Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Wer war der Vorsitzende des Gesamtrussischen Zentralen Exekutivkomitees?
Nach der sowjetischen Annexion des nördlichen Teils von Ostpreußen wurde die einstige Provinzhauptstadt Königsberg am 4. Juli 1946 in Kaliningrad umbenannt (siehe auch PAZ Ausgabe 26). Diesen Namen trägt sie noch heute. Wer aber war Michail Iwanowitsch Kalinin, der auf diese Weise zu Ehren kam?
Am bekanntesten ist der Umstand, dass Kalinin vom 30. März 1919 bis zum 30. Dezember 1922 als Vorsitzender des Gesamtrussischen Zentralen Exekutivkomitees der Sowjets der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) und danach bis März 1946 als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken fungierte, was ihn zum formellen Staatsoberhaupt des bolschewistischen Russland beziehungsweise der UdSSR machte.
Sohn eines Bauern
Dabei war dem am 19. November 1875 in Werchnjaja Troiza geborenen Sohn eines Bauern dieser Aufstieg ganz sicher nicht in die Wiege gelegt. Aber seine politische Karriere, die 1896 begann, führte ihn stufenweise in immer größere Höhen, was vor allem aus der ebenso aktiven wie erfolgreichen Tätigkeit für die illegale antizaristische Presse resultierte. So avancierte Kalinin nach der bolschewistischen Revolution von 1917 zum Vorsitzenden des Stadtsowjets von Petrograd. Und dann kam der März 1919, in dem ihn die Delegierten des VIII. Parteitages der Kommunistische Partei Russlands zunächst zum Mitglied des Zentralkomitees der KPR(B) wählten und dann auch noch an die Spitze des neuen russischen Staates stellten. In dieser Position hätte Kalinin nach dem Tode Lenins versuchen können, sich zum Parteichef und wahren Machthaber im Lande aufzuschwingen.
Doch er ließ lieber Stalin den Vortritt, dem er geradezu hündisch ergeben war. Das blieb sogar so, als Stalin in den 1930er Jahren den Großen Terror entfachte und die Ehefrau Kalinins in ein Straflager eingewiesen wurde. Deshalb gehörte er auch zu den ganz wenigen Mitgliedern des Politbüros von 1931, die sämtliche „Säuberungen“ in der Zeit danach überlebten. Als „Papa Kalinin“ schließlich im März 1946 mit 70 Jahren aus dem Amt schied, geschah dies auf eigenen Wunsch. Und sein Tod am 3. Juni des selben Jahres war die Folge einer Krebserkrankung und keines Erschießungsbefehls.
Aufgrund von Kalinins extremer Willfährigkeit gegenüber Stalin, welche vor allem aus dem Wunsch resultierte, die mit der Rolle des sowjetischen Staatsoberhauptes verbundenen Privilegien bis zur Neige auskosten zu können, wurden ihm neben der Umbenennung Königsbergs auch noch zahlreiche weitere Ehrungen zuteil: Beispielsweise hieß die russische Oblast Twer zwischen 1931 und 1990 Oblast Kalinin, und von 1938 bis 1995 gab es auch eine Stadt bei Moskau namens Kaliningrad. Dazu kamen mindestens fünf Dörfer, verteilt über ganz Russland, und mehr als 2000 Straßen, die Kalinins Namen trugen oder noch immer tragen. Des Weiteren wurde 1958 ein sowjetisches Kreuzfahrtschiff auf „Michail Kalinin“ getauft.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stellte sich freilich heraus, dass der so intensiv Gewürdigte nicht nur ein rückgratloser Gefolgsmann Stalins gewesen war, sondern auch für die Verbrechen des Stalinismus mitverantwortlich zeichnete. Kalinin gehörte zu den Unterzeichnern der berühmt-berüchtigten Vorlage 794/B des damaligen UdSSR-Geheimdienstchefs Lawrenti Beria vom 5. März 1940, in der die Erschießung von mehr als 20.000 polnischen Offizieren und Intellektuellen im Wald von Katyn, bei Mednoje und im Gefängnis von Charkow angeregt wurde. Genau wie Stalin und die Politbüromitglieder Kliment Woroschilow, Wjatscheslaw Molotow, Anastas Mikojan und Lasar Kaganowitsch gab auch Kalinin mit einem handschriftlichen „Dafür“ grünes Licht für die Mordaktion.
Warum muss Königsberg noch immer den Namen eines Verbrechers tragen?
Ebenso unterschrieb er zwischen 1941 und 1944 die Erlasse „Über die Umsiedlung der Deutschen aus dem Wolgagebiet“, „Über die Auflösung des autonomen Gebiets der Karatschaier und die administrative Neuordnung ihres Territoriums“, „Über die Auflösung der Kalmückischen ASSR und die Einrichtung des Astrachaner Gebiets innerhalb der RSFSR“, „Über die Auflösung von Tschetscheno-Inguschetien und die administrative Neuordnung des Territoriums“ sowie „Über die Umsiedlung der Balkaren aus Kabardino-Balkarien und die Umbenennung von Kabardino-Balkarien in Kabardinien“. Dadurch schuf Kalinin die Grundlage für die Entwurzelung ganzer Völker, die der Oberste Sowjet der UdSSR am 14. November 1989 in einer Deklaration als „ungesetzliche und verbrecherische Verfolgung“ einstufte. Dieselbe Einschätzung findet sich im RSFSR-Gesetz „Über die Rehabilitierung der verfolgten Völker“ vom 26. April 1991 beziehungsweise einer Verordnung des Obersten Sowjets der UdSSR aus demselben Jahr, mit der die von Kalinin unterzeichneten Erlasse nunmehr auch ganz formell außer Kraft gesetzt wurden.
Kalinin war also selbst nach spätsowjetischer beziehungsweise postkommunistischer russischer Auffassung ein Verbrecher. Daraus ergibt sich die naheliegende Frage, warum Königsberg trotzdem immer noch seinen Namen tragen muss.
Urs Arktos am 06.08.21, 12:50 Uhr
So wie Stalin sich während des "Grossen Vaterlaendischen Krieges" plötzlich wieder altrussischer Zarenherrlichkeit entsinnte, um das Volk zu patriotisieren, so werden heuer Stalin und Konsorten für
solche gewissen Zwecke in der Hinterhand behalten. Auch solch ein Wesen wie Kalinin gehört der Vollständigkeit halber offensichtlich dazu.
Jörg Neubauer am 06.08.21, 11:33 Uhr
Ja mich wundert es schon lange. Vom Verbrechen kalinins habe ich von meinen russischen Freunden erfahren, die da meinten Kaliningrad entweder in Königsgrad oder in Königsberg Zurück zu benennen.
sitra achra am 05.08.21, 10:15 Uhr
Dieser Kalinin ist dieser verbrecherische Lump, als den ich ihn in einem früheren Beitrag bereits beschrieben habe. Die ausführliche Vita dieses Schurken, der mit Hitler, Stalin, Roosevelt und Churchill auf eine Stufe gestellt werden muss, ist eine interessante Bereicherung.
Mich wundert es nicht, dass er in der RF noch viele Verehrer hat. Die Russen empfinden sich bis heute als omnipotent und Verbrechen der "naschi" werden mit leichter Hand unter den Teppich gekehrt. Dafür erheben sie aber in arrogant mahnender Weise den moralischen Zeigefinger wie Lawrow, um andere zu diffamieren.
Aber selbst jammern sie über ihre eigenen Verluste, die sie sich zumeist durch den Stalinismus selbst zugefügt haben. Unerträgliche Heuchelei!