14.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Fall Nawalnyj

Leiden für die Freiheit

Manuela Rosenthal-Kappi
05.03.2024

Als die Nachricht über Alexej Nawalnyjs Tod bekannt wurde, befand sich Wladimir Putin auf Wahlkampfreise durchs Land. Bis heute ließ er den Tod seines größten Widersachers unkommentiert. Stattdessen beförderte er den ehemaligen Vizechef der Gefängnisbehörde FSIN, Walerij Bojarinew, der persönlich für die Folterungen Nawalnyjs im Gefängnis verantwortlich sein soll.

Während sich in den sozialen Netzwerken Russlands, wie Telegram oder VKontakte, die Kommentare überschlugen, welche von Hass- und Spotttiraden gegen Nawalnyj bis hin zu mitfühlenden Beileidsbekundungen reichten, verbreiteten die russischen Medien überwiegend nur die offizielle Meldung über den Tod. Lediglich die Tageszeitung „Kommersant“ berichtete über Verhaftungen im Zusammenhang mit Trauerversammlungen anlässlich des Todes des Oppositionspolitikers.

Über oppositionelle Medien im Westen gaben Nawalnyjs Mitarbeiter Wladimir Putin persönlich die Schuld am Tod des Politikers. Da der Leichnam nicht sofort frei gegeben wurde, glaubt Nawalnyjs Stab, dass die wahre Todesursache vertuscht werden solle, da die Angehörigen später kaum noch eine Möglichkeit haben, ihn auf Spuren untersuchen zu lassen, die auf eine Vergiftung oder Misshandlung als Todesursache hinweisen.

Eine Tat des FSB?
Der bulgarische Investigativjournalist Christo Grosew, der den Giftanschlag auf Nawalnyj 2020 als Tat des russischen Geheimdienstes FSB aufdeckte, glaubt, dass es dieselben Täter waren, die nun zu Ende brachten, was sie damals nicht geschafft hatten. Er will die Umstände von Nawalnyjs Tod in der Strafkolonie aufklären und ist sicher, dass er Zeugen im Gefängnis und unter Bewohnern der Region finden wird. Der inhaftierte Oppositionspolitiker Ilja Jaschin meint, dass Nawalnyjs Tod eine demonstrative Hinrichtung war, ebenso wie die Jewgenij Prigoschins.

Nawalnyj wird als charismatisch beschrieben. Wie kein anderer schaffte er es, die Menschen für ihre Überzeugungen zu Protestaktionen auf die Straße zu bringen. Sein Ziel war es, das Putin-Regime zu stürzen und Russland zu einem freien, demokratischen Staat zu machen. Seine Weggefährten glauben, dass ihm nach Putin noch eine große Zukunft als Politiker beschieden gewesen wäre, wenn er wie einst Nelson Mandela aus dem Gefängnis zurückgekehrt wäre.

Ein Rückblick auf Nawalnyjs politische Erfolge in den vergangenen Jahren legt diese Sicht nahe. 2013 kandidierte er für das Bürgermeisteramt in Moskau und erlangte nach offiziellen Angaben 27 Prozent der Stimmen. Zu der Präsidentschaftswahl 2018 wurde er wegen schwebender Gerichtsverfahren nicht zugelassen. Während Nawalnyj im Westen als liberale Ikone gesehen wird, warfen ihm viele Russen vor, ein Ultra-Nationalist zu sein, der für Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit stehe. Eines seiner zentralen Themen war die illegale Einwanderung aus Zentralasien. Nawalnyj distanzierte sich später von frühen Äußerungen, erklärte, dass es sein Ziel gewesen sei, Mehrheiten zu sammeln. „Ich werde von den Liberalen als Nationalist und von den Nationalisten als Liberaler bezeichnet.“ Während er den Krim-Anschluss noch begrüßte, verurteilte er den Ukrainekrieg scharf.

Unermüdlich prangerte der Jurist, Oppositionspolitiker, Dokumentarfilmer und Blogger die Korruption der politischen Elite an, womit er sich zahlreiche Feinde machte. Schließlich wurde 2020 ein lebensgefährlicher Giftanschlag mit dem Nervengift Nowitschok auf ihn verübt. Warum kehrte Nawalnyj nach seiner Behandlung in der Berliner Charité nach Russland zurück, wohl wissend, dass er weiterer Verfolgung durch die Strafbehörden ausgesetzt sein würde?

Erzpriester Andrej Kordotschkin, der wegen oppositioneller Äußerungen nicht mehr predigen darf, sagt, dass Nawalnyj ein gläubiger Mensch gewesen sei, der wie Jesus Christus seinen Leidensweg freiwillig angetreten habe. Selbst in verzweifelter Lage habe er sich nicht als Opfer gesehen. Sein Kampf galt der Freiheit und der Hoffnung, dass sich etwas zum Besseren ändern werde.

Etwas nüchterner sieht es Abbas Galljamow, Putins ehemaliger Redenschreiber, der heute im Exil lebt. Wäre Nawalnyj im Westen geblieben, hätte er seine schärfste Waffe gegen Putin – nämlich die Fähigkeit, die Massen zu bewegen – verloren. Der Politologe, der dem Präsidenten während seiner Dienstzeit persönlich nähergekommen ist, behauptet, dass Putin alle mit seinem Erzfeind in Verbindung stehenden Entscheidungen selbst getroffen habe, also auch die über dessen Liquidierung.

Stand Gefangenenaustausch bevor?
Laut Maria Pewtschich, der Chefin von Nawalnyjs Anti-Korruptions-Stiftung, gab es Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch mit dem Westen. Nawalnyj sollte gegen den als Tiergarten-Mörder bekannt gewordenen Wadim Krasikow, der in Berlin eine lebenslange Haftstrafe absitzt, ausgetauscht werden. Zum Zeitpunkt von Nawalnyjs Tod hätten die Gespräche über den Austausch kurz vor dem Abschluss gestanden. Neben Nawalnyj sollten auch zwei amerikanische Staatsbürger ausgetauscht werden, deren Namen sie nicht nannte.

Galljamow glaubt dieser Darstellung. Ein Austausch wäre für Putin so kurz vor der Präsidentschaftswahl nicht schlecht gewesen, doch habe dieser offenbar seine Meinung unter dem Druck der Öffentlichkeit geändert. Er habe davon ausgehen können, bei der Präsidentschaftswahl um die 90 Prozent der Stimmen zu bekommen. Und dann standen plötzlich Hunderttausende Menschen im ganzen Land Schlange für die Kandidatur von Boris Nadjeschdin. Jeder habe gewusst, dass es sich um einen Protest handelte, bei dem die Bevölkerung ihre Anti-Kriegs-Haltung zum Ausdruck brachte. Putin sei klar geworden, dass diese mächtig werden könne. Wenn er zuvor zu einem Austausch bereit gewesen sei, so sei dies der Wendepunkt gewesen. Während Putin sich außenpolitisch mit Erfolgen im Ukrainekrieg schmücke, drohe innenpolitisch Gefahr, sei es durch protestierende Soldatenmütter und -frauen oder durch Gegenkandidaten wie Jekaterina Dunzowa und Na-djeschdin.

Im Vergleich zu anderen Oppositionellen war es Nawalnyjs Stärke, nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Er war die Stimme der russischen Opposition, die nun für immer verstummt ist.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS