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Italien

Maske auf, Maske ab – „Corona“ ist nun auch in Italien vorbei

Am gestrigen Nationalfeiertag rief das Mitte-Rechts-Bündnis „Centrodestra“ zur Demonstration in Rom – und Tausende strömten zusammen

Wulf D. Wagner
03.06.2020

Der Tag für die Demonstration war gut gewählt. Am 2. Juni 1946 entschied sich Italien in einer Volksabstimmung für die Republik und gegen die Monarchie. Seitdem ist der 2. Juni ein Feiertag in Italien – und diesmal zugleich der Tag, bevor sich das Land am 3. Juni wieder öffnen will. Ab heute darf von Rom wieder nach Sizilien oder von Kalabrien nach Südtirol gereist werden.

Centrodestra – das Mitte-rechts Wahlbündnis aus Lega, Fratelli d'Italia und Forza Italia – hatte für gestern zur Demonstration „L'Italia non si arrende“ („Italien ergibt sich nicht“) in vielen Städten des Landes aufgerufen – bei allem „Respekt vor den Sicherheitsbestimmungen“, also mit Maske und Abstandhalten, wie eigens Silvio Berlusconi (Forza Italia) nochmals betonte, um sich von all den in seinen Augen „unverantwortlichen Demonstranten“ der letzten Wochen zu distanzieren.

Das Ende der „Corona-Zeit“

Doch wer sieht, wie Matteo Salvini (Lega) und Giorgia Meloni (Fratelli d'Italia) vor einer von Hunderten getragenen 500 Meter langen Trikolore durch die engen Straßen Roms und auf die Plätze ziehen, Maske auf, Maske ab Selfies geben und wohl von tausenden Zuschauern und Journalisten umdrängt werden, der weiß, dass nun auch in Italien die „Corona-Zeit“ mit ihren Einschränkungen abgelaufen ist.

Seit Anfang März war man hier „a casa“, die Restriktionen waren hart, die Öffnung einzelner Betriebe, Geschäfte oder Bars geht nur mühsam voran, und weiterhin droht die linke Regierung, alles wieder zu schließen, wenn die Italiener sich nicht „brav“ verhalten. Sie waren es gestern im sonnigen Rom – sieht man von den oft nur halb angezogenen Maske ab – durchaus nicht!
Die Live-Übertragungen im Internet sind beeindruckend und stellen alle Demonstrationen in den Schatten, die man in Deutschland in diesen Wochen sah und die von einigen deutschen Medien schnell mit „rechts“ und „verschwörungstheoretisch“ verunglimpft wurden. In Italien sind die Medien und Parteien zu breit aufgestellt, um eine derartige – der Demokratie wie der Meinungsfreiheit unwürdige – Vereinfachung und Verurteilung besorgter Bürger zuzulassen, und wenn die Tageszeitung „La Repubblica“ am 1. Juni groß im Titel vor der „Rechten“ warnte, quittierte das Salvini nur mit einem Smiley.

Und so wurde also der gestrige Morgen in Rom zum wahren Volksauflauf. Immer wieder hörte man den Ruf „Libertà“ und vor allem „Wahlen sofort“, wie sie von Salvini und Meloni in langen Interviews in der pünktlich erschienenen Juni-Ausgabe von „Cultura Identità“ erneut gefordert werden. „Matteo“ und „Giorgia“ wurde begeistert zugejubelt, sie genossen das Bad in der Menge und vergaßen nahezu all jene im Vorfeld versicherte „Sicherheit“.

Kritik an der Regierung Conte

Die Demonstration von Centrodestra richtete sich gegen die Regierung unter Ministerpräsident Giuseppe Conte, gegen die vermeintliche Desorganisation der letzten Monate, gegen die Bürokratie und die ausbleibende Hilfe des Staates für seine Bevölkerung und die verschiedenen Berufsgruppen. Man tritt ein für Abgaben- oder Steuersenkungen, ja hauptsächlich seien die Politiker auf der Straße „im Namen der vergessenen Italiener“, um „zuzuhören“, um „Vorschläge zu sammeln“, auf der Suche nach Lösungen für die zahlreichen Probleme, die Centrodestra auch der Regierung – erneut die Zusammenarbeit im Parlament anbietend – vorschlagen will, wie Salvini am gestrigen Morgen in Rai 3 betonte.

