29.03.2024

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Diktatfrieden von Trianon

„Nem! Nem! Soha!“ – „Nein! Nein! Niemals!“

Vor 100 Jahren erhielt Ungarn einen eigenen Pariser Vorortvertrag. Das ungarische Pendant zu Versailles nahm den Magyaren zwei Drittel ihres Territoriums und machte über drei Millionen von ihnen zur Minderheit im Ausland

Wolfgang Kaufmann
29.05.2020

Nach dem Austritt aus der habsburgischen Doppelmonarchie am 31. Oktober 1918 musste das nun nach langer Zeit erstmals wieder völlig unabhängige Ungarn feststellen, dass es von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges nicht etwa als Opfer einer von den deutschen Habsburgern ausgeübten Fremdherrschaft, sondern als Feindmacht betrachtet wurde. Und so wurde Ungarn nicht schonender behandelt als etwa das Deutsche Reich, Bulgarien oder das Osmanische Reich. Die heutige Slowakei und die Karpato-Ukraine gingen an die neugegründete Tschechoslowakische Republik sowie das Burgenland an die Republik Österreich.

„Blatt Papier als Grabtuch“

Darüber hinaus erhielt das nunmehrige Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen Kroatien, Slawonien, Prekmurje, die Regionen Batschka und Süd-Baranya sowie Teile des Banats. Siebenbürgen mit dem Rest des Banats und Partium wurden Rumänien zugeschlagen. Außerdem kamen noch 14 Dörfer im Norden zu Polen, und die Stadt St. Veit am Flaum (Fiume beziehungsweise Rijeka) wurde samt Hinterland zu einem unabhängigen Freistaat.

Während der Pariser Verhandlungen legten die Rumänen und Serben zahlreiche manipulierte Statistiken über die ethnischen Verhältnisse in den oben genannten Regionen vor. So gestand der britische Premierminister David Lloyd George später ein: „Wir haben aufgrund von Fälschungen entschieden.“ Dieser Fehler resultierte nicht zuletzt daraus, dass man die ungarische Delegation in Paris um Albert Graf Apponyi von Nagy-Apponyi, István Graf Bethlen von Bethlen und Pál Graf Teleki praktisch nicht zu Wort kommen ließ. Dazu schrieb Apponyi: „Ungeheuer schwere Tage haben wir erlebt, von jedem Kontakt, von jeder Möglichkeit der Anführung unserer Argumente ... waren wir sorgfältig und mit dem undurchbrechlichen Kordon abgesperrt.“

Letztlich blieb den Vertretern Ungarns nichts anderes übrig, als die Gebietsabtrennungen unter heftigem Protest zu akzeptieren. Ungarn verlor durch das Diktat über 232.000 Quadratkilometer mit rund 12.500 Ortschaften. Das waren mehr als zwei Drittel des Territoriums des historischen Königreichs Ungarn – das Deutsche Reich hatte durch das Versailler Diktat deutlich weniger Einbußen erlitten.

Kriegsschuldartikel

Der Diktatfrieden zwischen Ungarn und den Siegermächten sowie Polen, Rumänien, dem serbisch-kroatisch-slowenischen Königreich und der Tschechoslowakei wurde am Nachmittag des 4. Juni 1920 in einem Lustschloss im Park des Schlosses von Versailles namens Grand Trianon unterzeichnet – die Unterschrift für die ungarische Seite leisteten der Minister für Volkswohlfahrt, Ágost Benárd, und der Botschafter Alfréd Drasche-Lázár.

Außer den Gebietsabtrennungen kamen auf Ungarn noch Reparationen zu, deren Höhe 1921 festgelegt wurde und die bis 1951 gezahlt werden sollten. Darüber hinaus musste das Königreich seine Streitkräfte auf 35.000 Mann reduzieren und durfte keine schwere Artillerie, Panzer, Flugzeuge sowie Kriegsschiffe auf der Donau mehr besitzen. Analog zum Diktat von Versailles für die Deutschen erhielt auch jenes von Trianon für die Ungarn eine erzwungene Kriegsschuldanerkenntnis des Verlierers.

Infolge des Friedensdiktats von Trianon gelangten mehr als drei Millionen Magyaren unter fremde Herrschaft: 1.072.000 in der Tschechoslowakei, 571.000 im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen sowie 1.664.000 in Rumänien. Volksabstimmungen über die künftige politische Zugehörigkeit der Regionen, in denen diese lebten, waren von den Alliierten in Paris abgelehnt worden.

Mit den abgetretenen 232.000 Quadratkilometern verlor das Königreich zwei Drittel seines Ackerlandes und Viehbestandes, vier Fünftel der Eisen- und Kohlegruben, sämtliche Salz- und Kupferlagerstätten, die meisten Eisenbahnlinien samt rollendem Material sowie den einzigen Seehafen in St. Veit an der Adria. Daraus resultierte ein beispielloser wirtschaftlicher Zusammenbruch, der zur Hyperinflation der Jahre von 1921 bis 1926 führte.

