09.10.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Dringend gesucht: Rekruten der Bundeswehr
Foto: picture alliance/dpa | Michael KappelerDringend gesucht: Rekruten der Bundeswehr

Sicherheitspolitik

Eine notwendige, aber nicht hinreichende Debatte

Im Streit um die Neugestaltung des Wehrdienstes debattieren Union und SPD zwischen Pflicht und Freiwilligkeit. Doch wichtige Fragen blenden sie aus

René Nehring
09.10.2025

Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht gewinnt an Dynamik. Ein halbes Jahr nach ihrer umstrittenen Lockerung der verfassungsmäßigen Schuldenbremse für den Bereich der Verteidigungsausgaben streiten Christ- und Sozialdemokraten nun über die personellen Grundlagen der deutschen Streitkräfte.

Unbestritten ist, dass die Bundeswehr unter einem erheblichen Personalmangel leidet. Zwar konnte die Truppe im Juli 2025 ein Einstellungsplus von 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen, womit sie nun rund 183.000 Soldaten umfasst. Doch bleibt der Personalbedarf, um die gerade in jüngster Zeit gewachsenen Aufgaben erfüllen zu können, nach wie vor ungedeckt. Ohne zusätzliche Rekruten droht eine Überlastung der vorhandenen Kapazitäten.

Freiwilligkeit oder Pflicht?
Doch über den richtigen Weg zum allseits gewünschten Personalaufwuchs herrscht Uneinigkeit bei den Regierungspartnern. Hatten sich CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag noch auf „einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“ verständigt, äußern nun zahlreiche Politiker der Union bis hin zu Bundeskanzler Friedrich Merz Zweifel daran, dass es mit einem Freiwilligen-Modell gelingen wird, die bis 2031 geplanten zusätzlichen 80.000 Soldaten zu gewinnen.

Die SPD wiederum, deren Verteidigungsminister Boris Pistorius gerade erst einen Gesetzentwurf für einen „neuen Wehrdienst“ vorgelegt hat, mit dem ab 2026 alle 18-jährigen Männer einen Fragebogen erhalten sollen, um ihr Interesse zu prüfen, lehnt jede Debatte über ein verpflichtendes Modell ab und verweist dabei sowohl auf den Koalitionsvertrag als auch auf die eingangs geschilderte jüngste Personalentwicklung. Woraufhin die Union die Bundestagsberatung über Pistorius' Entwurf blockiert und einen „Automatismus“ für die Wehrpflicht fordert, falls die Zahl der Freiwilligen den Personalbedarf nicht decken sollte.

Generalinspekteur Carsten Breuer positioniert sich als Brückenbauer zwischen den Regierungspartnern. Einerseits fordert er vor allem eine „schnelle Umsetzung“ des neuen Wehrdiensts. Ab Januar 2026 sollen die ersten Fragebögen verschickt werden, damit im Idealfall ab Mai die ersten neuen Rekruten nach diesem Modell ihren Dienst antreten können. Zugleich warnt Breuer vor Illusionen: Ohne eine Pflichtoption drohe möglicherweise ein Engpass, besonders bei Reservisten.

Dass die Frontlinien in der Wehrpflicht-Debatte mitunter auch innerhalb der politischen Lager verlaufen, zeigt die AfD. Obwohl es in ihrem Grundsatzprogramm deutlich heißt „Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen“, hat ein entsprechender Antrag des verteidigungspolitischen Sprechers ihrer Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, erheblichen Streit in der Partei ausgelöst. Die Spitzen der Ost-Landesverbände posierten gar für ein gemeinsames Bild unter dem Slogan „Keine Wehrpflicht für fremde Kriege“. Dabei unterschlugen sie freilich, dass weder bislang Wehrdienstleistende für „fremde Kriege“ eingesetzt wurden, noch dies im Rahmen der derzeit diskutierten Modelle gefordert wird.

Am weitgehendsten sind die Überlegungen der Grünen. Galten diese noch vor wenigen Jahren als Partei der Wehrdienstverweigerer, sprechen sich unter ihnen immer mehr Akteure dafür aus, alle Frauen und Männer für einen verpflichtenden „Freiheitsdienst“ heranzuziehen, der dann sowohl in der Bundeswehr als auch im Bevölkerungsschutz, bei der Feuerwehr oder anderen sozialen Organisationen geleistet werden kann.

Was dringend fehlt
Was in der Debatte über die Zukunft der Streitkräfte noch immer fehlt, ist eine Verständigung über deren zeitgemäßen Auftrag. Zwar erklärte Kanzler Merz, dass seine Regierung der Bundeswehr alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen werde, die sie brauche, „um konventionell zur stärksten Armee Europas zu werden“, doch war bislang wenig von ihm darüber zu vernehmen, was die deutschen Streitkräfte mit der angestrebten Größe eigentlich anfangen sollen. Auch von anderen Politikern ist jenseits von Standardfloskeln wie den „sicherheitspolitischen Herausforderungen“ (Pistorius im September im Bundestag) in dieser Hinsicht wenig zu hören.

Was fehlt ist auch eine Bewertung der sicherheitspolitischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit. Nach den ersten, noch hoch umstrittenen Blauhelm-Einsätzen der Bundeswehr Mitte der 90er Jahre wurden deutsche militärische Auslandsmissionen zunehmend zur Gewohnheit. Ist Deutschland dadurch sicherer geworden? Und was – auch dies gehört in die Debatte – bringt die Präsenz deutscher Soldaten am Horn von Afrika oder in der Westsahara, wenn ihre Regierung zugleich erklärte Feinde unserer gesellschaftlichen Ordnung ins Land sickern lässt?

Zu reden ist nicht zuletzt auch über die Stellung der Bundeswehr in der deutschen Gesellschaft. Aus Sicht der Streitkräfte gilt noch immer das Leitbild vom Soldaten als Staatsbürger in Uniform – doch sieht die Gesellschaft ihre Soldaten auch als gleichwertige Glieder an? Wo sind die regelmäßigen Bekenntnisse in Politik, Kultur oder Sport, dass Soldaten einen unverzichtbaren Dienst zur Verteidigung des Rechts und der Freiheit des deutschen Volkes leisten, wie es im Gelöbnistext der Bundeswehr heißt? In anderen – auch demokratischen – Ländern ist derlei gang und gäbe.

Der biblische Spruch, dass „der Mensch ... nicht vom Brot allein“ lebt, also nicht nur materielle Güter braucht, sondern auch geistige und soziale Bedürfnisse hat, die für ein erfülltes Dasein entscheidend sind, gilt abgewandelt auch für die Streitkräfte. Auch sie leben nicht allein von materiellen Gütern.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS