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Wie Friedrich der Große zum verehrten Namenspatron eines US-amerikanischen Nobelvorortes wurde
Wer von Philadelphia nach Westen fährt, vorbei an den alten Industrievierteln entlang des Schuylkill River, erreicht nach einer knappen halben Stunde einen Ort, der seit jeher bei Reisenden für ungläubige Blicke sorgt. Denn auf den Schildern steht zu lesen: „King of Prussia“ – also zu Deutsch: „König von Preußen“. Wie bitte? Geht's noch? Preußen? Und dazu auch noch der König? Mitten in den Vereinigten Staaten von Amerika? Mitten in den Weiten von Pennsylvania? Was um alles in der Welt hat ein amerikanischer Vorort – auch wenn er noch so schick, schön und gefühlt preußisch anmutet – mit jenem fernen Staat zu tun, der einst von Berlin und Potsdam aus regiert wurde? Wo Uniformen und Pickelhauben das Straßenbild prägten, wo preußische Disziplin herrschte und wo der ebenso schneidige wie gebildete König Friedrich der Große herrschte?
Die Antwort darauf ist ebenso kurios wie aufschlussreich, denn sie erzählt nicht nur die Geschichte eines wunderschönen Vorortes, sondern auch etwas über die Art, wie die USA bis heute gern mit fremden Mythen spielen, sie aufgreift, verwandelt und für die eigenen Bedürfnisse perfekt neu besetzt oder inszeniert. Und dies immer so, dass sich selbst jeder Ur-Preuße vom westlichen Rheinland bis in den hintersten Zipfel Ostpreußens irgendwie auch noch geschmeichelt fühlen kann. Die Kunst der Freundlichkeit, die wohl in diesem Zusammenhang nur den weltoffenen und stets superfreundlichen Amerikanern gelingt.
Die Wurzeln vom Ort King of Prussia reichen zurück ins frühe 18. Jahrhundert, als primär walisische Quäker in der noch dünn besiedelten Landschaft des heutigen Montgomery County im US-Bundesstaat Pennsylvania ihre Farmen anlegten. Unter ihnen befand sich auch die Familie Rees, die allerdings aus dem tiefsten Preußen stammte und sich den Quäker-Siedlern nur angeschlossen hatte, um sich im Schutz der Gemeinschaft ein neues Leben aufzubauen. Und so zimmerte die preußische Familie sich ein ebenso schlichtes, wie stabiles und vor allem überaus zweckdienliches Farmhäuschen. Ein Cottage, das aufgrund seiner auffallend soliden Bauweise (waschecht preußisch) und unangepassten Architektur mit Erdgeschoss und einer oberen Etage sowie gemauerten Seitenwänden – im Gegenteil zu den schlichten, einfachen Hütten der walisischen Quäker – sofort auffiel und beeindruckte.
Über die kommenden Jahre wandelte Familienvater Rees das Gebäude von einem Farmwohnhaus mehr und mehr in ein Gasthaus um. Denn einerseits waren die Erträge aus der Landwirtschaft für die Familie eher karg, insbesondere weil die Preußen aus Brandenburg zwar handwerklich geschickt, aber keine versierten Landwirte waren. Andererseits aber waren es vor allem die vielen Schaulustigen, die sich immer wieder dieses etwas andere Haus ansahen, dabei gelegentlich um ein Glas Wasser baten oder bei ihren Stopps fragten, ob sie ihre Pferde tränken dürften. Dieser Umstand entzündete bei den Rees eine Idee. Warum daraus kein Geschäft machen, dachte sich Vater Rees.
Ein Gasthaus als Keimzelle
So wurde im Jahr 1769 aus dem einstigen Wohn- und Farmhaus eine funktionale Durchreisestation. Gelegen an einem markanten Punkt, der für Fuhrwerke und Reiter nur eine Tagesreise von der Stadt Philadelphia bedeutete. Hier kehrte man ein, ließ die Pferde verschnaufen, ließ sie saufen, und sich selbst gönnte man ebenfalls ein Pint Gebrautes, einen hausgebrannten Whiskey – manchmal auch ein paar Gläschen mehr – oder einen Teller deftigen Eintopf. Das Gasthaus wurde in seiner Umgebung immer beliebter und sollte bald zur Keimzelle eines außergewöhnlichen Orts mutieren.
Denn das Rast-, Trink- und Speiselokal sollte letztendlich auch dafür verantwortlich werden, dass dem künftigen Vorort ein doch eher außergewöhnlicher Name verpasst wurde.
