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Boeing-Krise

Koloss in schweren Turbulenzen

Minderwertige Ersatzteile, fehlende Lagerbestände und unerfahrene Fachkräfte mit dramatischen Folgen

Wolfgang Kaufmann
27.05.2024

Viele Jahre lang stand der Name Boeing für technischen Fortschritt und Sicherheit auf höchstem Niveau. Deshalb sind heute weltweit noch mehr als 10.000 Passagierflugzeuge aus den Werken der Boeing Company im Einsatz und machen knapp die Hälfte der Flotte aller Fluggesellschaften rund um den Globus aus.

Allerdings sorgten Boeing-Maschinen in letzter Zeit zunehmend für Negativschlagzeilen. Der Reigen begann am
29. Oktober 2018 mit dem Absturz einer nagelneuen Boeing 737 Max 8 der indonesischen Gesellschaft Lion Air mit
189 Toten. Dann stürzte am 10. März 2019 eine Maschine des gleichen Typs, welche der Ethiopian Airline gehörte, kurz nach dem Start in Addis Abeba ab, wobei nochmals 157 Menschen starben. In beiden Fällen lag die Ursache im Versagen des computergesteuerten Trimmsystems „Maneuvering Characteristics Augmentation System“ (MCAS), dessen Existenz Boeing in den Bedienhandbüchern für die Piloten verschwiegen hatte. Die Folge waren weltweite Flugverbote für die 737 Max und ein Auslieferungsstopp, der zu einem Konzern-Quartalsverlust von 2,9 Milliarden US-Dollar führte, dem bis dahin größten in der Firmengeschichte von Boeing.

Folgenschwere Ausfälle
In der Zeit danach kam es zu etlichen weiteren, glücklicherweise weniger folgenschweren Pannen. Dazu gehörte ein spektakuläres Vorkommnis während des Alaska-Airlines-Fluges 1282 am 5. Januar 2024. Damals verlor die Boeing 737 Max 9 mit dem Kennzeichen N704AL einen ihrer Notausstiegsverschlüsse. Verantwortlich hierfür war der Bruch mehrerer Befestigungsbolzen nach nur 510 Einsatzstunden. Infolgedessen eröffnete das Justizministerium der Vereinigten Staaten im März ein Ermittlungsverfahren gegen den Flugzeugbauer.

Kurz darauf ereigneten sich neue Zwischenfälle: Mal löste sich während des Starts einer Boeing 777 ein Rad, und mal brannte das Triebwerk einer Boeing 737. Andere Maschinen von Boeing verloren Teile der Triebwerksverkleidung oder mussten ihren Flug abbrechen, weil es bedrohliche Geräusche an Bord gegeben hatte. Ebenfalls wurden Notlandungen wegen Fahrwerksdefekten und der Brand einer Boeing 737 im Senegal gemeldet. Allein im März 2024 lag die Zahl derartiger Pannen bei 14.

Im Zuge der Untersuchungen durch das Justizministerium und die parallel eingeschalteten US-Behörden National Transportation Safety Board (NTSB) und Federal Aviation Administration (FAA) berichteten gleich vier Whistleblower über bedenkliche Zustände im Boeing-Konzern und dessen Zulieferbetrieben wie Spirit AeroSystems.
Die Qualitätsmanager Joshua Dean, John Barnett, Sam Salehpour und Ed Pierson bemängelten vor allem grobe Montagefehler, hochriskante Verkürzungen von Kontrollverfahren und den Einbau minderwertiger Teile, um Produktionsverzögerungen bei Lieferproblemen zu vermeiden. Gleichzeitig erklärte Salehpour vor einem Untersuchungsausschuss des US-Senates zur Aufklärung der Sicherheitsprobleme bei Boeing, auf seine Beschwerden hin habe ihm das Management mitgeteilt, er solle „den Mund“ halten, sonst könne ihm etwas zustoßen. Und tatsächlich sind Dean und Barnett inzwischen tot: Ersterer starb – obzwar bislang kerngesund – am 30. April an einer mysteriösen Lungenentzündung und Letzterer schoss sich am 9. März selbst in den Kopf. So lautet zumindest die offizielle Version.

Profit geht vor Sicherheit
Die von den Whistleblowern enthüllten Zustände bei Boeing erklären Kritiker des Konzerns mit systemischen Schwächen, die auch bei anderen großen Firmen zu finden seien. So hätten nicht mehr die Ingenieure das Sagen, sondern auf Kostenreduzierungen erpichte Betriebswirtschaftler und Finanzvorstände. Daraus resultiere unter anderem der Abbau der Lagerbestände, der sich im Falle von Lieferkettenschwierigkeiten sofort negativ auswirke. Außerdem ersetze Boeing erfahrenes Fachpersonal gezielt durch schlechter bezahlte Berufseinsteiger.

Angesichts dessen fragen sich nun viele Menschen, wie sie es vermeiden können, mit einer Boeing-Maschine zu fliegen. Das ist jedoch alles andere als einfach. Immerhin verfügen auch die großen europäischen Airlines wie die Lufthansa oder die Air France-KLM Group über eine Riesenflotte von Boeing-Modellen. Das gilt gleichermaßen für Ferienflieger wie TUIfly und SunExpress. Allenfalls besteht die Chance, auf eine Maschine vom Typ Airbus auszuweichen.

Die europäische Airbus S.A.S. ist der größte Konkurrent von Boeing und liefert seit 2019 deutlich mehr zivile Flugzeuge pro Jahr aus. Doch viel risikoloser ist das Fliegen mit einem Airbus aktuell jedenfalls nicht: 136 gemeldeten Sicherheitsvorfällen mit Boeing-Beteiligung seit Anfang 2024 stehen immerhin 113 bei Airbus gegenüber. Und die Bilanz der letzten 50 Jahre ist sogar noch frappierender: Auf 20 Abstürze von Boeing-Verkehrsmaschinen kamen 29 Totalverluste von Flugzeugen aus dem Hause Airbus.


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