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„stern“-Gründer Henri Nannen hat im Zweiten Weltkrieg NS-Propaganda betrieben. Die Vorwürfe sind nicht neu, doch nun überlegt der Verlag, sich von seiner einstigen Galionsfigur loszusagen. Geht es dabei wirklich um historische Verantwortung?
Zum bevorstehenden Saisonbeginn hat der Fußball-Zweiligist Holstein Kiel in den sozialen Medien seine neuen Trikots präsentiert. Die Spieler-Leibchen tragen die Landesfarben Schleswig-Holsteins, Blau, Weiß und Rot – in der Landeshauptstadt nicht verwunderlich. Und doch brach auf Twitter ein Proteststurm los. Denn auf einem Foto lässt das Gegenlicht das Blau allzu dunkel erscheinen und die Farben wirken wie Schwarz-Weiß-Rot. Dies waren die Farben des Kaiserreichs ab 1871, die auch von den Nationalsozialisten in ihrer Reichskriegsflagge und in der Hakenkreuzfahne verwendet wurden. So musste sich der Kicker-Club umgehend erklären: „An dieser Stelle“, twitterte der Verein, „möchten wir aber klarstellen, dass wir uns in jeglicher Form von Rassismus oder rechtem Gedankengut distanzieren.“
Nazis im Gegenlicht. Deutschland passt auf. So etwas wie Adolf Hitler soll diesem Land nicht noch einmal passieren – da sind auch Fußballfans gefordert, den Nazi-Detektor feinzujustieren. Journalisten sowieso. Und schon meinen die Pressewächter in ihren eigenen Reihen einen besonders spektakulären Fund ausgemacht zu haben. Der „stern“-Gründer Henri Nannen, so will das Online-Format des NDR „STRG_F“ (gesprochen „Steuerung F“) im Mai entdeckt haben, hat im Zweiten Weltkrieg als Kriegsberichterstatter der Luftwaffe in einer Propaganda-Kompanie üble antisemitische Hetze verbreitet. „Wir haben jetzt etwas gefunden, was richtig schlimm ist“, heißt es in dem Filmbeitrag in der „STRG_F“-eigenen Kindersprache.
Die Verfehlungen des jungen „Sir Henry“
Nannen war bei Kriegsausbruch 25 Jahre alt, hatte gerade sein kunstgeschichtliches Studium abgeschlossen und bejubelte Adolf Hitler in der Zeitschrift „Die Kunst und das schöne Heim“. Dort schrieb er, dass „die Erneuerung des deutschen Menschen das Werk des Führers“ sei. „Er allein hat sein Volk wieder zum Erleben und damit auch zur Darstellung seines eigenen Wesens geführt.“ In Leni Riefenstahls Film über die Olympischen Spiele 1936 trat er als Stadionsprecher auf. In den letzten beiden Kriegsjahren wurde der einfache Luftwaffen-Soldat in eine Propagandaeinheit der SS abkommandiert, die in Italien Stimmung gegen den Italienfeldzug der Westalliierten machen sollte.
Die Operation hieß „Südstern“, und „Sir Henri“, wie Nannen damals schon genannt wurde, galt als „der Boss“. Unter seiner Federführung entstanden Flugblätter und Hetzschriften, Illustrationen und Texte, die mit antijüdischen und antiamerikanischen Motiven hantierten. Einmal heißt es: „Nur eine Gruppe von Menschen profitiert von jedem Krieg: Die Wallstreet und die Juden!“ Dann ist von einem „Jüdischen Zweiten Weltkrieg“ die Rede, ein weiteres Flugblatt warnt sogar vor einem „Dritten Weltkrieg“, den die Juden angeblich vorbereiteten.
All dies ist zweifellos „eklig“ und „widerlich“, wie der heutige „stern“-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in einem Beitrag zu der NDR-Veröffentlichung feststellt. Schmitz, erst seit Mai im Amt, hat Nannens NS-Vergangenheit gleichsam als ersten Blattskandal auf den Tisch bekommen. Zerknirscht gelobt er seinem Publikum, dass der „stern“ in den kommenden Wochen „offen um die Frage ringen“ werde, ob Nannen weiterhin Namenspatron der verlagseigenen Journalistenschule sein könne, „ob einer der renommiertesten Medienpreise seinen Namen tragen und ob Henri Nannen im Impressum unser Gründungsherausgeber sein soll“.
Als erste Entscheidung wurde der Nannen-Preis zur diesjährigen Verleihung am 22. Juni einmalig umgetauft zum „Stern-Preis“. Bis Jahresende soll ein Gremium über die künftige Namensgebung befinden. In dem Gremium werden nicht nur erfahrene Journalisten den Fall Nannen beraten, sondern auch Schüler der Henri-Nannen-Schule und der RTL-Journalistenschmiede. Schon in dieser Besetzung werden die Untiefen der laufenden Nannen-Debatte sichtbar.
