Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der Legende nach ging CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nach Verkündung seines Verzichts auf einen Platz im neuen Bundeskabinett per Videobotschaft in den sozialen Medien mit ein paar Freunden Skat spielen. Wenn man den Menschenschlag der Ostwestfalen ein wenig kennt, kann man sich gut vorstellen, dass es genau so war. Der Ostwestfale ist unaufgeregt, trinkt Pils, und wenn er zu einem Entschluss gekommen ist, dann zieht er das durch, was er sich vorgenommen hat.
Carsten Linnemann, Sohn einer erfolgreichen Buchhändlerfamilie, römisch-katholisch, ist das vielleicht größte Talent, das die einstige große Volkspartei der Mitte namens CDU heute noch hat. Als ihm vor Jahren – nach den gescheiterten Experimenten Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet – ein politischer Freund sagte: „Carsten, Du musst das jetzt machen! Du musst der deutsche Sebastian Kurz werden“, da lachte er nur kurz auf und versicherte glaubhaft, dass dieser Lebensweg nicht seinem Plan entspreche. Und angesichts des weiteren Verlaufs der Karriere von Kurz war das durchaus eine gute Entscheidung.
Leiden unter der inhaltlichen und personellen Entkernung seiner CDU
Friedrich Merz sei der richtige Mann als Bundeskanzler, und er sei bereit, dann eine wichtige Aufgabe in dessen Kabinett zu übernehmen, sagte Linnemann damals. Umso größer das Erstaunen, dass Linnemann nun die Reißleine zog. Glaubt er nach den zähen und für Unions-Wähler überaus unerfreulichen Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen selbst nicht mehr an den Erfolg der nächsten Bundesregierung? Kann eine Bundesregierung mit Beteiligung der großen Wahlverlierer vom 23. Februar, den Sozialdemokraten, überhaupt Erfolg haben? Immerhin waren es doch die Genossen, die im Ampel-Verbund mit den Grünen und der FDP maßgeblich zur heutigen Schieflage Deutschlands beigetragen haben. Wie zuvor die CDU unter Angela Merkel mit ihrer katastrophalen Bilanz bei der Migrations- und Energiepolitik.
Carsten Linnemann leidet unter der inhaltlichen und personellen Entkernung seiner CDU, der Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Der Paderborner hat die ganze Ochsentour durch die Partei durchlaufen: Junge Union, Mitglied im Gemeinderat von Altenbeken, Bundesvorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei und zuletzt Leiter der Programm- und Grundsatzkommission.
Schließlich Generalsekretär, der nach einem erfolgreichen Bundestagswahlkampf gesetzt war für ein wichtiges Bundesministerium. Vielleicht liegt aber genau dort der Grund für seinen überraschenden Rückzug.
Vermutete Gründe
Denn Linnemann, so erzählt man in seinem Umfeld im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, habe sich ein Super-Ministerium für Arbeit und Wirtschaft gewünscht, ein Ministerium, das durch Zugeständnisse an den sozialdemokratischen Koalitionspartner nicht zustande kam. Die „Bild“ will wissen, dass der Generalsekretär gegenüber „Vertrauten“ gesagt haben soll, er lasse sich nicht entwürdigen durch ein „enteiertes Ministerium“, bei dem die großen Fördertöpfe, also das, womit Minister wirklich gestalten können, anderswo angedockt sind. Und so hat der Hoffnungsträger aus Ostwestfalen nachgedacht, und sich dann konsequent gegen einen Ministerposten entschieden.
Wie sein Parteichef Friedrich Merz darauf reagiert hat, ist nicht überliefert. Vielleicht kommt es ihm nicht einmal ungelegen, denn zum erfolgreichen Regieren gehört auch eine lebendige Partei und nicht – wie früher – ein Kanzlerwahlverein. In der CDU hat Merz auch heute nicht nur Freunde, manche Merkel-Fans in den Führungsetagen hoffen inständig auf sein Scheitern als Regierungschef. Das blitzte kurz vor der Bundestagswahl im Bundestag auf, als CDU und CSU in der Sache einen richtigen Antrag einbrachten, ohne Rücksicht darauf, ob auch die AfD zustimmen würde oder nicht.
Da war ein Dutzend der Unions-Abgeordneten bei der Abstimmung plötzlich abwesend, da kündigten CDU-Länderchefs an, wenn der Antrag durchkomme, werde man das im Bundesrat verhindern. Feind, Todfeind, Parteifreund, es ist das alte Spiel. Die Merz-Gegner in Kiel und Berlin, die Karrieristen in NRW – es glaubt doch wohl niemand ernsthaft, dass die sich jetzt alle zum Wohle des Landes hinter ihrem Bundeskanzler versammeln. Fürs Gruppenfoto gern, aber wenn mal etwas schief geht, dann sind sie schnell in den Büschen oder – noch schlimmer – schießen hinterrücks aus den Büschen auf ihren eigenen Spitzenmann.
Carsten Linnemann ist nicht so einer. Er ist die alte CDU, gesellschaftspolitisch, wirtschaftspolitisch. Er lebt das, was in seiner politischen DNA angelegt ist: Marktwirtschaft, Familie, Sicherheit, Europa. All das, was die Union über Jahrzehnte zur führenden Kraft in Deutschland gemacht hat. Aber wird sie das auch in Zukunft sein?
Ein Ergebnis über 30 Prozent hatte Linnemann angepeilt vor der Bundestagswahl, so um die 34 Prozent hatte er gehofft, heißt es. Letztlich wurden es 28,5 Prozent – klar die stärkste politische Kraft im Bundestag, aber für den Paderborner eine persönliche Niederlage, jedenfalls soll er es so empfunden haben, wie man auf Berliner Fluren wispert.
Man hört es nicht gerne im Konrad-Adenauer-Haus, aber die von Merz ausgerufene „Brandmauer“ gegenüber der rechten AfD war demokratietheoretisch und machtarithmetisch die falsche Entscheidung. Doch ein Generalsekretär muss gegenüber seinem politischen Vorturner und seiner Partei absolut loyal sein. Also steht Carsten Linnemann wie eine Eins gegen jede Form der Kooperation mit der AfD.
Er ist jung und kann warten
Und die macht es ihm und Merz leicht mit ihrer Untertänigkeit gegenüber dem Kriegstreiber in Moskau und ihrer Europafeindlichkeit. Man müsse auch mal darüber nachdenken, ob Deutschland aus der NATO austreten sollte, hat der AfD-Philosoph Tino Chrupalla im Dezember noch öffentlich sinniert. Der Mann ist neben Alice Weidel Parteichef. Und dann macht er so ein Fass auf, während Deutschland und Europa Hunderte Milliarden Euro mobilisieren, um ihre Verteidigungsbereitschaft gegenüber Russland wieder herzustellen und Friedrich Merz Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern will, damit die sich effektiv zur Wehr setzen kann. Wie soll da eine Zusammenarbeit funktionieren? Das wird auf viele Jahre überhaupt kein Thema bei der Union sein.
Carsten Linnemann ist 47 Jahre jung, er hat alle Zeit der Welt, um seine ohnehin wachsende Anhängerschaft in der CDU weiter auszubauen. Er spielt weiter eine zentrale Rolle im Kosmos von Merz' engsten Mitstreitern. Und falls die Koalition mit der SPD in Sachen Politikwende ein Flopp werden sollte, was angesichts der Schwierigkeiten allein schon bei den Verhandlungen nicht auszuschließen ist, dann war der Ostwestfale aus Paderborn immerhin nicht unmittelbar dabei.
Dann könnte sie doch noch kommen, die Stunde des Carsten Linnemann.