millionenfachen Leid in Folge von Flucht und Vertreibung im und nach dem von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg“.

Als Geste der Versöhnung kann verstanden werden, dass die Kanzlerin am Schluss ihrer Ausführungen erwähnte, dass das Dokumentationszentrum aus einer Idee Erika Steinbachs hervorgegangen ist, der langjährigen Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und frühere Parteifreundin Merkels, die vor einiger Zeit aus Verärgerung über die Politik der Bundesregierung die CDU verlassen hatte.

Kein Selbstläufer

Die vielen guten Worte während der Eröffnung können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der nun entstandene Gedenkort alles andere als ein Selbstläufer war. Vielmehr wurde selten in der jüngeren Geschichte über ein erinnerungspolitisches Vorhaben so kontrovers diskutiert wie dieses.

Als Erika Steinbach 1999 zusammen mit dem SPD-Politiker Peter Glotz die ursprüngliche Idee eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ vorstellte, das an die Zwangsmigrationen des 20. Jahrhunderts erinnern sollte, warfen Kritiker den deutschen Heimatvertriebenen reflexartig vor, mit dem Zentrum Teile der Geschichte umschreiben zu wollen. Andere plädierten dafür, ein solches Haus entweder in Danzig oder Breslau anzusiedeln oder es in ein Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen zu integrieren – was darauf hinausgelaufen wäre, dass die Erinnerung an das Schicksal der Landsleute aus dem Osten ein Randthema geblieben wäre. Dass Deutsche im Zweiten Weltkrieg und noch lange Zeit danach nicht nur Täter waren, sondern auch Opfer, passte manchen offenkundig nicht in das liebgewonnene erinnerungspolitische Weltbild.

Dabei sprechen wir hier nicht von einem im Verborgenen begangenen Verbrechen, das zufällig durch das akribische Aktenstudium einiger Historiker aufgedeckt worden wäre, sondern von millionenfachem Leid, das sich vor gut einem dreiviertel Jahrhundert vor den Augen der Welt ereignete – und dem damit verbundenen Verlust einzigartiger Kulturlandschaften, die das deutsche Geistesleben über Jahrhunderte geprägt haben.

Unerträglich war und ist zudem, dass die Vertriebenen in den Debatten der vergangenen zwanzig Jahre immer wieder als kalte Krieger dargestellt wurden. Dabei waren sie es, die schon 1950, auf dem Höhepunkt des Ost-West-Konfliktes, in ihrer „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ auf Rache und Vergeltung verzichteten und erklärten „jedes Beginnen mit allen Kräften (zu) unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können“.

Insofern ist den Verantwortlichen (siehe auch das Interview mit Gundula Bavendamm auf Seite 3 der PAZ) etwas gelungen, was lange Zeit undenkbar schien: ein zentraler Gedenkort für das Schicksal von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, der zugleich die Perspektiven anderer Nationen berücksichtigt und somit zeigt, dass die Erinnerung an deutsche Opfer keineswegs zu neuen Verwerfungen mit unseren Nachbarn führen muss.

Ein bleibendes Thema

Auch wenn die Eröffnung des Dokumentationszentrums den Schluss einer langen Debatte markiert, kann dies keineswegs das Ende der Befassung mit dem Thema sein. Zum einen hat die Bundesrepublik bis heute die mentalen Folgen des Wegbrechens jahrhundertelanger Brücken Richtung Osten nicht verwunden. Noch immer liegen Florenz, Bordeaux oder Porto vielen Deutschen näher als Stettin, Breslau oder Posen. Noch immer ist der Osten auf der geistigen Landkarte deutscher Politik eine „terra incognita“.

Zum anderen ist auch das Thema Flucht und Vertreibung alles andere als ein historisches. Vielmehr ist die Gewalt gegen ethnische oder religiöse Minderheiten weltweit noch immer ein probates Mittel der Konfliktführung.

Insofern ist das Dokumentationszentrum kein „Gefallen“ der Bundesrepublik Deutschland an die Vertriebenen, sondern ein wichtiger Ort der Auseinandersetzung mit einem zentralen Thema deutscher und internationaler Politik.

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