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Zeitgeschichte

Hitler in den Augen einer Amerikanerin

Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten traf die Journalistin Dorothy Thompson im Jahr 1932 den künftigen Diktator in Berlin

Manuela Rosenthal-Kappi
09.09.2023

Ein Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten traf die US-amerikanische Star-Reporterin Dorothy Thompson Adolf Hitler im Hotel Kaiserhof in Berlin. Auf diese Möglichkeit hatte sie sieben Jahre lang warten müssen, da er Ausländern, zumal ausländischen Journalisten, zutiefst misstraute. „I saw Hitler!“ lautete der Titel ihres Interviews, das 1932 erstmals in „Hearst's International – Cosmopolitan“ erschienen ist.

Thompson war vor dem Gespräch überzeugt, dass sie den künftigen Diktator Deutschlands treffen würde, doch „keine 50 Sekunden später war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war. So lange dauerte es etwa, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes zu ermessen, der die Welt in Atem hielt.“ Das Interview verlief ziemlich schwierig, da Hitler so sprach, als wende er sich an die Massen. Er erschien der Journalistin gesichtslos, seine Miene glich einer Karikatur. Er war redselig und wirkte unsicher auf sie. Dennoch entdeckte sie einen gewissen Charme. Sie sah in ihm einen Schauspieler, der sich nach Belieben verändern konnte, um „einschlägige Gefühle auszudrücken“.

Thompson versucht in ihrem Bericht, die Psychologie des Faschismus zu umreißen. Sie analysiert die Propaganda Hitlers, der es versteht, die Minderwertigkeitsgefühle des kleinen Mannes zu nutzen. Eine Mitschuld für den Aufstieg Hitlers gibt sie den Alliierten, „weil sie Deutschland ... einen törichten, unmenschlichen und nicht umsetzbaren Frieden aufzwangen, den keine Nation mit Selbstachtung auf dieser Welt länger hinnehmen würde, als es Zeit und Kraft braucht, ihn zu brechen“.

Als Thompson 1934 ein letztes Mal in Deutschland war, wurde sie als erste ausländische Journalistin ausgewiesen. Ihre Analyse hatte man ihr nicht verziehen. „Es ist beschämend und aufreizend, dass so dumme Frauenzimmer, deren Gehirn nur aus Stroh bestehen kann, das Recht haben, gegen eine geschichtliche Größe wie den Führer überhaupt das Wort zu ergreifen“, wütete Joseph Goebbels.

Die vorliegende deutsche Ausgabe von „I saw Hitler!“ wurde auf 130 Seiten erweitert und überarbeitet. Sie enthält zahlreiche Abbildungen, die in dieser Form 1932 bei Farrar & Rinehart in New York verlegt wurden. Sehr lesenswert ist auch das umfangreiche Nachwort des Herausgebers Oliver Lubrich, Professor an der Universität Bern. Darin beschreibt er unter anderem, wie Thompson für ihre Fehleinschätzung Hitlers zu Hause kritisiert wurde.

Dorothy Thompson: „Ich traf Hitler!“, DVB Verlag, Wien 2023, gebunden, 267 Seiten,26 Euro


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