Derweilen feierte die Regierung mit dem Präsidenten der Republik Sergio Mattarella den Tag vor dem „Altar des Vaterlandes“ in Rom. Mattarella rief zur Einheit des Landes auf, die der „Zement für die Wiedergeburt nach dem Krieg gewesen“ sei.
Doch diese Einheit ist empfindlich gestört. Zwar ist ganz Italien stolz, dass die Menschen während der Krise alle „brav“ und diszipliniert zusammenhielten, doch nun ist die Geduld der Opposition und wohl auch die der Bevölkerung vorbei. Zu vieles ist unklar zum wirtschaftlichen Wiederanfang, zur Organisation des wichtigen Tourismus oder zum Schul- oder Universitätsbeginn. Die wiedergewonnenen Handlungsmöglichkeiten auch der Opposition werden zeigen, ob man jene „große Strategie“ findet, „die im Parlament von allen politischen Kräften“ und unter Anhörung der Industrie, der kleinen und mittleren Unternehmen oder der Selbstständigen umgesetzt werden kann, wie sie Antonio Tajana vorschlägt, der anstelle Berlusconis für Forza Italia den Demonstrationszug mitanführte.

Debatte um den „Italexit“

Dazu kommen die Schwierigkeiten mit der Europäischen Union. Zwar hoffen die Parteien der Konservativen, vor allem Forza Italia, auf eine Einigung mit der EU, auf entsprechende Geldhilfen, aber die Stimmen, die neben der politischen eine wirtschaftliche Souveränität des Landes fordern, um damit unabhängig auf den eigenen Beinen stehen zu können, mehren sich; jene nie ganz verstummte Diskussion nach Sinn oder Unsinn eines Verbleibs Italiens in der Europäischen Union und dem Euro treten wieder hervor.

Dabei spielt nicht nur das Feilschen um die fehlende oder doch noch folgende Hilfe der EU eine Rolle, auch nicht, dass erneut Merkel und Macron alleine zu entscheiden scheinen, sondern ebenso sorgen die von einigen nordeuropäischen Medien bedienten Vorurteile gegenüber dem Süden für erheblichen Zorn unter den stolzen Italienern.

Lassen wir an dieser Stelle die Diskussion um Nutzen und Wirkung wirtschaftlicher Hilfen aus Brüssel beiseite, lassen wir auch die Klärung der Realisierbarkeit eines Austritts rechts liegen, doch nehmen wir ernst, dass die Frage nach einem „Italexit“ wieder gestellt wird. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass Salvini Ideen oder Slogan – wie das bekannte „Prima gli italiani“ („Zuerst die Italiener“) – von kleineren rechten Bewegungen aufnimmt, oder darauf lauscht, wie die Stimmung im Volk sich wandelt.

Tatsächlich kann die gestrige Veranstaltung von Centrodestra auch als Zeichen dafür gedeutet werden, dass man erkannt hat, dass sich seit Wochen zunächst schüchterne, nun wachsende Manifestationen zu Wort melden, so die parteiunabhängigen „Mascherine Tricolori“ – Demonstranten mit Masken in Form der Landesfahne –, die für die Souveränität werben, oder die „Orangen Westen“, deren Organisator, Antonio Pappalardo, sogar vom „Corriere della sera“ (31.5.2020) interviewt wurde und sich etwa gegen Masken und Impfstoff aussprach.

Die gestrige Demonstration in Rom – wie die kleine Veranstaltung in Palermo, die ich mir eigens ansah – hat gezeigt, dass man in Italien noch aus freudiger Kehle die eigene Nationalhymne anstimmt, dass man sich durchaus nicht darauf ausruhen will, dass Brüssel oder Berlin zahlen, und dass man daher bereit ist, auch über einen politisch neuen oder nationalen Weg in die eigene Zukunft nachzudenken.

Der Ausgang ist offen

Die wiedergewonnene Freiheit wird zeigen, wohin diese Diskussionen sich entwickeln werden. Bücher zur Souveränität mehren sich, „Il Primato Nazionale“ titelte die Mai-Ausgabe bereits mit „Terremoto Italexit“ („Erdbeben Italexit“), und der sich gerne in die Politik einmischende Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi sprach sich für ein Referendum aus, damit die winzige Bewegung „Italia Libera“ unterstützend. Die Gedanken sind in alle Richtungen offen, sie gehen auch ins Grundsätzliche, wie im Leitartikel des Philosophen und Schriftstellers Marcello Veneziani der Tageszeitung „La Verità“ am 1. Juni. Er fragt nach dem Zustand des von den Parteien okkupierten Staates und danach, was man am 2. Juni eigentlich noch feiere. Allein den heutigen 3. Juni, „an dem wir wieder ein bisschen mehr Freiheit sehen“?

„Wenn dies eine Republik ist“, so schließt er, unzufrieden mit den mageren Perspektiven, mit dem Ruf der Monarchie: „Es lebe der König.“

Über Rom aber kreiste am Nachmittag eine Fliegerstaffel und sprühte die Trikolore in den blauen Himmel.

• Dr. Wulf D. Wagner lebt als Kunsthistoriker und Publizist in Berlin und Palermo. 2019 übersetzte er den Band „Ich bin Matteo Salvini“ (Manuscriptum) ins Deutsche.


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