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Geschichte

Gedenktafeln der Stalin-Opfer verschwinden aus Russland

Erst erlaubt, verbietet Putins Führung nun die Plaketten zur Erinnerung an die Opfer des Großen Terrors

Bodo Bost
14.10.2024

Das Projekt „Die letzte Adresse“ ist eine zivile Initiative der Organisation „Memorial“, die ab 2014 in der Russischen Föderation gestartet wurde. Ziel des Projekts ist es, die Erinnerung an Menschen zu bewahren, die während des Großen Terrors Opfer politischer Repressionen waren und später rehabilitiert wurden. Die Idee stammt vom deutschen Künstler Gunther Demnig, Initiator der Holocaust-Gedenkinitiative „Stolpersteine“.

Eine kleine Tafel aus Edelstahl enthält dabei ein Minimum an Informationen über eine Person: Name, Beruf, Geburtsdaten, Verhaftung, Hinrichtung und Rehabilitation. Die wichtigste Informationsquelle für das Projekt ist eine Datenbank mit mehreren Millionen Namen, die Memorial ab den 1990er Jahren gesammelt hatte. Bis 2023 wurden mehr als 1500 Gedenkschilder an Häusern in Dutzenden von Städten installiert.

2017 wurde das Projekt sogar international. Die Tafeln werden seitdem auch in der Tschechischen Republik, der Ukraine, Moldawien, Georgien, Deutschland und Frankreich verlegt. Allein in St. Petersburg wurden von 2015 bis 2023 434 „Die letzte Adresse“-Tafeln an 243 Häusern angebracht. Viele davon befanden sich auch an der Wand des berühmten Moskauer Puschkin Museums, wo sie inzwischen jetzt entfernt wurden.

Aus dem „Haus der Spezialisten“ am Lesnoj Prospekt 61 in St. Petersburg wurden in den Jahren 1936–1938 mindestens 40 Menschen willkürlich erschossen. Seit 1989 sind alle rehabilitiert worden. Von 2016 bis 2023 wurden zum Gedenken an die Opfer 34 Tafeln mit den Namen von Wissenschaftlern, Philosophen, Ingenieuren und Arbeitern am Haus angebracht. Die Bewohner behandelten die Tafeln mit Ehrfurcht, denn auch heute noch leben oft Verwandte in diesen Häusern. Doch plötzlich wurden die Tafeln 2023 ohne jede Vorwarnung abmontiert.

Die Schilder hingen und störten nicht nur niemanden, sondern passten auch in die Umgebung und den Kontext. Viele Menschen haben sie ihren Kindern gezeigt und erklärt, was sie bedeuten. Da der Staat die Anbringung der Tafeln erlaubte, gab er gleichsam seine Schuld an den Verbrechen zu und rehabilitierte parallel die Menschen rückwirkend. Ein Akt der Anerkennung, des Gedenkens, der das begangene Unrecht nicht entschuldigt, aber die übernommene Verantwortung dafür bezeugt und dokumentiert.

Diese Menschen des Stalinterrors haben – wie die ermordeten Juden in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten – keine Gräber. Durch die Tafeln bleibt die Erinnerung an sie erhalten. Die Erinnerung an das Unrecht soll dafür sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht. Doch genau das passt den heutigen Machthabern in Russland nicht.

Die Anwohner der Lesniy Avenue 61 meldeten das Verschwinden der Schilder bei den St. Petersburger Koordinatoren von „Die letzte Adresse“. Diese begannen, den Vorfall zu untersuchen. Schließlich wurden die fehlenden Schilder im Büro der Verwaltungsgesellschaft gefunden. Deren Manager gaben zu verstehen, dass sie gezwungen worden seien, die Schilder auf Anweisung der Bezirksverwaltung für Wohnungswesen und kommunale Dienstleistungen zu entfernen. Die Bezirksbeamten wiederum erhielten eine solche Anweisung von „ganz oben“.

Das Projekt „Die letzte Adresse“ wurde von der Organisation „Memorial“ initiiert, die 2013 den Status eines ausländischen Agenten erhielt und am 29. Dezember 2021 vom Moskauer Stadtgericht aufgelöst wurde. Zum ersten Mal wurden im Herbst 2020 auf Antrag zweier Mieter 16 Schilder vom berühmten Dowlatow-Haus in der Rubinsteinstraße 23 entfernt. Vier Jahre lang, ab 2015, hatten diese Schilder niemanden gestört. Sie wurden sogar mit dem Einverständnis der damaligen Bewohner des Hauses angebracht.

Unter den Opfern von 1937 und 1938 befanden sich sowohl Nicht- als auch Mitglieder der Partei der Bolschewiki. Bedienstete, Ingenieure, ein NKWD- Offizier, ein Musiker, ein Militärmatrose. Es waren Russen, Juden, Deutsche, Polen, Letten, Griechen. Keine berühmten Persönlichkeiten, sondern Opfer des Großen Terrors. Aber statt der Gedenktafeln stecken nun die Bewohner der Häuser Blumen in die leeren Dübellöcher der Tafeln.


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Kommentare

Kersti Wolnow am 15.10.24, 10:45 Uhr

Doch plötzlich wurden die Tafeln 2023 ohne jede Vorwarnung abmontiert.


Überhaupt wird die Stalinzeit in Rußland ebensowenig aufgearbeitet wie in der bRD die Opfer des Sozialismus in der dDR. Ich habe nach meiner Recherche meine Schlußfolgerung: Die Finanziers und Organisatoren der Oktoberrevolution in Rußland sind dieselben wie die Fianzelite, die die USA regieren. Es ist schon seltsam, daß nach der Revolution die Zerstörung der Völker, christlichen Kirche und Familie umgesetzt wurde, dasselbe, was sich seit 1945 in den uSA auf Samtpfoten näherte, realisierte und weltweit ausbreitete. Auch der Kampf gegen das Eigentum, im Moment das Bauerntum, gehört dazu. "Die Menschen werden nichts besitzen und trotzdem glücklich sein." Bernd Schwab.

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