20.05.2024

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Wartenburg

Grabungen im „ermländischen Pompeji“

Ein Archäologenteam befördert die entdeckten Reste der niedergebrannten mittelalterlichen Siedlung ans Tageslicht

Wolfgang Kaufmann
04.09.2023

Im 13. Jahrhundert unterwarf der Deutsche Orden die „heidnischen“ Prußen auf dem Gebiet des heutigen Ostpreußens. Danach gründeten niederdeutsche Kolonisten dort Städte und Dörfer, die sich immer weiter ins Land vorschoben. Eine der neuen Siedlungen entstand ab 1325 auf einem zwei Hektar großen Geländesporn, 350 Meter nordöstlich des Wadang-Sees im Ermland. Die Initiative hierzu ging vom damaligen Bischof Eberhard von Neiße und dessen Vogt Friedrich von Liebenzell aus.

Der Name der Ortschaft lautete Wartenburg, weil sie im Schutz eines kleineren Befestigungsbauwerkes lag. Sie erhielt am 26. Dezember 1329 von Bischof Heinrich II. Wogenap das Stadtrecht. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Wartenburg vor allem schlesische Siedler, die sowohl Ackerbau im Umland betrieben als auch als Handwerker arbeiteten. Bis 1353 entstanden durch den Fleiß der Neuankömmlinge etwa zwei Dutzend unterkellerte Fachwerkhäuser rund um einen rechteckigen Marktplatz, ein kleines Handelshaus samt Lagerräumen, eine Badestube, eine Pfarrkirche nebst Friedhof und einige Straßen. Das Leben hier muss dennoch hart gewesen sein, aber die Kolonisten hofften auf mehr persönliche und wirtschaftliche Freiheit als in ihrer ursprünglichen Heimat.

Dieser Traum nahm allerdings im Winter 1353/54 ein jähes grausames Ende. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Orden und dem Großfürstentum Litauen, das sein Territorium nach Westen erweitern wollte, überrannten die Truppen der beiden gemeinsam regierenden Großfürsten Kęstutis und Algirdas auch Wartenburg. Sie brannten die Stadt nieder und töteten alle Bewohner. Das Gemetzel wird unter anderem in der gereimten „Cronica nova Prutenica“ des Ordensheroldes Wigand von Marburg erwähnt.

Wiederaufbau an neuem Ort
Weil die Litauer später einige schwere Niederlagen gegen den Deutschen Orden erlitten und sich aus der Region zurückziehen mussten, war es möglich, Wartenburg zeitnah neu zu errichten. Dafür wurde jedoch ein anderer Platz weiter im Osten gewählt, an dem Seen und Sümpfe besseren Schutz vor Überfällen boten. Diese Ansiedlung existierte spätestens ab 1364, als sie vom ermländischen Bischof Johann II. Stryprock das Stadtrecht erhielt. Ihre weitere Geschichte verlief gleichermaßen wechselhaft. So wurde das neue Wartenburg [Barczewo] dreimal zerstört. Erstmals geschah dies im Hungerkrieg von 1414 und die nächsten beiden Male anlässlich der verheerenden Stadtbrände von 1544 und 1798.

Außerdem entstand unweit der niedergebrannten Reste der ersten Siedlung namens Wartenburg ein kleines Kirchdorf, das fürderhin Alt-Wartenburg [Barczewko] hieß. Dessen erste urkundliche Erwähnung erfolgte am 5. Februar 1369. Und am 9. Juli 1376 gewährte Bischof Heinrich III. Sorbom dem dortigen Schulzen Heinrich von Blankensee die selben Rechte wie den Gründern des Vorgängerortes. In der Folgezeit erlitt Alt-Wartenburg ebenfalls noch viel Ungemach und stand in zwei Fällen vor dem kompletten Untergang. Zunächst wurde es im Verlaufe des Reiterkrieges zwischen dem Deutschen Orden und Polen von 1519 bis 1521 sowie dann neuerlich 1656 während des Zweiten Nordischen Krieges fast dem Erdboden gleichgemacht.

Weil die beiden Neugründungen an anderer Stelle erfolgten als am Ort der 220 mal 160 Meter großen einstigen Altstadt von Wartenburg, blieb das Ruinengelände seit 1354 weitgehend unberührt. Deshalb gilt es unter Archäologen nun als „Zeitkapsel“ beziehungsweise gar „ermländisches Pompeji“. Dessen gründliche Erforschung begann 2013 anlässlich eines ersten gemeinsamen Projektes der Universitäten Danzig und Göttingen. Dem schloss sich 2022 die nächste Grabungskampagne des Instituts für Archäologie der Universität Danzig unter Einbezug von Spezialisten aus der Bundesrepublik, Dänemark und den USA an, die noch bis 2024 dauern soll und von Arkadiusz Koperkiewicz geleitet wird.

Ruinengelände blieb unberührt
Im Rahmen dieses neuerlichen Projektes unter der nunmehrigen Bezeichnung „Barczewko – Mit Feuer geschriebene Geschichte. Eine verlorene mittelalterliche Stadt“ gelangen in den letzten Monaten zahlreiche bemerkenswerte Funde. Dazu zählen unter anderem menschliche Überreste mit DNA-Spuren, Armbrustprojektile sowie diverse Waffen und ein Hort von rund 150 Münzen der damaligen Zeit. Diese aus dünnem Silberblech bestehenden Geldstücke, sogenannte Brakteat-Pfennige, stammen überwiegend aus den Prägestätten in Thorn und Elbing.

Koperkiewicz bezeichnete das Konvolut als „wertvoll, weil es wahrscheinlich alle Arten von Kleinmünzen enthält, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Ermland in Umlauf waren“. Darüber hinaus erhoffen sich die Archäologen von den Ergebnissen ihrer diesjährigen Grabungskampagne weitere Aufschlüsse über die ethnisch-soziale Zusammensetzung der Bevölkerung des damaligen Wartenburg sowie tiefere Einblicke in die Details der Frühphase der Urbanisierung Ostmitteleuropas beziehungsweise der Stadtentstehung im Mittelalter allgemein.


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