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Königsbergs Badewannen

Nidden, Cranz, Rauschen und Co. – die sonnenverwöhnten Seebäder Ostpreußens

Dagmar Jestrzemski
08.09.2020

Zu den populären Seebädern Ostpreußens gehörte im hohen Norden der Fischerort Nidden [Nida], Kreis Memel, auf der Kurischen an der Poststraße von Königsberg nach Memel. Der Ortsname ist prußischen Ursprungs und hat die Bedeutung „fließen, auf- und abtauchen“. Heute ist die Ortschaft mit ihrer reizvollen Lage zwischen Haffküste, Wanderdünen und Wald das beliebteste Seebad der Republik Litauen und ein wichtiges touristisches Ziel des Staates.

Nidden ist Sitz der Gemeindeverwaltung der Kurortgemeinde Neringa auf der Kurischen Nehrung. Die 98 Kilometer lange Halbinsel an der Nordküste des Samlands ist seit 2000 als UNESCO-Weltnaturerbe gelistet. In sowjetischer Zeit war die Nehrung bis 1961 militärisches Sperrgebiet. Seit 1990 gehört sie zur Hälfte wieder zu Litauen wie schon von 1923 bis zum Jahr 1939, als das Memelgebiet aufgrund eines deutschen Ultimatums an Litauen wieder an das Deutsche Reich übergeben wurde. Die südliche Hälfte gehört heute zum Königsberger Gebiet.

Schon bald nach Wiedererlangung der litauischen Unabhängigkeit 1990 beflügelte der Kur- und Urlaubstourismus den Wieder- und Neuaufbau des Ortes mit seinen 1500 Einwohnern. Der Anstrich der kleinen und größeren Holzhäuser ist in den typischen Farben Kobaltblau, Titanweiß und Rostrot gehalten. Neben der reizvollen Architektur hat die grandiose Landschaft der Kurischen Nehrung seit dem 19. Jahrhundert auch viele Künstler und Schriftsteller angezogen.

Touristen aus ganz Europa besuchen Nidden auf ihrer Baltikum-Rundreise. Erholung suchende Ostseeurlauber kommen überwiegend aus Litauen und Russland. Nach Nidden gelangt man mit der Fähre von Memel [Klaipeda], aber auch die Anfahrt mit dem Auto oder im Reisebus ist möglich. Unterkunft bieten Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen und gegebenenfalls der Campingplatz.

Für deutsche Touristen ist der Besuch des Sommerhauses von Thomas Mann fester Programmpunkt, heute ein deutsch-litauisches Kulturzentrum. In dem reetgedeckten hölzernen Fischerhaus verbrachte der weltbekannte Autor und Nobelpreisträger von 1930 bis 1932 die Sommermonate, bevor er 1933 in die USA emigrierte. In Nidden findet jedes Jahr ein Thomas-Mann-Festival mit Lesungen, Diskussionen und Konzerten statt.

Das „Sotschi des Nordens“

Dank der Förderung des Hotelbesitzers und Kunstsammlers Hermann Blode (1862–1934) entwickelte sich Nidden Ende des
19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Treffpunkt und Arbeitsort zahlreicher Maler und Schriftsteller. Nach Lovis Corinth zog es unter anderem die Brücke-Maler Max Pechstein und Karl Schmitt-Rottluff an die baltische Ostseeküste. Ab 1900 vergab die Kunstakademie Königsberg sogenannte Blode-Stipendien. In dem ehemaligen Hotel von Blode befindet sich ein Dreisternehotel, das ein kleines Museum zur Geschichte der Künstlerkolonie Nidden unterhält.

An der 115 Kilometer langen Nordküste des Samlands im russischen Teil Ostpreußens ist die touristische Infrastruktur der meisten Ostseebäder derzeit noch im Entstehen begriffen und erreicht noch längst nicht westeuropäische Standards. Einst wie heute können die Königsberger mit der Bahn – „Elektritschka“ nennt man sie heute – ihrer Stadt entfliehen und binnen einer halben Stunde das Strandleben an der See genießen.

Die beliebtesten „Badewannen“ der Königsberger waren und sind die nur 30 und 35 Kilometer von der Stadt entfernten Kur- und Badeorte Cranz [Selonogradsk] und Rauschen [Swetlogorsk] an der Bernsteinküste. Rauschen mit seiner Steilküste und den wildromantischen Schluchten hatte einst den Status eines „Volksbads“, während Cranz die komfortableren Einrichtungen bot und sich früh als Treffpunkt der „besseren Gesellschaft“ etablierte.

Als eine von wenigen Städten Ostpreußens überstand Rauschen den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet, was zur Folge hatte, dass Cranz und Rauschen ihre Spitzenplätze als beliebteste Bade- und Luftkurorte Ostpreußens tauschten. Rauschen wurde in der Sowjetzeit zum „Sotschi des Nordens“.

