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Abseits der Touristenhochburg Prag lassen sich viele kulturelle Schätze aus böhmischer und mährischer Vergangenheit entdecken
In Prag war es bis vor Beginn des Sommers regelrecht ruhig. Der von den Bewohnern gefürchtete „Overtourism“, also Massentourismus, blieb wegen der Pandemie aus. Doch inzwischen zieht es die Touristen wieder in hellen Scharen in die „Goldenen Stadt“, wobei ihr touristischer Horizont selten über die Metropole an der Moldau hinausreicht. Dabei sind in Mittel- und Ostböhmen sowie Mähren hochkarätige Kunst- und Kulturschätze zu entdecken, etliche haben Städten wie Kuttenberg [Kutná Hora] oder Leitomoschl [Litomyšl] den Weltkulturerbe-Titel eingebracht. Wir stellen sechs von ihnen vor.
Die Entdeckung des Silbervorkommens um 1260 war maßgeblich für den Aufschwung des böhmischen Königreichs verantwortlich. Bergleute zogen von überall her und stampften mitten im Nirgendwo eine Stadt aus dem Boden – rasch und planlos, und trotzdem mit einem grandiosen Ergebnis: Kuttenberg. Die böhmischen Könige ließen hier den berühmten Prager Groschen prägen, der eine Art „Dollar des Mittelalters“ wurde.
Der historische Stadtkern samt
St.-Barbara-Dom und der Kirche Mariä Himmelfahrt wurde 195 in die UNESCO-Weltkulturerbeliste aufgenommen. Im Kuttenberger Vorort Sedlec wurden die Knochen von über 10.000 Toten zu einem originellen Kapellenschmuck verarbeitet.
Im Mittelalter befand sich hier ein Friedhof, auf dem halb Europa beerdigt werden wollte. Der Aufschwung begann, als ein Abt die Erde vom Sterbeort Christi hierherbrachte. Im 16. Jahrhundert wurden die Gebeine exhumiert und in der Kapelle eingelagert. Im 19. Jahrhundert kaufte ein Adliger das Anwesen und kam auf die Idee, die Knochen als „Baumaterial“ zu verwenden.
Das Schloss von Leitomoschl ist eines der bedeutendsten Renaissance-Denkmäler in Tschechien. An der Außenfassade springen originelle Wandverzierungen ins Auge, die durch Abkratzen der oberen Putzschichten entstanden. Diese Dekorationstechnik mit dem Namen Sgraffito wurde in Italien erfunden, ist dann aber zu einer tschechischen Spezialität geworden. Im Innenhof des Schlosses findet alljährlich ein Opernfestival zu Ehren des Komponisten Friedrich Smetana statt, der 1824 in Leitomoschl geboren wurde und zum Begründer der tschechischen Nationalmusik wurde. Sein bekanntestes Werk ist „Die Moldau“ aus dem sinfonischen Zyklus „Mein Vaterland“.
Das Schloss birgt neben den üblichen Repräsentationsräumen ein Barocktheater, das samt Vorhängen und 16 Kulissensätzen fast original erhalten geblieben ist. Der Schritt in die Gegenwart ist auch hier nicht weit – und führt hinab in die Kellergewölbe, die der Künstler Olbram Zoubek mit ausdrucksstarken Skulpturen belebt.
Seit dem Jahr 2000 steht die Dreifaltigkeitssäule von Olmütz auf der UNESCO-Liste. Mit 35 Metern Höhe ist sie die größte freistehende Barockskulptur Mitteleuropas. Sie wurde zwischen 1716 und 1754 errichtet, um Gott für das Ende der Pest zu danken, die die Gegend heimgesucht hatte. Zur Weihung der Säule reiste Kaiserin Maria Theresia aus Wien an.
Sterbeglöckchen in Villa Tugendhat
Pest- und Mariensäulen sind in Mähren weit verbreitet, die von Olmütz ist aber wegen ihrer künstlerischen Qualität und Größe einzigartig. Die Stadt ist auch bekannt für den Olmützer Quargeln, einem Sauermilchkäse, der bereits seit
600 Jahren in der Region hergestellt wird und dem alljährlich ein großes Fest gewidmet ist.
Die Villa Tugendhat in Brünn gilt als Meilenstein der Architekturgeschichte, denn zum ersten Mal wurden hier riesige Glaswände und eine Stahlskelettkonstruktion im Wohnungsbau eingesetzt. Ihren Namen trägt sie nach dem Besitzer einer Brünner Textilfabrik Fritz Tugendhat, der dieses Juwel der funktionalistischen Zwischenkriegsarchitektur in den Jahren 1929 bis 1930 für seine Familie bauen ließ. Mies van der Rohe, der die Villa entwarf, gilt als einer der Väter der modernen Architektur. Später, in den USA, verhalf er dem verglasten Wolkenkratzer zu dessen Siegeszug.
In der Villa Tugendhat wurde auch das Sterbeglöckchen der Tschechoslowakei geläutet. Am 26. August 1992 fand hier ein Gipfeltreffen statt, bei dem die Trennung des gemeinsamen Staates der Tschechen und Slowaken beschlossen wurde. Die Delegation beider Länder traf sich in Brünn, weil die Stadt auf halber Strecke zwischen Prag und Bratislava liegt.
Teltsch [Telč] liegt im südlichen Teil der Böhmisch-Mährischen Höhe an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren und ist von allen Seiten von Gewässern umgeben. Der Marktplatz mit seinen bunten Häusern gilt als einer der romantischsten Orte des Landes, weshalb er wiederholt als Filmkulisse diente.
Teltschs Markenzeichen sind die prachtvollen Dachgiebel, die oft deutlich höher sind als die dahinter verborgenen Dächer. Entstanden ist diese Pracht durch eine Art Wettlauf unter den Bürgern, die ihre soziale Position durch die Giebelhöhe signalisieren wollten. Eine besondere Sehenswürdigkeit ist das Schloss mit dem englischen Park, das sich an der Nordseite des Platzes befindet.
Auf einem Hügel in Saar [Žďár nad Sázavou] befindet sich der Höhepunkt der Tätigkeit des Architekten Johann Blasius Santini-Aichel (1677–1723), eines der größten Künstler des mitteleuropäischen Barocks – eine Wallfahrtskirche auf dem Grünen Berg am Stadtrand. Sie verbindet gotische und barocke Stilelemente, was in Europa einzigartig ist. Gewidmet ist sie Johannes Nepomuk, den der böhmische König Wenzel IV. in die Moldau stürzen ließ – angeblich weil er nicht verraten wollte, was die Königin gebeichtet hatte.
In der Gegenreformation, als die Wallfahrtskirche entstand, wurde Nepomuk als Gegenfigur zum tschechischen Reformator Jan Hus zum Nationalheiligen erklärt. Die Wallfahrtskirche hat die Form eines fünfzackigen Sterns, unter seinen Strahlen sind fünf ovale und fünf dreieckige Kapellen eingesetzt. Die Stadt selbst ist nicht sonderlich sehenswert, da sie hauptsächlich aus Plattenbauten besteht.
• Für die Einreise nach Tschechien ist aktuell eine Online-Anmeldung (plf.uzis.cz) nötig. Für Ein- und Ausreise benötigt man ferner einen Covid-Negativtest oder Impf- beziehungsweise Genesenennachweis.