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Nachbetrachtungen zum 3. Oktober

Freudloser Feiertag

Gedanken zum lustlosen Umgang der deutschen Politik mit den positiven Seiten der eigenen Geschichte

René Nehring
06.10.2021

Am vergangenen Sonntag war der Tag der deutschen Einheit. Wieder einmal konnten die Deutschen beobachten, wie die höchsten Vertreter von Bund und Ländern in einem spröden Festakt den Stand der Vereinigung zwischen den beiden einstigen Teilstaaten vermaßen und öffentlich bescheinigten, dass der Prozess trotz aller Befürchtungen seit 1989/90 und trotz aller Schwierigkeiten im Alltag eigentlich und im Großen und Ganzen letztlich doch irgendwie eine Erfolgsgeschichte sei.

Doch warum so verkniffen? Warum schaffen es die alljährlich zum Nationalfeiertag sprechenden Repräsentanten unseres Staates nicht, wenigstens ein kleines Fünkchen jener Begeisterung zu zeigen, die vor drei Jahrzehnten die Deutschen getragen hat und die es ihnen ermöglichte, binnen weniger Monate nicht nur die Teilung des Vaterlandes zu überwinden, sondern auch die Teilung Europas? Und das alles ohne einen einzigen Schuss und ohne einen einzigen Toten?

Sicher: Als 1989/90 offensichtlich wurde, dass den Deutschen ihre staatliche Einheit nicht länger verwehrt werden konnte, stellte sich durchaus die Frage, ob das Ende der Nachkriegsordnung zu neuen Unruhen in Europa führen würde. Zuweilen wurden auch Befürchtungen vor einer Wiederkehr des „deutschen Sonderwegs“ geäußert. Doch war vorurteilsfreien Kennern schon damals klar, dass die Deutschen in der Geschichte keinesfalls mehr Kriege geführt hatten als etwa Engländer, Franzosen oder Italiener. Und ebenso klar war, dass die Abgründe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs auch eine Reaktion auf die ehrlose Behandlung der Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg waren (was diese keineswegs entschuldigen soll).

Kein „Sonderweg“

Deshalb war es auch keine Überraschung, sondern entsprach vielmehr dem historischen Normalfall, dass die Deutschen nach 1990 einen friedlichen Weg gingen. Dabei erreichte ihr Pazifismus ein Maß, das selbst einstige Kriegsgegner nie für möglich gehalten hätten. So sagte etwa der damalige polnische Außenminister Radosław Sikorski schon vor zehn Jahren angesichts der Unlust Berlins auf ein deutsches Engagement in den Krisenherden der Welt: „Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit“. Statt des befürchteten Auslösers neuer Konflikte wurde das vereinigte Deutschland zu einem weltweit gefragten Partner.

Beeindruckend ist auch die innenpolitische Bilanz des Landes. Weit über zwei Billionen Euro (!) haben die Deutschen bislang im Laufe des Einigungsprozesses getragen. Das meiste davon waren Sozialleistungen, doch auch für die Sanierung der im real existierenden Sozialismus marode gewordenen Infrastruktur und Unternehmen wurden Hunderte Milliarden Euro ausgegeben.
2006 begeisterten die Deutschen sich selbst und die Welt, als sie eine Fußballweltmeisterschaft ausrichteten und das ganze Land einen Monat lang in Schwarz-Rot-Gold gehüllt war. Ähnlich wie 2014, als die Nationalmannschaft als Weltmeister aus Brasilien heimkehrte. Und auch hier ging – entgegen allen geäußerten Befürchtungen – die Welt keinesfalls unter.

Die Deutschen, so die banale Erkenntnis 31 Jahre nach der Einheit, sind eine Nation wie andere auch. Mit Höhen und Tiefen in der Geschichte, mit guten und weniger guten Seiten in ihrem Charakter. Wenn es überhaupt einen „deutschen Sonderweg“ gibt, dann höchstens den, dass nirgendwo sonst auf der Welt die eigenen Eliten eine solche Kultur des Verdachts gegen das eigene Land und seine Bürger pflegen. Diese brauchen sich jedoch davon nicht einschüchtern zu lassen. Vielmehr bieten Feiertage wie der Tag der deutschen Einheit einen würdigen Anlass zur Selbstvergewisserung – und somit zur Freude über die Leistungen der eigenen Nation in Geschichte und Gegenwart.


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Kommentare

Mats Osrig am 17.10.21, 18:38 Uhr

Uneingeschränkte Zustimmung, @Herr Hermann!
Zweifellos darf - unter Würdigung des friedlichen Aufbegehrens unserer Landsleute zwischen Rostock und Dresden - das Zusammengehen von West- und Mitteldeutschland gefeiert und das gemeinsam Erreichte herausgestellt werden.
Doch ist die Deutsche Einheit eben noch nicht vollendet - was sich eigentlich in den jährlichen Feierlichkeiten ausdrücken sollte, wollte man die Begriffe "Nation" und "Volk" mit Leben und Bedeutung füllen. Diese gewaltlose Vollendung der Einheit zu erreichen wäre politische Zielvorgabe, die jedes Jahr auf's Neue zu formulieren wäre. Doch ist das von der heutigen, unterwürfigen Politikerkaste nicht zu erwarten, die nicht willens ist, über ihren "Tellerrand" hinaus zu blicken und historische Umstände in ihren ganzen Zusammenhängen zu sehen und neu zu bewerten.
Das merken viele Menschen im Land und können den von ihnen als inhaltsleer erlebten Feiertag nicht annehmen.

Jan Kerzel am 07.10.21, 10:41 Uhr

Der Beitritt der DDR und Berlins zur BRD sollte pathetisch nicht überhöht werden. Substantiell hat sich nämlich sehr wenig geändert. Die Menschen haben dies längst durchschaut und sind am Einheitsklamauk nicht mehr interessiert. Ja, es hätte anders kommen können, aber das war von den herrschenden Kreisen nicht gewollt. Wer genau hingehört hat, hat die Ansage vor 30 Jahren auch richtig verstanden. Von daher kann die Devise nur sein: Keep calm and carry on!

H. Schinkel am 06.10.21, 23:24 Uhr

Das der "Tag der deutschen Einheit" nicht angenommen wird hat meiner Meinung nach auch den Grund das der 3. Oktober ein Phantasiedatum ist. Wenn man dann den "Tag der deutschen Einheit" mit dem "Tag der offenen Moschee" auf einen Tag zusammen legt, dann weiß man doch auch das die Politik der deutschen Geschichte ins Gesicht spuckt.

Wer will denn diese Scheinheiligkeit feiern?

Siegfried Hermann am 06.10.21, 11:46 Uhr

Sorry,
1990 war die Vereinigung der deutschen Wirtschaftsgebiet West und Mitte.
Bis dato hat Deutschland immer noch kein Friedensvertrag und die Ostgebiete sind nach 70 Jahren immer noch fremd-"verwaltet".
Von einer Wiedervereinigung können also nur heuchelnd solche deutschophoben merkelgläubigen labbern, die einen tristen grauen Grund zum Feiern brauchen.

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