Außergewöhnlich? Ja, weil die Gastwirtschaft fortan den Namen „King of Prussia Inn“ erhielt. Na, auf diese Idee muss man erst einmal im fernen Philadelphia kommen. Weshalb also diese Bezeichnung? Die Historiker streiten mal wieder, denn es gibt verschiedene, jedoch plausible Erklärungsversuche:
Zum einen sind manche der Überzeugung, das Gasthaus sollte Friedrich den Großen, König von Preußen, der in Europa als militärisches Genie galt und in Amerika einen besonderen Ruf genoss, ehren. Dies aufgrund der Tatsache, weil er als Verbündeter Großbritanniens im Siebenjährigen Krieg auf der selben Seite kämpfte. Insofern lag die spezielle Namensgebung für das immer beliebter werdende Gasthaus nahe.
Andererseits vermuten einige Historiker, der Name sollte schlicht und einfach Reisende anlocken und daher halt exotisch klingen. Deshalb hing über dem Kamin – und das ist eine bestätigte Tatsache – des Gastro-Betriebs ein Porträt des Alten Fritz. Diesem Gemälde samt Motiv soll der Wirt jeden Tag mit einem zackigen Militärgruß am Morgen und am Abend gehuldigt haben. Ob das allerdings wirklich stimmt oder nur in der Erinnerung der Nachfahren als Wunschtraum existierte, bleibt bis heute ungewiss.
Ein Kult setzt sich durch
Am ehesten aber dürfte folgende Überlieferung stimmen, da sie sich belegen lässt: Die Familie Rees, die einst den Grundstein für das Gasthaus inklusive der Pferdestation legte, war nicht nur preußischer Herkunft, sondern auch treuer inniger Anhänger des Preußenkönigs. Friedrich der Große war ihr König. Aufzeichnungen zeigen, dass sich die Rees ein Stück weit schämten, dass sie ihre Heimat verlassen hatten, um sich in der neuen Welt ein „besseres Leben“ aufzubauen. Waren sie doch ihrem König treu ergeben. Um diesem Umstand Ausdruck zu verleihen, aber auch um sich deutlich von den benachbarten Walisern abzuheben und um als gläubige Protestanten nicht mit Quäkern in einen Glaubenstopf gesteckt zu werden, nannte Vater Rees sein Lokal danach, was er am meisten vermisste, nämlich seinen „König von Preußen“.
Fest steht außerdem: Aus dem Gasthaus wurde innerhalb kürzester Zeit ein Ortsname und aus dem Ortsnamen ein Kuriosum, das bis heute wirkt. King of Prussia blieb lange Zeit ein ländliches Fleckchen, geprägt von Farmland, Mühlen und einfachen Häusern. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich dies langsam, aber stetig: Erste Straßenkreuzungen brachten mehr Verkehr, was wiederum zu mehr Besuchern führte, von denen so mancher sich im Ort ansiedeln wollte. Und selbst das Postamt übernahm offiziell den ungewöhnlichen Namen der Gaststätte. Der Name verselbstständigte sich mit der Zeit. Sprach man von der Ortschaft, wo die berühmte Schankwirtschaft betrieben wurde, sprach man von „King of Prussia“. Erwähnte man das Postamt, sprach man vom „King of Prussia“. Sprach man von einem Ausflug raus aus Philadelphia, fuhr man nach „King of Prussia“
– oder man verwendete die mittlerweile gängige Abkürzung KOP. Und so war es nur eine Frage der Zeit, dass die Ortschaft auch offiziell den Namen „King of Prussia“ erhielt. Geboren war eine Siedlung mit ungewöhnlich preußischer Attitüde.
Ort mit adliger Attitüde
Dann kam das 20. Jahrhundert. Im Ersten Weltkrieg überlegten manche allerdings, ob man angesichts der Feindschaft mit Deutschland das Örtchen nicht lieber umbenennen sollte. Doch der Klang war schon zu eigen, zu etabliert, um ihn wieder preiszugeben. Also blieb es bei „König von Preußen“.
In den folgenden 20er Jahren erfolgte der große amerikanische Vorortskult. Der Bau von Highways – allen voran der Pennsylvania Turnpike, die US 202 und der Schuylkill Expressway – verwandelte das verschlafene Dorf plötzlich in einen Knotenpunkt der Moderne. Riesige Parkplätze, Büroparks, Wohnsiedlungen: King of Prussia wurde zur „Edge City“, die nicht aus einem gewachsenen Stadtkern stammte, sondern aus Verkehrsknoten, Konsum und Gewerbe herauswuchs. Symbol dieses Wandels ist bis heute die „King of Prussia Mall“ – eine gigantische Einkaufswelt, die zu den größten der USA gehört. Mit drei Millionen Quadratfuß Verkaufsfläche ist sie weniger ein Einkaufszentrum als vielmehr ein städtebauliches Statement: quasi ein Königreich des Konsums, das dem preußischen König im Namen die Ehre erweist.