Der Name Rauschen ist prußischen Ursprungs und bedeutet „feuchtes, sumpfiges Tal“. Bereits 1820 wurde das Seebad im weiter landeinwärts gelegenen Dorf gegründet. Der Ortsteil auf der Düne, ein ehemaliges Fischerdorf, wurde erst nach der Eröffnung der Anschlusstrecke der Samlandbahn in Richtung Düne im Jahr 1906 weiter ausgebaut. Seitdem verlagerte sich das Zentrum auf dieses Gelände, auf dem zahlreiche Hotels und Villen entstanden.

Zu den Sehenswürdigkeiten gehörte die 1912 in Betrieb genommene Drahtseilbahn an der Steilküste, damit die Badegäste bequem den Höhenunterschied von 43 Metern zwischen dem Ort und dem Strand überwinden konnten. Prominente Besucher wie Käthe Kollwitz, Thomas Mann, Hermann Sudermann und Ernst Wichert genossen hier die Sommerfrische sowie ein breit gefächertes Kultur- und Sportangebot.

Seit den 60er Jahren war Rauschen Urlaubsort der Parteifunktionäre und das beliebteste Seebad der Russen in der Oblast. Während im Wohn- und Geschäftsviertel Rauschen-Ort [Swetlogorsk-I] zahlreiche Plattenbauten entstanden, blieb das architektonische Erbe im Ortsteil Rauschen-Düne [Swetlogorsk-II] größtenteils unverändert erhalten. Beide Ortsteile haben eigene Bahnhöfe. Das Seebad pflegt sein historisches Flair und setzt seit Endes des Kalten Krieges auch auf Urlaubsgäste aus dem Westen.

Rauschen ist Heilbad für Erkrankungen des Herz-, Kreislauf- und Nervensystems. Die Sanatorien, Hotels und Restaurants sowie der Park mit dem Teich um das Kurzentrum am alten Wasserturm wurden instandgesetzt. Viele herrschaftliche Villen im Kiefernwald sind erhalten, und neue Villen im alten Stil wurden errichtet. In Rauschen-Düne findet das Strand- und Kurleben statt.

Russischer Geldadel bevölkert Cranz

Zu den größten Kurhäusern zählen das Sanatorium Jantarnyj Bereg, das Militärsanatorium im ehemaligen Kurhaus, und das „Swetlogorsk“, ehemals Hotel Hartmann. Die Seepromenade und der nun wesentlich schmalere Strand sind über eine breite Treppe, mit dem Fahrstuhl im Turm oder einer Seilbahn im westlichen Abschnitt erreichbar.

Von den zahlreichen Seebädern an der ostpreußischen Ostseeküste unterschied sich Cranz durch seinen Status als „königliches Seebad“, den es von seiner Gründung 1816 bis 1895 besaß, und von den übrigen samländischen Badeorten an der Steilküste durch seine Lage auf niedrigen Uferhügeln. Bereits im Jahr 1785 wurde das kleine Fischerdorf Cranzkuhren mit Sitz eines königlichen Forstamts als „königliches Fischerdorf“ in den Urkunden erwähnt. Der Name besagt, dass hier einst Kuren am Strand siedelten.

1816 und 1817 entstanden auf Anregung des Arztes Friedrich Chr. Kessel ein Kalt- und ein Warmbadehaus, sehr viel später, 1884, die Moorbäder. Man sagte der Gegend die größte Heilwirkung von allen Badeorten nach. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Cranz immer mehr vom ostpreußischen Adel frequentiert, während die Bürgerlichen Rauschen und Neukuhren als Sommerfrische bevorzugten.

Das änderte sich nach dem Bau der Chaussee 1852 und vollends nach dem Anschluss an das Eisenbahnnetz 1884. Cranz entwickelte sich zu einem mondänen, stark frequentierten Kurbad. Es entstanden große Hotels, zahlreiche Pensionen, die Strandpromenade und ein Park, in dem mehrmals täglich Kurkonzerte gegeben wurden. Bei dem Publikum herrschte ein ausgeprägtes Standesbewusstsein. Die Hautevolee der Sommergäste vergnügte sich mit Soireen, Whistspiel und ließ sich mit Theateraufführungen unterhalten. Für Sportliebhaber organisierte die Badeverwaltung schon vor dem Ersten Weltkrieg Pferde- und Hunderennen, ein Tennisturnier, Tontaubenschießen und Seefeuerwerke.

Während des Zweiten Weltkriegs verblasste der noble Charakter des Seebads. Das vornehme Publikum blieb aus. In der Sowjetzeit wurde Cranz als Kurort weitergeführt. Anstelle der hölzernen Flanierstrecke wurde eine breite Betonpromenade am Strand angelegt, der trotz erneuerter Schutzbauwerke zusehends schmaler wird. Große Teile der alten deutschen Bebauung im Seebäderstil sind erhalten geblieben, aber die Bausubstanz verfiel lange Zeit. Erst seit den 2000er Jahren wurde die Instandsetzung der Gebäude forciert. Inzwischen errichten in Cranz reiche Moskauer ihre Privathäuser. Statt alten ostpreußischen Adels sonnt sich nun russischer Geldadel in den Seebädern.


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