Das Diktat von Trianon löste in Ungarn erbitterte Proteste aus: „Nem! Nem! Soha!“, „Nein! Nein! Niemals!“, hieß es landauf landab, und das „Pester Tageblatt“ schrieb: „Die Herren der Welt glauben, dass sie ihr Werk beendet haben, nachdem sie uns geplündert, ausgeraubt, ausgeblutet und verstümmelt hatten, müssen sie uns noch mit einem Blatt Papier als Grabtuch bedecken. Unser Schicksal hat sich jedoch noch nicht erfüllt.“ Denn die Ungarn würden „mit anständigem Fleiß, hartnäckiger Ausdauer, heiligem Willen und heiliger Arbeit“ alles Verlorene zurückerlangen.

Und tatsächlich führten die beiden Wiener Schiedssprüche vom 2. November 1938 und 30. August 1940 insofern zu einer Revision des aufgezwungenen Pariser Vorortvertrages von 1920, als Ungarn zumindest jene Teile der Slowakei und Siebenbürgens zurückerhielt, in denen der Anteil der Magyaren besonders hoch lag.

Allerdings kam es dann nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Revision der Revision beziehungsweise Annullierung der Schiedssprüche Deutschlands und Italiens während der Pariser Friedenskonferenz von 1946, weil Ungarn als ehemaliger Verbündeter des Dritten Reiches erneut auf der Seite der Verlierer stand. Seit der Unterzeichnung der entsprechenden Verträge am 10. Februar 1947 herrscht in den durch das Diktat von Trianon abgetrennten Gebieten wieder jener völkerrechtliche Zustand, der am 4. Juni 1920 herbeigeführt worden war.

Viktor Orbán plant Denkmal

Die Trauer über den Raub von zwei Dritteln des Territoriums ist in Ungarn bis zum heutigen Tage wach geblieben. So beschloss die Nationalversammlung in Budapest am 31. Mai 2010, dass der 4. Juni künftig als „Tag der nationalen Zusammengehörigkeit“ zu begehen sei. Außerdem gab die Regierung von Viktor Orbán kürzlich ein Denkmal in Auftrag, das zum 100. Jahrestag des Vertrages von Trianon eingeweiht werden und die Namen aller 1920 verlorenen ungarischen Ortschaften tragen soll.


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Kommentare

Teude Run am 21.06.20, 06:07 Uhr

Ich bin entsetzt, das wusste ich bisher auch noch nicht.
Diese Verbrechen müssen rückgängig gemacht werden. Sowohl für Ungarn, als auch für Deutschland.
Und diesmal müssen die Verbrecher sühnen.

H. Schinkel am 07.06.20, 18:36 Uhr

So ein Denkmal für die verlorenen Gebiete und Ortschaften würde Deutschland auch gut stehen. Schließlich kann nicht jeder einen Schlußstrich unter seine verlorene Heimat ziehen.

Jens Boysen am 31.05.20, 21:27 Uhr

Grundsätzlich ein guter und wichtiger Beitrag. Aber was soll zu Beginn diese seltsame Distanzierung Ungarns von den Mittelmächten? Zwar hatten die Ungarn im 18. Jh. nach der Rückeroberung ihres Landes durch die Österreicher in den sauren Apfel der habsburgischen Herrschaft beißen müssen; aber das war ja dennoch unendlich besser als die osmanische Herrschaft vorher. Und seit 1867 waren sie (wieder) die unumschränkten Herren in Transleithanien und regierten zudem den Gesamtstaat kräftig mit. Angesichts dessen ist es mehr als absurd, Ungarn 1918/20 als "Opfer einer von den deutschen Habsburgern ausgeübten Fremdherrschaft" zu bezeichnen. Der formale Austritt aus der Gesamtmonarchie vom 31. Oktober 1918 änderte daran gar nichts. Es war deshalb völlig richtig, die ungarische Delegation als eine der Verlierergruppen zu betrachten; falsch und verhängnisvoll war es, wie die Siegermächte die Verliererstaaten GENERELL behandelten.

Siegfried Hermann am 31.05.20, 11:31 Uhr

Wie übel die Briten den Ungarn mitgespielt haben, war mir bisher auch noch nicht so bewusst.
Wie überall und britische Tradition: Teile und herrsche!. Rücksichtslos und ohne Gnade.
Vielleicht sollte noch angemerkt werden:
Nach 1918 war der Balkan bis 1939 ein Pulverfass mit endlosen Kleinkriegen, selbst um ein paar Dörfer wurde gekämpft.
Ausgerechnet das Kabinett Hitler hatte durch zähe Verhandlungen bis 1940 Verträge ausgearbeitet, mit dem jeder halbwegs leben konnte und das ganz ohne massiven Druck aus Berlin.
Das hatten und wollten bewusst nicht die Briten in 20 Jahren schaffen, das Chaos zu ordnen, was sie selbst angerichtet hatten.
Wer jetzt glaubt, das wärs, weil lange her, Pustekuchen. Die Jugoslawien-Kriege haben doch gezeigt, das noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Die Türken und ihr neu aufgeflammter osmanischer Großmachtanspruch zeigen doch --ganz aktuell-- mit der Besetzung griechischen Territoriums was in nächster Zukunft uns erwartet.

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