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Technik

Ein Wink mit dem Signalpfahl

Erst eine Telegrafenanlage und später ein Sterne-Observatorium: Deutsche Spitzentechnologie auf dem Potsdamer Telegrafenberg

Silvia Friedrich
10.01.2022

Sanssouci, Schloss Cecilienhof, Museum Barberini – an Sehenswürdigkeiten mangelt es Potsdam wahrlich nicht. Durch die Fülle an Gebäude- und Park-Attraktionen kann man jedoch ein für Wissenschaft und Forschung bedeutendes Gelände leicht übersehen.

Nahe des Potsdamer Hauptbahnhofs liegt auf einer bewaldeten Erhebung, uneinsehbar und versteckt, der „Wissenschaftspark Albert Einstein“. Er befindet sich auf einem ehemals namenlosen Hügel, der vor 190 Jahren ausgewählt wurde, um den vierten von insgesamt 61 optischen Telegrafen zu tragen. Die nur staatlichen und militärischen Zwecken dienende preußische Telegrafenlinie mit einer Länge von 750 Kilometern verband Preußens Hauptstadt Berlin mit Koblenz, dem Verwaltungszentrum der Rheinprovinz.

Die auf Erhebungen errichteten Telegrafenstationen, in einem Abstand von zehn bis 15 Kilometern aufgestellt, bestanden jeweils aus einem Masten mit drei Armpaaren. Die sechs Flügel konnten von einem Telegrafisten mittels Seilzügen in vier Positionen gebracht werden: 0, 45, 90 und 135 Grad. Die sich daraus ergebenden 4096 Zeichen machten es auf diese Weise möglich, Zahlen, Buchstaben, Wörter und sogar ganze Sätze darzustellen.

In der sich unter dem Mast befindenden Stube hielten Soldaten mit einem Fernrohr Ausschau zur nächstgelegenen Station, um die Armstellungen abzulesen. Mithilfe der immer nur in einer Richtung möglichen optischen Telegrafie durchlief ein Satz von mäßiger Länge von der Station eins auf einem alten Sternwartenturm in der Mitte Berlins in 15 Minuten sämtliche Stationen bis zum Rhein. Eine beachtliche Leistung in einer Zeit, als Postkutschen das Tempo vorgaben. Eine solche Leistung konnte aber nur erbracht werden, wenn das Wetter mitspielte.

Die den wachsenden Ansprüchen nicht mehr genügende optische Telegrafie wurde wenig später durch die Elektro-Telegrafie überflüssig und 1849 abgebaut. Die Anhöhe jedoch behielt die Bezeichnung Telegrafenberg.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde vom Berliner Physiker Gustav Robert Kirchhoff und dem Chemiker Robert Wilhelm Bunsen die Spektralanalyse entwickelt. Mit der Methode konnte man auch die chemische Zusammensetzung und physikalischen Zustände von Himmelskörpern erforschen. So regte der Direktor der Berliner Sternwarte, Wilhelm Julius Foerster, zunächst den Bau eines Sonnenobservatoriums an. Bald wurden die Erkenntnisse ebenso auf den neuen wissenschaftlichen Zweig in der Astronomie, die Astrophysik, ausgedehnt, und es kam zur Gründung des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam (AOP) im Jahr 1874.

Das AOP war weltweit die erste Einrichtung, die Wissenschaft an der Schnittstelle von Astronomie und Physik betrieb. Auf der Suche nach einem geeigneten Gebiet für wissenschaftliche Institute, die für ihre Messungen und Experimente ungestörte Umweltbedingungen brauchten, erinnerte man sich wieder an den knapp 100 Meter hohen Telegrafenberg. Außer dichtem Mischwald, der für ein geeignetes Beobachtungsklima ohne nachteilige Wärmestrahlung sorgte, bot das Areal auch eine besondere Reinheit der Luft sowie eine erschütterungsfreie Lage.

Bis zur Jahrhundertwende entstanden hier das AOP, das Meteorologisch-Geomagnetische Observatorium, das Geodätische Institut mit Nebengebäuden und Wohngelegenheiten für die Astronomen.

