11.12.2024

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Pandemie-Abwehr

EU entdeckt den Gesundheitsnotstand als Machtmittel

Unabhängig von der ohnehin mächtigen WHO erlaubt sich die Brüsseler Kommission umfangreiche Durchgriffsrechte, die tief ins Leben der Europäer eindringen

Wolfgang Kaufmann
05.11.2024

Neben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ringt auch die Europäische Kommission um mehr Befugnisse und Kontrollmöglichkeiten bei künftigen Pandemien. Hierbei ist sie mittlerweile deutlich weitergekommen als die WHO.

Bereits im November 2020 verwies die EU-Kommission auf die Notwendigkeit einer „EU-Gesundheitsunion“, weil die „Wahrscheinlichkeit von wiederholten Ausbrüchen übertragbarer Krankheiten“ wachse. In diesem Zusammenhang beriefen sich die Kommissare unter anderem auf die Warnung des Weltwirtschaftsforums (WEF), dass ein „vernetztes virales Zeitalter“ angebrochen sei.

Infolgedessen entstand am 16. September 2021 auf Beschluss der Kommission die EU-Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion (HERA), welche gesundheitliche Bedrohungen prognostizieren und Gegenmaßnahmen koordinieren soll. Zwei Monate später erhielt das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) stark erweiterte Befugnisse. So untersteht dem ECDC nun auch die europaweite digitale Kontaktnachverfolgung bei Infektionskrankheiten.

Am 23. November 2022 verabschiedeten das Parlament und der Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der EU-Kommission überdies die Verordnung (EU) 2022/2371 „zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren“. Diese erklärt alle „übertragbaren Krankheiten“ zu potentiellen Risiken, womit Überwachungs- und Eindämmungsmaßnahmen im Prinzip schon erfolgen können, wenn noch kein formeller gesundheitlicher Notstand vorliegt.

Ein ganzes Netz von Maßnahmen
Zudem ist die Bandbreite der anvisierten Kontrollmöglichkeiten enorm groß. Beispielsweise kommen als Datenquellen in Frage: elektronische Patientenakten, digitale Testnachweise und Impfzertifikate, GPS-Daten zur Kontaktverfolgung, Warn-Apps zur Identifikation von Infektionsketten, Bewegungsdaten von Mobiltelefonnutzern, die von den Telekommunikationsanbietern erhoben werden, Systeme der Telemedizin und Fernbetreuung von Kranken sowie Anfragen bei Internetsuchmaschinen.

Um die hieraus resultierenden Datenmengen bewältigen zu können, bedarf es einer Vielzahl entsprechender Strukturen, welche teilweise schon existieren und teilweise noch im Aufbau befindlich sind, aber in jedem Falle allesamt miteinander verknüpft werden sollen. Hierzu zählen die Plattformen EIOS (Epidemiebezogene Informationen aus öffentlichen Quellen), UNITED4Surveillance (Integrierte Überwachung auf Unions- und Staatenebene), ARGUS (Erstellung eines Lagebildes in Echtzeit), MyHealth@EU (Generierung von Daten für ARGUS) und EWRS (Europäisches Frühwarnsystem zum Schutz der öffentlichen Gesundheit).

Dazu kommen Projekte, Programme und Institutionen der EU zur Pandemieprävention oder zum Pandemiemanagement. Besondere Erwähnung verdienen hier das EU FAB Network, durch welches die EU Kapazitäten bei Impfstoffherstellern reserviert, um im Falle gesundheitlicher Notlagen schnell reagieren zu können, der Nachrichtendienst ATHINA zur Sammlung von Informationen über mögliche Gesundheitsbedrohungen, das Projekt PADASIA zur Schaffung von Modellen zur Vorhersage gefährlicher Zoonosen, das Labornetzwerk DURABLE und das Projekt PCR4All, in dessen Rahmen die Weiterentwicklung der umstrittenen PCR-Tests zu massentauglichen Screening-Instrumenten erfolgen soll.

Zu den wichtigsten Punkten der Verordnung zählen dabei zweifellos die Abschnitte, in denen es um die Kompetenzen der EU-Kommission geht. Allerdings sind die Kriterien, nach denen die supranationale Exekutive in Brüssel ihre umfassenden Kontroll- und Durchgriffsrechte erhalten soll, ausnehmend schwammig und daher fast beliebig auslegbar. So reicht es unter anderem aus, wenn eine neue Krankheit „in einem wesentlichen Prozentsatz der Mitgliedstaaten“ ausbricht oder ein Gesundheitsereignis „ungewöhnlich oder unerwartet“ daherkommt beziehungsweise das theoretische „Potential zur Verursachung grenzüberschreitender Ausbrüche“ besitzt.

Zweifler sollen bekämpft werden
Dann kann die EU-Kommission unabhängig von der WHO „eine gesundheitliche Notlage auf Unionsebene feststellen“ und „Maßnahmen erlassen“ – so steht es im Artikel 23 der Verordnung. Es genügen also bereits Vermutungen oder Befürchtungen, um den EU-Mechanismus in Gang zu setzen. Gleichzeitig bleibt die Verordnung aber vage, wie weit die festzulegenden Maßnahmen gehen dürfen. Der Artikel 22 sagt hierzu nur, diese sollten „notwendig“ und „geeignet“ sein und „in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der betreffenden Gefahr verbundenen Risiken für die öffentliche Gesundheit“ stehen, wobei es „insbesondere jede unnötige Einschränkung der Freizügigkeit und des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs“ zu vermeiden gelte.

In der Praxis ist das dann Auslegungssache. Auf jeden Fall zeigt die Verordnung zu „schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren“, dass es die EU-Kommission ganz offensichtlich für unverzichtbar hält, unabhängig von der WHO Notmaßnahmen verordnen zu können.

Auffällig ist des Weiteren, dass die EU-Verordnung auch das Thema der angemessenen „Risikokommunikation“ aufgreift, wohinter sich letztlich die Absicht verbirgt, die Deutungshoheit bei gesundheitlichen Themen zu erlangen. Hier geht die EU ebenfalls schon seit 2020 neue Wege. Damals nahm die Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) ihre Tätigkeit auf, welche nicht zuletzt darin besteht, öffentlich geäußerte Zweifel an den nationalen und übernationalen Maßnahmen zur Bekämpfung von Gesundheitsgefahren zu unterdrücken.

Im Juni 2022 kam ein verschärfter Verhaltenskodex „zur Bekämpfung von Desinformationen“ in Online-Medien hinzu. Den Gipfel der Beeinflussung der Debatten stellt die Verordnung (EU) 2022/2065 „über einen Binnenmarkt für digitale Dienste“ dar, welche am 17. Februar 2024 vollumfänglich in Kraft trat und die Meinungsfreiheit auch und gerade in medizinischen Fragen noch weiter beschneidet. Den Europäern drohen also harte Zeiten, wenn die EU-Kommission künftig eine Gesundheitsgefahr wittert.


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Kommentare

Peter Wendt am 31.10.24, 14:43 Uhr

Es ist unglaublich mit welcher Unverfrorenheit demokratisches und auch rechtsstaatliches handeln ausser Kraft gesetzt wird.
Orwell‘s Schreckensvisionen werden zwischenzeitlich weit übertroffen.

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