Zeitgeistiges Ablenkungsmanöver
Zunächst einmal ist der Nachrichtenwert der NDR-Enthüllung in etwa so originell, als wolle man das Publikum damit überraschen, dass Willy Brandt einen DDR-Spion im Kanzleramt sitzen hatte – alle Fakten sind seit Jahrzehnten bekannt. Dann diese bizarre Überlegung, Henri Nannen als Magazin-Gründer aus dem „stern“-Impressum zu tilgen. Ein sogenannter Branchendienst wie „Meedia“ räumte zwar ein: „Grundsätzlich habe der Beitrag“ des NDR „zwar keine neuen Erkenntnisse gebracht.“ Trotzdem wurde in einem Kommentar gefordert, RTL solle sich nach seiner jüngsten Fusion mit der „stern“-Verlag Gruner und Jahr von Nannen „lossagen“. Begründung: „Ansonsten muss sich RTL mit der Altlast dauerhaft auseinandersetzen.“
In dieser Bemerkung schimmert auf spiegelverkehrte Weise die Sehnsucht nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit durch. Was bislang eher rechts der Mitte zu erwarten war, kommt immer häufiger links der Mitte zu Tage. Angeblich antirassistische und antikolonialistische Aktivisten wollen Denkmäler aus der Kaiserzeit schleifen und suspekte Straßennamen verändern – kurzum unliebsame Erinnerungen auslöschen, um angeblich die Welt gerechter zu gestalten. Dass dieser Angriff einer moralisch sterilisierten Gegenwart auf die übrige Zeit nicht nur eine Illusion ist, sondern ausgemachte Heuchelei, zeigt sich darin, dass „Antirassisten“ auf ihre Art rassistisch „die Weißen“ anfeinden, die „Antisexisten“ sexistisch „die Männer“ diffamieren, und „Antikolonialisten“ genügen sich zumeist in antiwestlichen Reflexen. Die geostrategischen Expansionen Chinas und Russlands, etwa in Afrika, werden eher selten attackiert.
Entsprechend signalisiert auch die Bestallung von Nachwuchsjournalisten, die über das Verhalten des „stern“-Gründers vor acht Jahrzehnten (!) den Stab brechen sollen, dass es in der Debatte um Nannen nicht etwa um die historische Verantwortung der Deutschen geht, sondern um politische Beinfreiheit im gesellschaftlichen Diskurs. Wenn wir uns nämlich die Zeichnungen des „Südstern“ aus der NS-Zeit näher anschauen, fallen mancherlei Parallelen zu den antisemitischen Darstellungen auf dem erst nach heftigen Protesten abmontierten Riesen-Wimmelbild auf der Documenta15 in Kassel auf. Ganz so, als ob es einen bösen Judenhass der Nationalsozialisten gibt und einen guten Antisemitismus von indonesischen Künstlerkollektiven, von Auslandsredakteuren beim Deutschlandfunk oder von Islamisten und der Antifa.
Insofern mutet die Forderung an den „stern“, seinen Gründer aus dem Impressum zu streichen, als zeitgeistiges Ablenkungsmanöver an, das nicht getragen ist vom Willen, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, sondern entgegengesetzt vom Unwillen, dies zu tun. Die ehemalige Gruner und Jahr-Chefin Julia Jäkel äußerte in einem Netzbeitrag: „Die Debatte um die Geschichte und Bedeutung des einstigen ,Stern'-Chefs Henri Nannen hat mich in den letzten Wochen verzweifeln lassen.“ Und die „Süddeutsche Zeitung“ wies darauf hin, dass es „keinen ,Stern' ohne die Legende von Henri Nannen und keinen Nannen ohne Nazigeschichte“ gebe.
Geschichte eines Niedergangs
Die Debatte, so die „Süddeutsche“ weiter, „lässt einen ratlos zurück, so unterkomplex ist sie geraten“. Womöglich deshalb, weil die Akteure, insbesondere beim „stern“ selbst, mit der Causa Nannen wie auch mit dem Magazin heillos überfordert sind. Der „stern“ ist seit vielen Jahren eine Zeitschrift im Sinkflug in die Bedeutungslosigkeit. Zu seinen besten Zeiten unter Henri Nannen verkaufte das Bilderblatt jede Woche 1,9 Millionen Exemplare. Das war 1967. Gut fünfzig Jahre später, zum 70. Geburtstag 2018, waren es nur noch 530.000 Hefte, im ersten Quartal 2022 gerade noch 343.388 Exemplare je Ausgabe.