Eine Sternstunde im wahrsten Sinne des Wortes schlug den Forschern im Jahr 1899. In einem Festakt im Beisein Kaiser Wilhelms II. wurde auf dem Telegrafenberg der bis dahin größte gebaute Refraktor eingeweiht. Um die Beobachtungsmöglichkeiten insbesondere lichtschwächerer Sterne zu optimieren, wurde dieser etwa eine halbe Million Goldmark verschlingende Doppelrefraktor in einem imposanten Bau, dessen drehbare Kuppel einen lichten Durchmesser von 21 Metern und ein Gewicht von 200 Tonnen aufweist, untergebracht.

Doppelrefraktor heißt das Teleskop deshalb, weil hier zwei Fernrohre, eines für unmittelbare Sternbeobachtungen, das andere für die Fotografie der Beobachtungen, fest miteinander verbunden wurden. Der Große Refraktor gilt auch heute noch als das viertgrößte Linsenteleskop der Welt. Der bewegliche Teil des Fernrohres wiegt sieben Tonnen.

Der Kaiser persönlich kam vorbei

Für die technische Ausführung zog man renommierte Firmen mit großen Namen heran. Siemens und Halske lieferten die elektrische Ausrüstung, Schott in Jena zeichnete verantwortlich für die Glasschmelze der Objektive. Gefertigt wurden diese bei Steinheil in München. Der Betrieb Repsold in Hamburg führte die Fernrohrmontierung aus, und die Berliner Firma Hoppe war betraut mit dem Bau der fahrbaren Beobachterbühne.

Das als Fahrstuhl bezeichnete Gerüst mit doppelläufiger Treppe war so in den Drehkranz der Kuppel eingehängt, dass die sich darauf befindende Arbeitsplattform mit Beobachtungsstuhl immer dem Kuppelspalt gegenüber lag. Mittels Rollen wurde das Ganze auf einem im Fußboden eingelassenen Eisenkranz bewegt. Unerwartete und zweifelhafte Berühmtheit erlangte der Große Refraktor durch die anfänglich mangelhafte Güte der Objektive. Spätere Retuschen machten ihn dann zu einem Objektiv hervorragender Güte.

Nachdem im Jahr 1919 britische Forscher während einer Sonnenfinsternis die Ablenkung des Lichts durch die Masse der Sonne hatten nachweisen können, war Albert Einsteins Theorie der Gravitation als Bestandteil der speziellen Relativitätstheorie bewiesen. Das wissenschaftliche Ansehen des plötzlich zum internationalen Star avancierten Physiknobelpreisträgers wollte Deutschland nach der Kriegsniederlage für nationales Ansehen nutzen. Es wurden staatliche Gelder für ein Sonnenobservatorium in Potsdam bewilligt, das einen unumstößlichen Beweis für die Relativitätstheorie erbringen sollte.

Verwirklicht durch Spenden privater Geldgeber, entstand ein hochmoderner Zweckbau, der im Jahre 1924 auf dem Telegrafenberg eine neue Ära der Sonnenforschung einleitete. Rein optisch eher an ein U-Boot erinnernd, erregte der expressionistische Zweckbau des jungen Architekten Erich Mendelsohn massiv die Gemüter. Das sehr schnell von der Öffentlichkeit als „Einsteinturm“ bezeichnete Gebäude diente als äußere Hülle für ein Teleskop zur Beobachtung der Sonne.

Allerdings scheiterte der Versuch, die Gravitationsrotverschiebung der Spek­trallinien nachzuweisen. Dennoch nahmen hier wichtige Entwicklungen der Sonnen- und Plasmaphyik ihren Anfang. Einstein selbst unterstützte Bau und Betrieb des Sonnenobservatoriums, arbeitete hier allerdings nie. Doch noch heute nutzen Sonnenforscher des Astrophysikalischen Instituts Potsdam das Teleskop im Einsteinturm zu Forschungszwecken.