So wirkt dieser Name wie ein heimlicher Zauber, der den Ort mit einer Aura versieht, die sonst kaum ein Vorort hat. Amerikaner lieben solche exotischen Anklänge: Ein bisschen Europa, ein bisschen Historie, ein Hauch von alter Welt – ohne wirklich ihre Last tragen zu müssen. „King of Prussia“ klingt erhaben, stramm, fast militärisch. Wer hier wohnt, lebt nicht in „Upper Merion Township“, sondern in einem Ort, dessen Name Respekt verlangt. Dabei hat der Alltag vom Gefühl her leicht adlige Züge, gehört man doch hier zu den etwas privilegierteren Bewohnern. Man lebt in schicken, gepflegten Reihen- oder Doppelhäusern sowie modernen Apartments, man fährt mit dem SUV zur Mall, man arbeitet in den umliegenden Life-Sciences-Unternehmen oder pendelt nach Philadelphia.
Doch es gibt auch jenen stillen Rest, der an die Ursprünge erinnert. Die alte „King of Prussia Inn“-Gastwirtschaft etwa wurde in den 1990er Jahren wegen einer Straßenverlegung sorgfältig abgetragen und an anderer Stelle wieder aufgebaut – ein Symbol dafür, dass man seine Wurzeln nicht vergessen will. Und so steht heute mitten im Asphaltmeer des amerikanischen Suburbia ein Relikt aus dem 18. Jahrhundert, das an den sonderbaren Geburtsakt dieses Orts erinnert.
Der Name verpflichtet
Doch was ist eigentlich preußisch an King of Prussia, außer dem Namen? In der Namensgebung liegt ein gewisses Sinnbild. Denn Preußen, das war in der amerikanischen Wahrnehmung des 18. Jahrhunderts weniger ein Land als vielmehr ein Mythos: Es stand für Disziplin, Stärke, seit General von Steuben auch Widerstand gegen England leistete. Friedrich der Große war ein „Soldatenkönig“, dessen Name in den Kolonien Bewunderung hervorrief. Dass sein Bild über einem Kamin in einer Kneipe auftauchte, um die herum fast nur walisische Quäker lebten, wirkt fast wie ein kurioser Scherz der Geschichte. Aber es zeigt, wie sehr die USA immer schon im Spiegel fremder Kulturen ihre eigenen Erzählungen suchten.
Heute ist King of Prussia ein prosperierender Vorort mit über 20.000 Einwohnern. Die Immobilienpreise sind hoch, die Schulen gelten als gut, die Nähe zu Philadelphia lockt Berufspendler. Gleichzeitig hat der Ort gelernt, sein Image nicht allein der gigantischen Shopping-Mall zu überlassen. Parks wurden angelegt, ein modernes „Town Center“ bringt urbanes Flair in die Suburbia, und die Business Improvement District-Initiative sorgt für Planung und Marketing. Die Wirtschaft floriert: Besonders Unternehmen der Pharma- und Biotechnologie haben hier ihre Standorte. In der Summe ergibt das einen Vorort, der ökonomisch stark und kulturell mit einem ungewöhnlichen Namen samt Geschichte wirkt, die ihn aus der grauen Masse herausheben.
Kurios ist auch die Sprache. Die Einheimischen nennen ihren Ort schlicht „KOP“, gesprochen „Kingaprusha“, was das Preußische endgültig amerikanisiert. Und so lebt man im Schatten eines Namens, der mehr mythologische Projektion als Realität ist. Vielleicht liegt genau darin der Charme. Es ist kein Ort, der sich preußischer Tugenden rühmt oder deutsche Kultur pflegt. Aber er trägt einen Namen, der eine ganze Welt in sich trägt. Beinahe wie ein ironisches Augenzwinkern der Geschichte. King of Prussia ist dafür ein glänzendes Beispiel: ein Vorort, der den Mythos eines preußischen Königs trägt und doch ein typisch amerikanisches Gesicht zeigt. Ein Ort, der in seinem kuriosen Namen mehr Weltgeschichte enthält, als man auf den ersten Blick glauben möchte. Irgendwie ist King of Prussia damit mehr Völkerfreundschaft als man auf den ersten Blick oder beim ersten Hinhören vermuten möchte.