Henri Nannen war eine Art Willy Brandt des Journalismus, seinen „stern“ machte er zur sozialdemokratischen Volkspartei, die jeden Donnerstag Parteitag hielt, die wirkliche SPD trieb er publizistisch in die Ostpolitik. Sir Henri kreierte eine „Wundertüte“, wie er es nannte, mit Farbreportagen über sudanesische Hungeropfer, die er mit Titelbildern von barbusigen Schönheiten unter die Leute brachte. Und vermutlich war überhaupt nur ein Mensch, der in jungen Jahren das Grauen einer Diktatur und eines Krieges durchgemacht hatte, hinreichend abgründig und lebenshungrig, um allwöchentlich diese Themenmischung aus Ruchlosigkeit, Verheißung, Glamour und Sexappeal zu komponieren. Seine Nachfolger, aufgewachsen in Frieden und Wohlstand, vermochten es immer weniger. Unter dem gegenwärtigen Wokeness-Regime wohlstandsverwahrloster Blattmacher ist der „stern“ eine jammervolle Postille – humorlos, kreuzbrav, besserwisserisch und unverkäuflich.
Im persönlichen Umgang soll Nannen oft schwer erträglich gewesen sein, ein eitler Redaktionsherrscher, einschüchternd, unberechenbar, sexistisch mit genialem Bauchgefühl. Bewundert auch von seinen Gegnern. Einer von ihnen war Erich Kuby, linker Publizist und 15 Jahre lang eine der Edelfedern des „stern“. Als das Blatt 1983 seinen schlimmsten Alptraum erlebte, weil die Chefredaktion auf gefälschte Hitler-Tagebücher hereinfiel, schrieb Kuby ein Buch darüber mit aufschlussreichen „Anmerkungen zu Henri Nannen“. Darin nennt er seinen einstigen Chef zwar einen „perfekten Opportunisten“, doch sei es „einfach unstatthaft und kindisch, ihn heute mit der Elle jener Artikel“ in NS-Kunstzeitschriften „zu messen und an all dem, was er als nichtkämpfender PK-Mann der Luftwaffe propagiert hat“. PK waren die Propaganda-Kompanien. Nannens Einsatz beim „Südstern“ war also schon 1983 bekannt.
Bekenntnisse und Erkenntnisse
Auch Nannen selbst hat seine Vergangenheit nie verschwiegen. Zu seinen „Nazi-Artikeln“ hat er sich stets bekannt – „beschämt, aber unumwunden“. In einem „Playboy“-Interview 1981 sagte er: „In diesen Artikeln stand allerhand Nazi-Scheiße drin.“ Als 1979 die US-Fernsehserie „Holocaust“ in den dritten ARD-Programmen ausgestrahlt wurde, schrieb er einen seiner Briefe an den „lieben Stern-Leser“ mit dem Titel: „Ja, ich war zu feige.“ Darin heißt es: „Ich jedenfalls, ich habe gewusst, dass im Namen Deutschlands wehrlose Menschen vernichtet wurden, wie man Ungeziefer vernichtet. Und ohne Scham habe ich die Uniform eines Offiziers der deutschen Luftwaffe getragen. Ja, ich wusste es, und ich war zu feige, mich dagegen aufzulehnen.“
Vielleicht sollten jene wohldotierten, zeitgeistsurfenden „stern“-Redakteure, die ihren Illustrierten-Gründer heute für untragbar halten, doch einmal überlegen, wie heldenhaft sie wohl unter der NS-Diktatur gewesen wären oder ob es bei ihnen doch nur zum gratismutigen Tilgen von Henri Nannen aus dem „stern“-Impressum ausreicht.
Lesen Sie zu dieser Debatte auch den Essay von Eberhard Straub.
• Holger Fuß ist Publizist und schreibt regelmäßig für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften über Politik, Wissenschaft, Kultur und das Zeitgeschehen. Über viele Jahre schrieb er auch für den „stern“.
Winfried Kurt Walter am 13.07.22, 14:22 Uhr
Der Verlag, nachdem er jegliche Glaubwürdigkeit d.d. Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher verloren hatte, was sich bis heute auf die Umsatzzahlen und inhaltlich nach meiner Einschätzung nur als Nichtqualitätspresse wieder einmal darstellt, startet wieder einen Versuch, sich durch "Demutsvorspiegelung" zu rehabilitieren bzw. zu sanieren. Es wird nichts nützen - hoffentlich !
sitra achra am 01.07.22, 14:28 Uhr
Nannen war wahrlich nicht der hellste "Stern" am Himmel, aber Opportunismus gibt es zu jeder Zeit und in jeglicher Qualität. Es gab damals aber auch aufrichtig von der vermeintlich richtigen Sache Überzeugte, und das waren gar nicht wenige. Viele blieben ihrer Überzeugung bis zum Grab treu.