Der Niedergang des Wissenschaftsstandortes Potsdam war besiegelt mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die Vertreibung jüdischer Mitarbeiter, Terror, Gewalt und Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führten zum Ende der astronomischen Forschung. Ein Neubeginn nach dem Krieg erwies sich als schwierig. Viele Gebäude, darunter der Einsteinturm, hatten schwere Schäden erlitten. Der mechanische Teil des Großen Refraktors war durch einen Luftangriff schwer beschädigt worden. Zusätzlich kam es zur Demontage wertvoller Beobachtungs­instrumente als Reparationsleistung für die Sowjetunion, wie beispielsweise eines 120-Zentimeter-Spiegelteleskops.

Später wurde in der DDR die Forschungsarbeit auf dem Telegrafenberg wieder aufgenommen. Die Akademie der Wissenschaften übernahm 1947 das Astrophysikalische Observatorium Potsdam. Der Große Refraktor wurde in den 50er Jahren von der Firma Carl Zeiss in Jena repariert und modernisiert. Die Arbeit mit dem Instrument wurde aber 1968 eingestellt, woraufhin es mangels Pflege bald nicht mehr nutzbar war. Die Arbeit im Zentralinstitut für Astrophysik wurde maßgeblich behindert durch die Abgrenzung der DDR zur westlichen Welt. Dieses änderte sich mit der politischen Umstrukturierung im Jahre 1989.

Nach Auflösung des in der DDR tätigen Institutes kam es 1992 zur Neugründung des Astrophysikalischen Institutes Potsdam. Ende der 90er Jahre konstituierte sich auf dem Telegrafenberg der „Förderverein Großer Refraktor Potsdam e.V.“, der sich zum Ziel setzte, das ehemalige Hauptteleskop vor dem Verfall zu retten und damit ein wissenschaftlich-technisches Denkmal zu erhalten.

Zum 100. Jahrestag des Großen Refraktors am 26. August 1999 konnten bereits durch finanzielle Sondermittel des Kultusministeriums konservierende Entrostungs- und Anstricharbeiten durchgeführt werden. Durch Gelder der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, finanziellen Mitteln der von der Stiftung treuhänderisch verwalteten privaten Pietschker-Neese-Stiftung und durch Spenden, die der Förderverein „Großer Refraktor“ gesammelt hatte, konnte die Restaurierung des imposanten Instrumentes in Angriff genommen werden.

Wiedereröffnung im Einsteinjahr

Im Mai 2003 demontierte man das Linsenteleskop vorsichtig aus dem großen Kuppelsaal, damit es, sorgsam verpackt, die Reise zum Carl-Zeiss-Werk nach Jena antreten konnte. Die Firma 4H-Jena-Engineering GmbH hatte drei Jahre mit der Überarbeitung der 4500 Einzelteile und der Optik zu tun. Der Wiedereinbau des Instrumentes in die inzwischen sanierte Kuppel im Juni 2005 bildete einen Höhepunkt im Wissenschaftssommer des Einsteinjahres. Viele Menschen hatten sich auf dem Telegrafenberg versammelt, um der vorläufigen Justierung des Instrumentes beizuwohnen.

Obwohl die Kuppel wieder drehbar war und der schwergängige Spaltschieber sich ohne Probleme öffnen ließ, waren noch nicht alle Maßnahmen abgeschlossen. Die endgültige Fertigstellung des gesamten Gerätes, auch die Instandsetzung der beweglichen Bühne mit dem Beobachtungsstuhl für den Astronomen, erfolgte 2006. Seitdem kommt man in den Genuss, zu sehen, wie man früher mit Hebeln und Kurbeln den sieben Tonnen schweren Koloss bewegte, um das Sternenlicht spektral aufgefächert auf eine Fotoplatte zu bannen.

Den öffentlich zugänglichen „Wissenschaftspark Albert Einstein“ zu besichtigen lohnt sich immer. Im inzwischen restaurierten Einsteinturm wird intensiv geforscht. Nach Anmeldung sind Besichtigungen mit Führung möglich. Der Geist Einsteins scheint noch da zu sein, wenn man sich auf dem Telegrafenberg in Potsdam auf die Spur der Sterne begibt.


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